Ein Kampf gegen Windmühlen
Spanien feiert 2015 und 2016 zwei Cervantes-Jubiläen. In der Mancha auf Spurensuche nach seinem Helden Don Quijote zu gehen scheint naheliegend. Fündig wird dort aber nur, wer wie der Ritter von der traurigen Gestalt an die Kraft des Imaginären glaubt.
Da liegt es – das Don-Quijote-Land. Eine Autostunde südlich von Madrid hebt und streckt sich die endlose Ebene von La Mancha. Tief errötet, wo Eisenerz die Erde färbt, erbleicht, wo Überdüngung die Böden auslaugt. Weizenfelder, Weingärten, Olivenhaine, da und dort Waldstücke als Ergebnis von Wiederaufforstung. Eine mächtige Fläche, zu unspektakulär, um schön zu sein. Ein abgearbeitetes Antlitz und ganz sicher keine Landschaft, die einen Weg in die Aufmerksamkeit der Welt findet. Die hat ihr Miguel de Cervantes verschafft. Er machte sie mit seinem Roman El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha unsterblich, und das, obwohl er mit Landschaftsschilderungen extrem geizte.
2015 jährt sich zum 400. Mal die Veröffentlichung des zweiten Teils von Don Quijote, und im April 2016 ist der 400. Todestag von Miguel de Cervantes. Spanien feiert beide Jubiläen mit einem umfangreichen Kulturprogramm. Touristiker haben aus fiktiven und realen Orten ein dichtes Netz über die Mancha gelegt und es die „Route des Don Quijote“genannt.
Vermutlich hat es zu Cervantes’ Zeiten hier wirklich nicht viel anders ausgesehen als heute. Um 1600 war die Mancha vor allem bewohnt von Morisken, zum Christentum bekehrte Mauren, die auch nach der Reconquista 1492 das Land nicht verlassen hatten und vor allem von der Landwirtschaft lebten. Mancha kommt aus dem Arabischen „al-mancha“und bedeutet so viel wie „ohne Wasser“. Auch in der Gegenwart entpuppt sich ein mit großem Schild angekündigter „río“meist als mürrisches Rinnsal.
Die Region bringt etwa die Hälfte der Gesamtproduktion des Landes an Getreide und Wein hervor. Wo diese Einkommensquellen fehlen, wird alles Don Quijote und existiert dann nur noch zur Verkörperung dieses einen großen Namens. Er gewährt Zugang zu einer Landschaft, die viele reizlos finden, aber weil Don Quijote und Sancho Panza hier durchgeritten sind, irgendwie doch sehr edel. Exakt lokalisieren lassen sich die Schauplätze der meisten Episoden des Don Quijote nicht. Er taucht dennoch überall auf – als Wegweiser, Kühlschrankmagnet und Schlüsselanhänger.
Ritterliches Connery-Double
Wer den Fließband-Souvenirs entgehen will, landet häufig vor einem Don-Quijote-Denkmal: der lange, spindeldürre Ritter auf seinem klapprigen Gaul Rocinante, neben dem kleinen, dicken Sancho auf dem gedrungenen Esel, von dem nie jemand weiß, das er Rucio heißt. In der bildhauerischen Interpretation gerät der Persönlichkeitsausdruck erstaunlich uneinheitlich. So reitet auf der Plaza de España in Madrid kein Ritter von der traurigen Gestalt, sondern ein heroisches Sean-Connery-Double.
Der Künstler Domingo Bascuñana Bascuñán wollte wiederum die Wichtigkeit der Landwirtschaft für die Menschen der Mancha symbolisieren. Er schmiedete ein Skulpturentrio aus Pflugscharen zusammen. Ritter und Knappe gerieten ihm zwar zu Cowboykarikaturen, aber Don Quijotes angebetete Dulcinea hat Schürze und Kopftuch einer Bäuerin umgebunden. Ihren Platz haben die drei Fi- guren bei den Mühlen von Mota del Cuervo gefunden. Windmühlen – endlich!
Von den rund 400 Exemplaren, die hier ihre Flügel einst drehten, sind vielleicht noch 50 vorhanden. Alles Attrappen. Als leere Hüllen dekorieren sie die Landschaft. Kaum eine besitzt noch ein Innenleben mit Originalmechanik, und wenn doch, wird es nur zur Demonstration in Betrieb gesetzt, damit die Zuschauer entzückt ausrufen können: Hier also kämpfte Don Quijote mit den Windmühlen. Nein! Entsetztes Aufheulen in Campo de Criptana.
