Der Standard

Im Schmalz geboren

Während das Schemafern­sehen dahinsiech­t, wird in den Romantikab­teilungen der TV-Sender nach wie vor entschloss­en geliebt, gelitten und geschmacht­et. Das Liebeswerb­en hat kein Ende bei Rosamunde, Inga und Katie – selbst wenn der Brexit einiges komplizier­te

- VON HERZEN MIT SCHMERZEN: Doris Priesching

enn ich heimkomme und nichts mehr sehen und hören will. – In schwachen Momenten. – Wegen der schönen Landschaft. Wer nach Rosamunde Pilcher fragt, erhält Geständnis­se. Alle bringen gute Gründe vor, warum sie abends gerne den Balztänzen von Gloria, William, Penelope, Thomas, Joanna und Oscar beiwohnen möchten. Entweder das, oder es wird schlichtwe­g bestritten, regelmäßig­es Ringen von Alicia, Will, Jessica, Steve, Marie und Daniel verfolgt zu haben. Rosamunde Pilcher? Nie im Leben! Lilly Schönauer? Unter meinem Niveau. Katie Fforde: Schau’ ich so aus? Utta Danella? Ist die nicht schon tot?

Zumindest Letzteres stimmt, doch davon später. Denn es ist schon ein kleines bisschen seltsam, wenn angeblich so gar niemand – oder nur in Ausnahmesi­tuationen – die Fernsehrom­anzen schauen mag. Denn seit inzwischen mehr als 23 Jahren können sich ORF, ARD und ZDF auf Millionen Zuseher verlassen, die sich ganz nebenbei und mit vereinten Kräften gegen den angekündig­ten Tod des Schemafern­sehens stemmen. 23 Jahre – das ist im Medienzeit­alter eine ganze Ewigkeit. 1993 gilt als Geburtsstu­nde des World Wide Web. Wer wann welche Sendung konsumiert, bestimmen inzwischen mehr und mehr Zuschauer, und nicht die Sender. Ungeachtet dessen wird im Fernsehen wie am ersten Tag glupschäug­ig geliebt, geseufzt, geschmacht­et. Da mag die Medienwelt noch so rumpeln und beben, die Ikonen der Romanzen stehen fest auf dem felsigen Untergrund des Gebührenfe­rnsehens, und keine noch so steife Brise des Wandels kann sie ins Wanken bringen. Ein Phänomen.

„Big Five“der TV-Romanzen

„Landschaft, schöne Liebesgesc­hichte, Konflikt, Kostüme“, zählt Andrea Klingensch­mitt unverzicht­bare Bestandtei­le auf, die eine Romanze beim ZDF haben muss. Die Redakteuri­n sorgt in Mainz seit 1993 dafür, dass die – hüstel – Qualität hält. Wer sich danach richtet, kann mit Wellen der Publikumsz­ustimmung rechnen. Für den anhaltende­n Erfolg bürgen die „Big Five“der TV-Romanzen:

Rosamunde Pilcher feiert im September ihren 92. Geburtstag. Ihr Vermögen wird auf 200 Millionen Euro geschätzt. 1987 schrieb sie ihren ersten Roman Die Muschelsuc­her und machte dadurch die englische Küste zum Sehnsuchts­ort, an dem es nur dann regnet, wenn sich die Herzen gerade wieder einmal verloren haben. Ihre Bücher schrieb die in Cornwall geborene Mutter von vier Kindern am Küchentisc­h. 2012 gab sie bekannt, mit dem Schreiben aufzuhören. Seit 1993 verfilmt das ZDF PilcherSto­ffe. Noch ist Material vorhanden: 30 Kurzgeschi­chten warten auf ihre Umsetzung. Der ORF produziert­e 17 Jahre mit, die höchste Reichweite zählte der Gebührenfu­nk am 18. Oktober 1995: Die Ausgabe Sommer am Meer sahen durchschni­ttlich 1,3 Millionen Menschen, was einem Marktantei­l von 51 Prozent entspricht. Österreich­s Öffentlich-Rechtliche­r sprang aber 2012 ab, weil der Sonntagste­rmin mit dem Tatort auf ORF 2 zu gut läuft. Inzwischen wird über eine ORF-Rückkehr aber bereits wieder verhandelt. In Großbritan­nien ist Pilcher übrigens weitgehend unbekannt.

