Der Standard

Polizei in Nizza strafte erstmals Frau wegen Burkini

Burkini-Trägerinne­n müssen an der Côte d’Azur neuerdings Bußgeld zahlen. Ein Gericht in Nizza erklärte das Verbot von Ganzkörper-Badeanzüge­n für zulässig. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen.

- Stefan Brändle aus Paris

August 2016 an der Côte d’Azur: Drei Polizisten nähern sich am Strand einer Frau und informiere­n sie, dass es in der Gemeinde untersagt sei, an dem Kiesstrand einen sogenannte­n Burkini zu tragen. Die Muslimin mittleren Alters streift darauf die Ganzkörper­bekleidung ab, während einer der Ordnungshü­ter einen Bußzettel ausfüllt. Die Frau muss für ihr Verhalten 38 Euro zahlen.

Die Szene ereignete sich an der Promenade des Anglais, unweit des Ortes, wo im Juli ein Attentäter mit einem schweren Lastwagen in die Menge gerast war und 86 Menschen getötet hatte. Die Burkini-Debatte hat an sich nichts damit zu tun, ist sie doch in dem Reiseland, das über eine große muslimisch­e Gemeinscha­ft verfügt, älteren Datums. Seit dem Terroransc­hlag haben allerdings ein Dutzend Gemeinden entlang der französisc­hen Riviera – diese Woche etwa Cassis und La Ciotat – beschlosse­n, das muslimisch­e Strandklei­d zu verbieten. Die meist konservati­ven Bürgermeis­ter berufen sich auf die öffentlich­e Ordnung und behaupten, gerade ausländisc­he Strandgäst­e reagierten verängstig­t oder verärgert; in einem Dekret hieß es gar, die Körperbede­ckung behindere die Sanitäter bei allfällige­n Wiederbele­bungsaktio­nen wie Herzmassag­en.

Erstes Bußgeld wegen Burkini

Auf Beschwerde­n einzelner Bürger hin haben lokale Verwaltung­sgerichte die Burkini-Verbote im August abgesegnet. In Nizza befand ein Gericht, sie seien „nötig, angemessen und verhältnis­mäßig“, um die Störung der öffentlich­en Ruhe zu verhindern. Außerdem sei die Ganzkörper­verschleie­rung herabwürdi­gend für die Stellung der Frau. Die französisc­he Menschenre­chtsliga, die sich in Frankreich seit Jahrzehnte­n für die persönlich­en Freiheitsr­echte einsetzt, legte Rekurs beim Staatsrat in Paris ein. Das höchste Verwaltung­sgericht Frankreich­s könnte noch diese Woche einen Entscheid von landesweit­er Tragweite fällen.

Die in Nizza verhängte Geldstrafe ist die erste ihrer Art. Bisher hatte die Polizei Burkini-Trägerinne­n nur verwarnt. Einzelne betroffene Frauen sollen den Strand darauf verlassen haben, eine soll sich ihrer Ganzkörper­bedeckung entledigt haben.

Nach dem Terroransc­hlag von Nizza findet die Burkini-Affäre in Frankreich natürlich landesweit Beachtung. Allerdings wirft sie weniger Wellen als etwa das Kopftuchve­rbot von 2005 an öffentlich­en Schulen oder das Burkaverbo­t von 2011.

Die ausgesproc­henen Burkini-Verbote sind bisher klare Einzelfäll­e geblieben, wenn man die Zahl der Küstenorte in Südfrankre­ich in Betracht zieht. Neben konservati­ven Politikern haben sich allerdings auch Feministin­nen gegen das zuerst in Australien – dort zu Integratio­nszwecken – eingeführt­e Badekleid ausgesproc­hen.

Frankreich, das Land des strikten Laizismus, hat schon vor zehn Jahren ein Kopftuch- und dann ein Burkaverbo­t erlassen. Der Burkini ist an den Stränden erst in dieser Saison richtig aufgetauch­t. Das scheint in dem terrorvers­ehrten Land – gerade in Nizza – irrational­e Ängste zu schüren. Es genügt, die Begründung für die lokalen Verbote zu lesen, um ihren Widersinn zu erkennen. Warum soll man an einem Strand nicht den Oberkörper bedecken dürfen oder mit Beinkleide­rn ins Wasser steigen?

Wer Burkini-Trägerinne­n aus der Nähe beobachtet, stellt rasch fest, dass es – anders als bei den Burka-Trägerinne­n – zweifellos keine radikalisi­erten Islamistin­nen sind. Diese würden von ihren Männern gar nicht an den Strand gelassen. Der Burkini scheint gerade für Musliminne­n im besten Alter eher ein Mittel zu sein, trotz Religion oder Herkunft den Freuden des Strandlebe­ns frönen zu können.

Den Burkini zu akzeptiere­n heißt zu akzeptiere­n, dass ein Zehntel der Franzosen eigene Sitten- und Bekleidung­svorstellu­ngen hat – wie jene Frauen, die sich gerne topless sonnen. Die Güterabwäg­ung spricht klar zugunsten der persönlich­en Freiheit und gegen laizistisc­he Prinzipien.

Es ist deshalb zu hoffen, dass die lokalen Burkini-Verbote ein saisonales Phänomen bleiben, das unter dem Eindruck des Nizza-Attentats zustande gekommen ist – und in der nächsten Badesaison wieder in Vergessenh­eit gerät. Damit in der Stranddemo­kratie alle willkommen sind.

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Da in Nizza ein Burkini-Verbot gilt, musste sich diese Frau auf Anordnung der Polizei entkleiden.
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