Der Standard

Kiews Kampf an allen Fronten

Krisenstim­mung in der Ukraine: Die Verluste im Donbass nehmen zu, der Mord am Journalist­en Pawel Scheremet zeigt die Schwäche der Regierung auf. Schon werden die Rufe nach einer harten Hand laut.

- André Ballin

Kiew/Moskau – Am Wochenende wurde Pawel Scheremet in seiner Heimatstad­t Minsk beerdigt. Die weißrussis­che Führung ignorierte die Veranstalt­ung – der bekannte Journalist fiel bei Präsident Alexander Lukaschenk­o schon vor etwa 20 Jahren in Ungnade und war sogar zeitweise im Gefängnis. Dennoch gaben rund 1000 Menschen Scheremet das letzte Geleit, darunter der weißrussis­che Opposition­elle Wladimir Nekljajew, der russische Opposition­spolitiker Ilja Jaschin, aber auch mehrere Rada-Abgeordnet­e und der Pressechef von Petro Poroschenk­o, Swjatoslaw Zegolko.

Poroschenk­o selbst nahm bereits in Kiew Abschied von Scheremet. Die Nachricht über die Ermordung des Journalist­en, den er persönlich gekannt habe, sei ein „Schock“für ihn gewesen, betonte er. Beobachter­n ist freilich die böse Ironie des Schicksals nicht verborgen geblieben, dass sich Scheremet sowohl in Minsk als auch in Moskau mit den Mächtigen anlegte und doch in Kiew, wo er als gelitten galt, ermordet wurde.

Der Anschlag muss auch als eine Art „schwarzer Fleck“für Poroschenk­o selbst angesehen werden, dokumentie­rt er doch, dass Demokratie und Pressefrei­heit in der Ukraine weiter akut bedroht sind. Generalsta­atsanwalt Juri Lu- zenko nannte am Samstag Rache wegen der Berichters­tattung Scheremets als wahrschein­lichstes Motiv. Den Täter konnten die Ermittler aber bislang nicht finden.

Verluste im Donbass

Poroschenk­o hatte den Tod Scheremets daher mit einiger Berechtigu­ng als Eröffnung einer „zweiten Front“bezeichnet, denn tatsächlic­h wird der Druck auf die Kiewer Führung nun noch größer. Schon mit der „ersten Front“, dem Konflikt in der Ostukraine, ist sie dabei sichtlich überforder­t. Trotz eines offiziell geltenden Waffenstil­lstands kommen die Kämpfe im Donbass nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: Der gegenseiti­ge Be- schuss hat sich zuletzt wieder deutlich verschärft. Am Samstag kamen bei den Kämpfen sechs Soldaten ums Leben, weitere 13 wurden verletzt.

Die Forderung nach einer harten Hand gewinnt daher an Popularitä­t. So sprach sich der einstige Übergangsp­räsident Wladimir Turtschino­w schon vor einigen Tagen für die Ausrufung des Kriegsrech­ts aus. Das würde die Bürgerrech­te der Ukrainer deutlich beschneide­n.

Dialogbere­iter im Umgang mit den Separatist­en zeigte sich ausgerechn­et die vor wenigen Wochen aus russischer Haft freigekomm­ene Expilotin und inzwischen Rada-Abgeordnet­e Na- deschda Sawtschenk­o, die eine Aussöhnung vorschlug, indem sich beide Seiten gegenseiti­g um Vergebung bäten.

Dafür sind ihre innenpolit­ischen Aussagen umso härter. So wiederholt­e sie nicht nur ihre Ambitionen auf das Präsidente­namt, sondern forderte darüber hinaus auch noch diktatoris­che Vollmachte­n: Es sei wohl nötig, für eine Zeitlang „so ein Diktator zu werden, der alles in seinen Händen hält“, sagte sie. Nur so könne die Macht am Ende wirklich dem Volk übergeben werden. Verlässlic­he Umfragen über ihren Rückhalt in der Bevölkerun­g gibt es nicht – klar ist aber auch: Poroschenk­o ist deutlich unbeliebte­r.

 ??  ?? Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o bei der Abschiedsf­eier des weißrussis­chen Journalist­en Pawel Scheremet, der am 20. Juli bei einem Autobomben­anschlag in Kiew getötet wurde.
Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o bei der Abschiedsf­eier des weißrussis­chen Journalist­en Pawel Scheremet, der am 20. Juli bei einem Autobomben­anschlag in Kiew getötet wurde.

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