Ein Teil der Pilcher-Drehbücher stammt von Christiane Sadlo. Aus ihr wurde 2004 Inga Lindström: Unter der Marke versammelt das ZDF seit 2004 Geschichte­n von Liebe, Land und Leidenscha­ft im malerische­n Schweden. Die 62-Jährige arbeitete als Journalist­in unter anderem für Süddeutsch­e Zeitung und Cosmopolit­an, mit Fernsehdre­hbüchern belieferte sie auch Bergdoktor, In aller Freundscha­ft und Familie Dr. Kleist.

26 Filme nach Katie Fforde verfilmte das ZDF seit 2010. Die Liebesaben­teuer der 63-jährigen Britin spielen in New York. Sie zeichnet sich durch besonders prosaische Titel aus: An deiner Seite, Das Meer in dir, Warum hab ich ja gesagt? oder zuletzt, kurz und bündig: Du und ich.

Lilly Schönauer war die österreich­isch-bayerische Pilcher, wie Inga Lindström ein Pseudonym. Das Autorenkol­lektiv brachte es zwischen 2006 und 2013 auf 14 Filme. Das Ende kam, weil der ORF den Sparstrump­f ansetzte und sich als Koproduzen­t von der ARD verabschie­dete. Die deutsch eS chmonzette­n autorin

Utta Danella, geboren 1920 als Utta Denneler in Leipzig, starb 2015 im hohen Alter von 95 Jahren in München. Ihr Oeuvre umfasst mehr als 30 Bücher, die sie mehr als 70 Millionen Mal verkaufte. Die Werke tragen Titel wie Plötzlich ist es Liebe, Eine Liebe in Venedig, Eine Liebe im September, dutzende verfilmte die ARD-Produktion s tochter Degeto seit 2000, zuletzt liefen Lügen haben schöne Beine und Lisa schwimmt sich frei.

Das Fernsehen leistet dabei die Arbeit einer Bedürfnis befriedigu­ng san st alt im großen Stil: Allein sechs Pilcher-Filme werden pro Jahr in Cornwall gedreht, je sechs entstehen für die Inga-Lindström- und für die Katie-Fforde-Reihe. Die Drehorte selbst sind Magnete für Touristens­tröme geworden, 25.000 zieht es laut Guardi anna ch Cornwall. Etliche Reise veranstalt­er haben Touren im Programm, die an Original schauplätz­e führen .„ InPri de auxPlace gibt es sogar deutschspr­achige Führer“, sagt Andrea Hetzelvomb­ri tischen Fremdenver­kehr samtVisitB­rita in. Im Sommers ei rund um Newquay „richtig viel los“, erzählt sie. Seit Jahren pilgern Fans dorthin und lassen nicht nur ihr Herzblut liegen: Eine siebentägi­ge Tour kostet etwa bei Blaguss rund 2000 Euro.

Frauen haben Berufe: Gott sei Dank!

„Die Geschichte­n haben sich verändert“, sagt ZDF-Redakteuri­n Klingensch­mitt. „Die Frauen haben Berufe, Gott sei Dank!“, hält sie dem gängigen Vorurteil entgegen, wonach sich der weibliche Part auf sehnsüchti­ges Warten reduziere, bis endlich der Märchenpri­nz herangerit­ten kommt und die Braut heim ins Schloss bringt. Aber egal, ob Landflucht, Kinderwuns­ch oder ein Mann, der sich zwischen drei Frauen entscheide­n muss: Die glückende Zweierbezi­ehung als allein seligmache­nder Lebensentw­urf bleibt im Raum wie der Geruch einer an Inkontinen­z leidenden Teegesells­chaft.

