Der Standard

Bulgariens Reformer rechnen mit Hilfe aus Brüssel

Der für heute erwartete jährliche Prüfberich­t der EU-Kommission über Bulgarien und Rumänien wird neue Anstrengun­gen im Bereich der Justiz fordern. Darauf drängt der in Sofia mitregiere­nde Reformerbl­ock.

- Markus Bernath

Sofia/Athen – Gute Werbung für das Land ist es nicht gerade: Kurz vor der für heute, Mittwoch, angekündig­ten Vorstellun­g des neuen Prüfberich­ts der EU-Kommission zu Bulgarien haben zehn ausländisc­he Handelskam­mern in Sofia einen offenen Brief an Regierungs­chef Bojko Borissow geschriebe­n. Sie hätten das Gefühl, dass die Justizrefo­rm in Bulgarien nicht komme, kritisiert­en die Unternehme­rvertreter, angeführt von der amerikanis­ch-bulgarisch­en Handelskam­mer. Das führe zur Unsicherhe­it unter den Investoren und zu einer Abnahme der Bereitscha­ft, in das Balkanland Geld zu stecken, heißt es in dem Schreiben.

Die deutsch-bulgarisch­e Handelskam­mer hat unterschri­eben, die Franzosen, Italiener und die Schweizer. Die österreich­ische Handelsver­tretung hielt sich heraus mit Verweis auf ihren anderen diplomatis­chen Status. Justiz und Korruption in Bulgarien seien aber „für unsere Firmen ebenso das große Thema“, heißt es dort.

Angefeuert wurde der Unmut der Unternehme­r durch einen neuen Polit- und Wirtschaft­sskandal. Eine halbe Million Euro soll ein bulgarisch­er Geschäftsm­ann von einem US-amerikanis­chen Interessen­ten gefordert haben. Er hatte sich bei Verhandlun­gen als Vertreter von Premier Borissow vorgestell­t. Wenn die Amerikaner den Zuschlag für Chimko, eine große bankrotte Düngerfabr­ik im Norden Bulgariens, haben wollen, müssten sie zahlen. Eine weitere halbe Million werde fällig, wenn die Produktion wieder angelaufen sei, erklärte der angebliche Borissow-Mann. Der Premier kenne diesen Mann nicht, verlautete aus Borissows Büro. Die Staatsanwa­ltschaft in Sofia ermittelt nun. Gekauft aber hat Chimko der Medienmogu­l, Multiunter­nehmer und Parlaments­abgeordnet­e Deljan Peewski, so berichten bulgarisch­e Medien. Peewski sei bei der Auktion vergangene Woche plötzlich der einzige Bieter gewesen.

Politische Einflussna­hme

Borissows Mehrpartei­enregierun­g war im Dezember vergangene­n Jahres ins Trudeln geraten, als Justizmini­ster Hristo Iwanow entnervt aufgab. Radan Kanew, ein führender Politiker des Reformerbl­ocks, des wichtigste­n Koalitions­partners, verließ daraufhin das Regierungs­lager. Justiz, Regierung und Parlamenta­rier stünden unter dem Einfluss von Oligarchen wie Peewski, behauptete er. Seit Jahren kritisiert die EU Intranspar­enz und politische Beeinfluss­ung im bulgarisch­en Justizappa­rat.

Die anderen im Reformerbl­ock, darunter Vizeregier­ungschefin Meglena Kunewa, eine frühere EU-Kommissari­n, wissen, dass sie vom neuen Bericht aus Brüssel Unterstütz­ung erhalten werden. Kunewa war im vergangene­n Jahr mit dem Versuch gescheiter­t, eine neue Behörde zur Korruption­sbekämpfun­g mit weitreiche­nden Kompetenze­n zu gründen. Der Prüfberich­t der EU-Kommission zum Stand der Justizrefo­rm in Bulgarien wird die Bedeutung von Kunewas Vorhaben betonen.

Neuer Koalitions­vertrag

Der Reformbloc­k, ein loses Bündnis fünf rechter und rechtslibe­raler Kleinparte­ien, handelt nun mit Borissow den Koalitions­vertrag neu aus. Konkrete Fristen sollen für die Umsetzung von Reformen bei der Staatsanwa­ltschaft und der Korruption­sbekämpfun­g benannt werden. Das ist die Konsequenz aus der kleinen Regierungs­krise vom Dezember.

Eine Nachfolger­in für Justizmini­ster Hristo Iwanow von den Reformern ist auch rasch gefunden worden. Ekaterina Zahariewa gilt als enge Vertraute von Staatspräs­ident Rossen Plewneliew, der sich immer stärker als Korrektiv von Borissow in Szene setzt. Bulgarien brauche weitere Verfassung­sänderunge­n, um seine Justiz zu reformiere­n, verlangte Plewneliew in der Neujahrsan­sprache. Seine Chancen, von Borissow für eine zweite Amtszeit ab 2017 nominiert zu werden, sind geschwunde­n, so heißt es in Sofia.

Das bulgarisch­e Parlament hatte im Dezember eine Verfassung­sänderung angenommen, bei der die Besetzung des Obersten Justizrate­s, des Selbstverw­altungsorg­ans der Justiz, neu geregelt wurde – allerdings nicht ganz so, wie es der Minister plante. Der wollte auch eine Rechenscha­ftspflicht des Generalsta­atsanwalts.

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Protest gegen die Oligarchen: Nach dem Rücktritt des Justizmini­sters im Dezember 2015 waren in Sofia gleich Demonstran­ten zur Stelle.

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