Kiews Kampf an allen Fronten
Krisenstimmung in der Ukraine: Die Verluste im Donbass nehmen zu, der Mord am Journalisten Pawel Scheremet zeigt die Schwäche der Regierung auf. Schon werden die Rufe nach einer harten Hand laut.
Kiew/Moskau – Am Wochenende wurde Pawel Scheremet in seiner Heimatstadt Minsk beerdigt. Die weißrussische Führung ignorierte die Veranstaltung – der bekannte Journalist fiel bei Präsident Alexander Lukaschenko schon vor etwa 20 Jahren in Ungnade und war sogar zeitweise im Gefängnis. Dennoch gaben rund 1000 Menschen Scheremet das letzte Geleit, darunter der weißrussische Oppositionelle Wladimir Nekljajew, der russische Oppositionspolitiker Ilja Jaschin, aber auch mehrere Rada-Abgeordnete und der Pressechef von Petro Poroschenko, Swjatoslaw Zegolko.
Poroschenko selbst nahm bereits in Kiew Abschied von Scheremet. Die Nachricht über die Ermordung des Journalisten, den er persönlich gekannt habe, sei ein „Schock“für ihn gewesen, betonte er. Beobachtern ist freilich die böse Ironie des Schicksals nicht verborgen geblieben, dass sich Scheremet sowohl in Minsk als auch in Moskau mit den Mächtigen anlegte und doch in Kiew, wo er als gelitten galt, ermordet wurde.
Der Anschlag muss auch als eine Art „schwarzer Fleck“für Poroschenko selbst angesehen werden, dokumentiert er doch, dass Demokratie und Pressefreiheit in der Ukraine weiter akut bedroht sind. Generalstaatsanwalt Juri Lu- zenko nannte am Samstag Rache wegen der Berichterstattung Scheremets als wahrscheinlichstes Motiv. Den Täter konnten die Ermittler aber bislang nicht finden.
Verluste im Donbass
Poroschenko hatte den Tod Scheremets daher mit einiger Berechtigung als Eröffnung einer „zweiten Front“bezeichnet, denn tatsächlich wird der Druck auf die Kiewer Führung nun noch größer. Schon mit der „ersten Front“, dem Konflikt in der Ostukraine, ist sie dabei sichtlich überfordert. Trotz eines offiziell geltenden Waffenstillstands kommen die Kämpfe im Donbass nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: Der gegenseitige Be- schuss hat sich zuletzt wieder deutlich verschärft. Am Samstag kamen bei den Kämpfen sechs Soldaten ums Leben, weitere 13 wurden verletzt.
Die Forderung nach einer harten Hand gewinnt daher an Popularität. So sprach sich der einstige Übergangspräsident Wladimir Turtschinow schon vor einigen Tagen für die Ausrufung des Kriegsrechts aus. Das würde die Bürgerrechte der Ukrainer deutlich beschneiden.
Dialogbereiter im Umgang mit den Separatisten zeigte sich ausgerechnet die vor wenigen Wochen aus russischer Haft freigekommene Expilotin und inzwischen Rada-Abgeordnete Na- deschda Sawtschenko, die eine Aussöhnung vorschlug, indem sich beide Seiten gegenseitig um Vergebung bäten.
Dafür sind ihre innenpolitischen Aussagen umso härter. So wiederholte sie nicht nur ihre Ambitionen auf das Präsidentenamt, sondern forderte darüber hinaus auch noch diktatorische Vollmachten: Es sei wohl nötig, für eine Zeitlang „so ein Diktator zu werden, der alles in seinen Händen hält“, sagte sie. Nur so könne die Macht am Ende wirklich dem Volk übergeben werden. Verlässliche Umfragen über ihren Rückhalt in der Bevölkerung gibt es nicht – klar ist aber auch: Poroschenko ist deutlich unbeliebter.