Nein, man arbeite nicht mit Textbauste­inen, sagt Klingensch­mitt im Gespräch mit dem STANDARD. Ein guter Stab an Autoren ist engagiert, zu den wichtigste­n gehörten Barbara Engelke, Christiane Sadlo und bis vor kurzem Martin Wilke. Ungefähr 35 bis 40 Menschen arbeiten bei Pilcher-Filmen fast das ganze Jahr über, damit der Nachschub nicht ausbleibt. „Bisher gab es noch keine Doppelunge­n“, sagt sie.

Von Mitte April bis November tummeln sich die Filmleute in Cornwall. Für neunzig Filmminute­n brauchen sie sechs Wochen mit Vorbereitu­ng. Der Brexit mache das komplizier­ter, sagt Klingensch­mitt. Über all die Jahre wurden Beziehunge­n geknüpft: „Wir haben mittlerwei­le 26 Babys“, sagt die ZDF-Redakteuri­n. Es gehe um Fragen der Doppelstaa­tsbürgersc­haft, Dienstverh­ältnisse, Visa. Mitgespiel­t hat alles, was im deutschen Mainstream-TV Rang und Namen hat: Uschi Glas, Senta Berger, Gaby Dohm, Natalia Wörner, Alexandra Neldel, Muriel Baumeister – alle haben es getan, wohl der Gage – um die 5000 Euro pro Drehtag – und der Landschaft wegen.

Am internatio­nalen Lizenzmark­t spielen die Romanzen eine ebenso gewichtige Rolle: „Die Polen reißen uns Rosamunde Pilcher aus den Händen“, sagt Klingensch­mitt. Vorwiegend Frauen schauen zu, von acht Millionen Zuschauern in Deutschlan­d sei regelmäßig eine Million der werberelev­anten 14- bis 49jährigen Frauen dabei.

Und so kommt es zur merkwürdig­en Tatsache, dass in diesen Tagen Pokémon Go, Schreberga­rtenbewegu­ng und Pilcherei glücklich koexistier­en, weil sie im Grunde ihres Herzens den gleichen Zweck erfüllen – sie erlauben Ausflüge in die Anderswelt, die den Alltag nur insofern abbildet, als sie Träume visualisie­rt: jagen, pflanzen, sich verlieben – Ideen, die zumindest für gewisse Zeit klare Ausrichtun­g verspreche­n. Mit Eskapismus allein lässt sich das nicht erklären. Denn die Flucht ins romantisch­e Nebenunive­rsum beinhaltet ja im ranzigen Romanzenre­ich die Vorstellun­g einer blitzsaube­ren, auf den Austausch von Speichelfl­üssigkeite­n beschränkt­en Heterowelt, in der Menschen mit blanker Biederkeit und weltfremde­r Prüderie um Zuneigung ringen, dass manch einem das nackte Grausen kommt – Entspannun­gswunsch am Abend hin oder her. Trost: Wenigstens Pokémon Go und Schreberga­rteln gehen früher oder später wieder vorbei.

 ?? Fotos: APA, ZDF, ORF, ARD; Collage: Standard ?? Alle finden bei Rosamunde Pilcher (li. oben) ein glückliche­s Ende: Mariella Ahrens, Nicolas König, Barbara Wussow, Albert Fortell, Markus Knüfken, Johanna Christine Gehlen, Muriel Baumeister, Bernhard Schir, Gaby Dohm, Friedrich von Thun, Simon Verhoeven, Alexandra Neldel, Uschi Glas, William Thomas. Utta Danella (2. Reihe von unten, li.) hilft mit.
Fotos: APA, ZDF, ORF, ARD; Collage: Standard Alle finden bei Rosamunde Pilcher (li. oben) ein glückliche­s Ende: Mariella Ahrens, Nicolas König, Barbara Wussow, Albert Fortell, Markus Knüfken, Johanna Christine Gehlen, Muriel Baumeister, Bernhard Schir, Gaby Dohm, Friedrich von Thun, Simon Verhoeven, Alexandra Neldel, Uschi Glas, William Thomas. Utta Danella (2. Reihe von unten, li.) hilft mit.
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