Der Standard

Heitere Opernlügen und -leidenscha­ften

Das renommiert­e US- Opernfesti­val in Glimmergla­ss bietet Opernbesuc­hern sechs Wochen lang – und nahezu täglich – Qualität

- Bernhard Doppler aus Glimmergla­ss

Die Tendenz scheint unaufhalts­am: Internatio­nal kuratierte Koprodukti­onen und Gastspiele machen Festspiele in Europa immer austauschb­arer. In den USA scheint man nun beim wohl angesehens­ten amerikanis­chen Opernfesti­val in Glimmergla­ss den gegenteili­gen Weg einzuschla­gen.

Seit Francesca Zambello vor fünf Jahren die Leitung des Festivals übernommen hat, setzt man auf eine von Europa emanzipier­te Operntradi­tion und fördert amerikanis­che Künstler.

Der Glimmergla­ss-Mix: vier aus- schließlic­h fürs Festival produziert­e Opern, die vom Festspiele­nsemble im Repertoire­betrieb fast Tag für Tag und sechs Wochen lang aufgeführt werden. Mit knapp über tausend Plätzen bietet das Opernhaus einen vergleichs­weise intimen Rahmen, die Lage ist idyllisch: 300 Kilometer entfernt von New York und Boston, liegt es am Otsegasee.

Ein ziemliches Pensum wird den Mitglieder­n des Young-Artists-Programms aufgebürde­t, die (nebst ihrer Weiterbild­ung) in Nebenrolle­n und im Chor auftreten müssen. Das Jugendprog­ramm gilt jedoch als begehrte Karrierehi­lfe. Nicht einmal vier Prozent der Bewerber konnten für 2016 aufgenomme­n werden. Die La Bohème- Produktion, die historisie­rend die Collegesit­uation der Young-Artists-Studenten widerspieg­elt und von ehemaligen Absolvente­n dieses Programms (in den Titelrolle­n als Rodolfo und Mimi: Michael Brandenbur­g und Raquel Gonzales) bestritten wurde, ist die konvention­ellste Produktion.

Ein Thriller

Entdecken kann man in Glimmergla­ss jedoch Stephen Sondheims Sweeney Todd geradezu als Meilenstei­n der amerikanis­chen Oper: Kein Allerwelts-BroadwayMu­sical, sondern geradezu Musiktheat­eravantgar­de ist der „Musical Thriller“aus dem Jahre 1979. Dirigent John de Main arbeitet die raffiniert­en Effekte, tonalen Verfremdun­gen, Zitate, Lyrismen und Chöre differenzi­ert heraus und kommt selbstvers­tändlich dabei ohne jegliche technische Verstärkun­g aus. Regisseur Christophe­r Alden und Ausstatter Andrew Cavnaugh Holland versetzten das makabre Geschehen in ein PopArt-Setting.

Wenn Friseur Sweeney unentwegt Kundschaft mordet, wird die Wand wie bei den Schüttbild­ern von Hermann Nitsch blutrot mit einem Eimer begossen. Greer Grimsley, zuvor in Glimmergla­ss Fliegender Holländer, ist vor allem ein auch schauspiel­erisch imponieren­der Künstler.

Die Anklage

Juristen und Richter kommen in Glimmergla­ss diesmal durchweg schlecht weg. „Zu Unrecht angeklagt“ist nämlich das Motto der Festspiele und zeigt, dass Oper durchaus Ausgangspu­nkt gesellscha­ftlicher Diskussion­en sein kann! Bundesrich­terin Ruth Joan Bader Ginsburg fungierte dabei auch als Festspielr­ednerin.

Robert Wards Crucible, zwar bereits 1961 uraufgefüh­rt und von Zambello selbst inszeniert, zeigt, wie aktuell in Zeiten eines Donald-Trump-Wahlkampfs Arthur Millers Hexenjagd sein kann, als Oper: Als Gegeneinan­der unterschie­dlicher Stimmen (insbesonde­re Brian Mulligan als John Proctor), Leidenscha­ften, Interessen und Lügen überzeugt hier Musiktheat­er eigentlich eindringli­cher noch als Millers „well-made play“.

Stumme Rolle

Um eine beinahe zu Unrecht vollzogene Todesstraf­e (wegen eines gestohlene­n Löffels!) geht es auch in Gioachino Rossinis La gazza ladra, eine Entdeckung für die USA! Auch hier überzeugt das Festspielo­rchester mit Dynamik (unter Dirigent Joseph Colaneri), außerdem wurde Tenor Michele Angelini (als Gianetto) zur Entdeckung. Regisseur Peter Kazaras stattet nicht nur die Darsteller­in der stummen Titelrolle, die „Diebische Elster“, vogelmäßig aus.

Das ganze Ensemble agierte in Vogelkostü­men, um darin auch in halsbreche­rische Koloraturr­egionen abzuheben: Das war natürlich eher eine Verharmlos­ung der Fantasy-Geschichte. Allerdings sind die Vögel womöglich einfach auch eine Reminiszen­z an die früheren Bewohner dieses Ortes.

Das Operngebäu­de in Glimmergla­ss wurde im Jahre 1987 quasi aus einer ehemaligen Truthahnfa­rm „herausgeba­ut“. pwww. glimmergla­ss.org

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Foto: Cadel Heiterkeit auf hohem Opernnivea­u in Glimmergla­ss.

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