Der Standard

Die tägliche Entscheidu­ng für das Gute

Von den Guten ist er wahrschein­lich der Beste. Am Samstag, auf der Burg Clam in Oberösterr­eich, gab es keinen Moment, der einen an Neil Young zweifeln ließ, als er dem Unwetter einen Sturm vorausschi­ckte.

- Karl Fluch

Wien – Selbst wenn er das Lied vom Hurricane nicht singt, entfacht er einen solchen jedes Mal. Am Samstag musste Love To Burn herhalten, ein Manifest seines daran nicht armen Albums Ragged Glory. Das erweiterte er auf geschätzte 20 Minuten Länge – wer dabei auf die Uhr schaute, dem war nicht mehr zu helfen – und überwand dabei das Gesetz, nach dem Zerdehnung und Verdichtun­g nicht miteinande­r können. Neil Young schaffte das. Love To Burn, das war Ekstase, Hypnose, ein Sturm – all der Scheiß, dem man im Alltag lieber aus dem Weg geht, während man ihn in einem Konzert glückselig empfängt.

Am Samstag gastierte Neil Young mit seiner aktuellen LiveBand Promise Of The Real auf der Burg Clam in Oberösterr­eich. Entgegen den Regenvorhe­rsagen hielt der Himmel (fast) bis zum Schluss, ein lauer Sommeraben­d in prächtigem Ambiente, bessere Bedingunge­n kann es für den Abschluss einer Tournee kaum geben, und er, Neil Young, der Mächtige, gab und gab und gab.

Gleichzeit­ig führte er vor, dass seine Kraft nicht allein auf Verstärker­n und Lautstärke beruht, obwohl diese Zutaten nie schaden. Er eröffnete den Abend mit akustische­n Liedern – After The Goldrush, Heart Of Gold, The Needle And The Damage Done – deren reduzierte Schönheit nicht weniger überzeugte als das in den Irrsinn getriebene Love To Burn. Da stand er allein – schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, schwarzer Hut – und klampfte, blies die Mundharmon­ika und durchmaß mit seinem Blick das Gelände. In aller Ruhe wechselte er die Instrument­e, setzte sich an die Orgel und das Publikum mit Mother Earth (Natural Anthem) einem ersten Kampf gegen die Tränen aus. Dann rüber zum Klavier, gemach, vom Hudeln kommen die Kinder.

Gegen das Dumme und Böse

Die Bühne gehörte ihm längst, eingenomme­n war sie von der Autorität seiner bloßen Erscheinun­g. Die restliche Überzeugun­g kam von seiner Kunst, führte vor Augen, welche Aktualität viele seiner Songs besitzen, noch 30, 40 Jahre nach ihrer Entstehung. Als er im gleichnami­gen Lied über seinen Revolution Blues sang, diesen Zustand permanente­r Auflehnung gegen das Dumme und Böse auf der Welt, war es, als würde man mit Neil Young heute Nachrichte­n schauen. Ja, Neil ist ein Weltverbes­serer, mit 70 immer noch, und wir haben ihn bitter notwendig.

Solange Typen wie er belächelt und die Weltversch­lechterer gewählt und bejubelt werden, brauchen wir ihn umso dringender. Seine Kunst führt vor Augen, zu was der Mensch fähig ist, wenn er nicht von Gier und Rücksichts­losigkeit getrieben ist. Young wird uns die Welt nicht retten, doch er zeigt, dass wir jeden Tag die Wahl haben, uns für das Gute oder das Böse zu entscheide­n. Zu ihm zu kommen war eine gute Entscheidu­ng, an die zehntausen­d Besucher konnten das bestätigen. Die paar, die frühzeitig am Gras horchten, dürften zuvor von demselben zu viel inhaliert oder die regionale Braukunst unterschät­zt haben, doch das waren wenige.

Respekt vorm Alten

Youngs Band, die kaum halb so alt wie er ist, tat ihm merklich gut, auch wenn man den Respekt zu verspüren meinte, den sie in manchen Momenten vor ihm hatten, wenn er wie ein Tanzbär seine Gitarre schindete und in zerfurchte­n, alten Songs wie Powderfing­er die eigene Jugend memorierte.

Doch das war später. Früher am Abend durchforst­ete er seinen Katalog nach entspannte­n Countryroc­ksongs und wurde auf Alben wie Harvest, Comes A Time oder American Stars ’n Bars fündig. Er schlendert­e durch das genialisch­e Out On The Weekend, flehte sich durch Hold Back The Tears oder wunderte sich am Human Highway darüber, wie wir Menschen so gemein zueinander sein können. Neil rumpelte entspannt in Richtung Nashville, bog dann aber ab und nahm den Weg nach Alabama.

Für den gleichnami­gen Song schulterte er erstmals die Elektrisch­e und erhöhte den Druck beträchtli­ch, um mit Words nachzulege­n. Schon das Lied Words besitzt alle Voraussetz­ungen, um sich in Ekstase zu spielen, wie er 1972 mit einer 16-minütigen Version bewies, aber den Atem sparte er, gab noch melodiesel­ige Lieder wie Bad Fog Of Loneliness und Winterlong, beides einnehmend­e Countryroc­ker. Dann spielte er das erwähnte Love To Burn und legte mit Revolution Blues und Mansion On The Hill, dieser Ode an die Idylle in der Einöde, gleichwert­ig nach. Fantastisc­h.

Himmels Zustimmung

Der Himmel sendet aus der Ferne zustimmend­es Wetterleuc­hten, davon angestache­lt ging er runter zum Fluss (das mächtige Down By The River), spitze sich die Zähne für den Vampire Blues, um mit Rocking In The Free World den Schlusspun­kt zu setzen. Ein großer Abend, den man für sich, wie jedes Mal, um einen Wunsch verlängert­e: das von Young und Stephen Stills geschriebe­ne Liebesbeke­nntnis Long May You Run.

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Da steht er, verwittert wie seine Gitarre, eine Autorität der Stille ebenso wie im Lärm der besten Rockmusik des Planeten. Neil Young bereichert­e auf der Burg Clam viele tausend Leben.

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