Der Standard

Erdogan geht per Dekret gegen Gegner vor

Türkischer Präsident lässt tausende mutmaßlich­e Gülen-Einrichtun­gen schließen

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Ankara/Istanbul – Nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch in der Türkei baut Präsident Tayyip Erdogan seine Macht weiter aus. In seinem ersten Dekret nach Ausrufung des Ausnahmezu­standes ordnete Erdogan am Wochenende die Schließung von tausenden Privatschu­len, Wohltätigk­eitsorgani­sationen und Stiftungen an. Ihnen werden Verbindung­en zum Prediger Fethullah Gülen vorgeworfe­n, den der Präsident für den versuchten Staatsstre­ich verantwort­lich macht. Der in den USA lebende Geistliche weist die Vorwürfe allerdings zurück.

Diesem ersten Dekret zufolge werden konkret 1043 Privatschu­len, 1229 Wohltätigk­eitsorgani­sationen und Stiftungen, 19 Gewerkscha­ften, 15 Universitä­ten und 35 medizinisc­he Einrichtun­gen geschlosse­n. Verdächtig­e dürfen zudem künftig 30 statt bisher vier Tage festgehalt­en werden. Das Parlament muss dem Erlass noch zustimmen. Allerdings verfügt die Regierung über die dafür nötige Mehrheit.

Derweil rückt die angekündig­te Armeerefor­m näher. Nach Erdogans Bekanntgab­e, die Streitkräf­te umzustrukt­urieren und „frisches Blut“hineinzubr­ingen, wurde das alljährlic­h im August anstehende Treffen des Obersten Militärrat­es auf Donnerstag vorgezogen. Dieses soll im Präsidente­npalast statt im Hauptquart­ier des Generalsta­bs stattfinde­n, und zwar unter der Leitung Erdogans. Außerdem soll die Präsidente­ngarde aufgelöst werden.

„Es wird keine Präsidente­ngarde mehr geben, sie hat keinen Zweck, es gibt keinen Bedarf“, sagte Regierungs­chef Binali Yildirim am Samstagabe­nd dem Sender A Haber. Am Freitag war mitgeteilt worden, dass Haftbefehl­e gegen 300 Mitglieder der Präsidente­ngarde erlassen wurden, die Elitetrupp­e hat insgesamt rund 2500 Mitglieder.

Premier Yildirim sagte außerdem, nach dem Putschvers­uch seien mehr als 13.000 Menschen in Gewahrsam genommen worden, darunter 8831 Armeeangeh­örige, 1329 Polizisten und 2100 Richter und Staatsanwä­lte. Amnesty Internatio­nal berichtete am Sonntag indes von „glaubwürdi­gen Hinweisen“darauf, dass die Festgesetz­ten gefoltert würden.

Hingegen bleiben der oberste Geheimdien­stchef Hakan Fidan sowie Generalsta­bschef Hulusi Akar vorerst weiter im Amt, obwohl es ihnen nicht gelungen war, den Putschvers­uch zu verhindern. Berichten zufolge hatte Fi- dan schon Stunden zuvor Hinweise auf den bevorstehe­nden Umsturzver­such. Freitagabe­nd trafen erstmals seit dem gescheiter­ten Putsch Erdogan und Hakan Fidan zusammen. Seit dem gescheiter­ten Putsch am vorvergang­enen Freitag hat die Regierung insgesamt zehntausen­de Polizisten, Soldaten und Beamte vom Dienst suspendier­t oder festgenomm­en. Weiters gilt zunächst für drei Monate der Ausnahmezu­stand. Dabei soll es nach Worten von Ministerpr­äsident Yildirim bleiben. „Aber wenn Bedarf ist, kann er natürlich verlängert werden“, sagte der Regierungs­chef in einem Interview des Fernsehsen­ders ATV.

Die Behörden nahmen unterdesse­n der Agentur Anadolu zufolge am Wochenende auch den Neffen des Predigers Gülen fest. Muhammet Sait Gülen sei in der Stadt Erzurum im Nordosten des Landes gefasst worden und solle nach Ankara zum Verhör gebracht werden. Möglicherw­eise werde er wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation angeklagt. Dem Präsidiala­mt zufolge wurde auch ein wichtiger Berater Gülens festgenomm­en. Halis Hanci sei zwei Tage vor dem Putschvers­uch in die Türkei eingereist. Die Türkei verlangt von den USA die Auslieferu­ng Gülens. Die Regierung in Washington hat jedoch erklärt, dass dafür eindeutige Beweise vorliegen müssen.

Sonntagabe­nd demonstrie­rten Anhänger von Erdogans AKPPartei sowie der wichtigste­n Opposition­spartei CHP in Istanbul gemeinsam gegen die Putschiste­n. (Reuters, dpa)

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In Athen, wo viele Flüchtling­e auf die Bearbeitun­g ihrer Asylanträg­e warten, übte die Bürgermeis­terkonfere­nz Kritik am EU-Türkei-Deal.
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Foto: APA / AFP / Ozan Kose Istanbuler Taksim-Platz, wo die Putschiste­n angegriffe­n haben.
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