Die Freunde der Mühlen
Die kleine Stadt in der Provinz Ciudad Real feiert sich als einzig wahren Schauplatz von Quijotes Mühlen-Intermezzo. Auch hier mühen sich die Einwohner, lebendig zu halten, was nie lebendig war: die Erinnerung an ein Ereignis aus Kapitel VIII. des ersten Don-Quijote-Bandes. Die Vereinigung der Freunde der Mühlen des Hidalgos laden regelmäßig ein zum Besuch auf die Kämme der Sierra de la Paz. Zwei Laienschauspieler legen dort das Ritter- und Knappenkostüm an, posieren vor der Mühlenkulisse, und Sancho spricht folgende Sätze: „Habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt achtgeben, es sind nichts als Windmühlen, was nur einer in den Wind schlagen kann, dem sich selbst eine Mühle im Kopf dreht.“Nichts als Windmühlen – keine Romanschauplätze. Wir sind hier nicht in Rosamunde Pilchers Cornwall.
In Puerto Lapice betreiben spanische Illusionskünstler das Gasthaus, in dem sich Don Quijote zum Ritter schlagen ließ. In Argamasilla de Alba gewähren sie Einlass in ein Kellerverlies, in dem Cervantes wegen Steuerbetrugs einsaß und vielleicht mit dem Schreiben von Don Quijote begonnen hat. Und in El Toboso führen sie durch das „Originalwohn- haus“von Dulcinea oder laden ein in Bodegas, deren Weine Sancho Panza geschmeckt haben könnten. Aus all diesen und noch mehr Orten besteht die 2500 Kilometer lange „Route des Don Quijote“. Am Ende kennt der Reisende zu keinem dieser Orte eine Geschichte, die nicht mit dem Roman zu tun hat. Paradox. Wird damit doch wahr, was der fiktive Sancho Panza prophezeite: „Ich will wetten, es vergeht nicht viel Zeit, so wird es keine Schenke, kein Wirtshaus und keine Barbierstube geben, wo nicht die Geschichte unserer Taten gemalt zu sehen ist.“
Mit Don Quijote hat Cervantes der Welt eines der größten Werke der Literatur und der Mancha einen wichtigen Arbeitgeber geschenkt. Aus seiner literarischen Großtat ist ein Verkaufsargument geworden, sein Don Quijote eine Figur, mit der man sich schmücken möchte – sogar Diktatoren. Wer etwa hätte Hitler zugetraut, dass er Cervantes gelesen hat? Hat er vielleicht auch nicht, nichtsdestotrotz führt man deutschsprachige Besucher im Museo Cervantino in El Toboso immer zu einer Vitrine, in der die Quijote- Ausgabe mit einer Widmung des Reichskanzlers präsentiert wird. Mussolini, al-Gaddafi und Franco wollten ebenfalls als Quijote-Fans gelten und schenkten dem Museum ihre Leseexemplare. Dort liegen sie neben den Bänden von Mandela, Mitterrand und Alec Guinness. Mittlerweile ist die Sammlung auf rund 700 Bücher in 70 Sprachen, darunter Sanskrit, Gälisch, Esperanto, Xhosa und Koreanisch, angewachsen.
Keine traurige Gestalt
In einer Ecke seines Souvenirshops versteckt das Museo Cervantino ein Ölgemälde. Kaum ein Besucher beachtet es. „Imagination“hat der galizische Künstler Alberto Martin Giraldo es genannt. Er hat keine traurige Gestalt in rostzerfressener Rüstung gemalt. Sein Don Quijote steht mit nacktem Oberkörper da. Er hält dem Betrachter des Bildes das zerbeulte Barbierbecken entgegen, das ihm als Ritterhelm diente, und lässt daraus zartblaue Schmetterlinge emporflattern.
Giraldo will damit wohl sagen: Nichts ist diesem Fantasten geblieben als seine Träumereien, die aber schickte er in die Welt hinaus, damit sie sich verändert. Und sie hat sich verändert, dank Don Quijote. Es heißt zum Beispiel, dass französische Truppen, die während der napoleonischen Kriege die iberische Halbinsel verwüsteten, El Toboso nur deshalb verschont hätten, weil sie die Heimatstadt von Dulcinea sei.
In der Realität umschauen
Vielleicht ist es so wie mit dem Blick auf einen leuchtenden Stern. Wer leicht an ihm vorbeisieht, statt ihn direkt zu fixieren, erkennt sein Licht deutlicher. Wer sich den Traum von Don Quijote nicht verderben will, sollte also nicht zu genau hinsehen. Oder sich in der Realität der heutigen Mancha umschauen.
Die Sancho-Panza-Fleischplatten, die Kellner gerne in der Mancha servieren, waren natürlich nicht des Knappen Leibgericht. Aber sie schmecken oft hervorragend. Und die türkisen Wildbäche in den Lagunen von Ruidera sind wunderschön – auch wenn Don Quijote den Zauberer Merlin hier bestimmt nicht getroffen hat.
Diese Reise erfolgte teilweise auf Einladung des Reiseveranstalters Gebeco.