„Ein Prozess, vergleichbar mit Afghanistan“
Der deutsche Lateinamerika-Forscher Günther Maihold hält die Einbindung der kolumbianischen Zivilgesellschaft für den entscheidenden Faktor im Friedensprozess.
Standard: Farc-Führer Rodrigo Londoño Echeverri alias Timochenko betont, dass es in dem jahrzehntelangen Konflikt weder Sieger noch Verlierer gibt. Hat er recht? Maihold: Ich denke schon. Die Einsicht der Guerilla einerseits, dass man dem Staat militärisch nichts mehr entgegenzuhalten hat, und die Einsicht der Regierung andererseits, dass man trotz der Hilfe der USA nicht imstande war, Kontrolle über das gesamte Territorium herzustellen, waren Voraussetzung für den Friedensprozess.
STANDARD: Schon vor dreißig Jahren versuchte die Farc, sich in den politischen Prozess einzugliedern, Paramilitärs ermordeten daraufhin reihenweise ihre Kandidaten. Wie kann man verhindern, dass sich so etwas wiederholt? Maihold: Die Bevölkerung muss den Eindruck gewinnen, dass die Justiz auch auf lokaler Ebene alles tut, um die Schuldigen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Nur so kann man Versuche von Selbstjustiz verhindern. Standard: Wie weit ist man mit der Eingliederung der Kämpfer in die Zivilgesellschaft? Maihold: Viele junge Erwachsene haben nur das Kriegshandwerk erlernt, sei es bei den Guerillas oder bei den Paramilitärs. Darum beinhaltet der Friedensvertrag auch, dass man sie in Bildungsprogramme integriert. Das ist ein ganz entscheidender Faktor, um diese Leute von kriminellen Kreisen fernzuhalten, der aber einen massiven Kraftakt der Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft erfordert.
Standard: Die Guerilla ist in den unterentwickelten, abgelegenen Provinzen am stärksten. Wie kann man diese Gegenden nachhaltig stabilisieren? Maihold: Entscheidend ist die Geschwindigkeit, in der die Regierung in den Regionen, in denen sie historisch keine oder kaum Präsenz hatte, sichtbar wird. Nicht nur durch Militär und Polizei, sondern auch durch soziale Dienstleistungen wie Gesundheits- und Erziehungswesen. Das ist nur möglich, wenn die lokalen Beteiligungsprozesse, wie sie im Friedensvertrag formuliert sind, rasch und erfolgreich anlaufen. So soll verhindert werden, dass sich alte Guerillastrukturen erneut als einzige Akteure festsetzen. Wir stehen vor einem sehr schwierigen und sehr teuren Prozess der Staatsbildung, wie wir ihn vergleichbar etwa auch in Afghanistan beobachten.
Standard: Wie sieht es mit den anderen Guerillagruppen aus? Maihold: Vor allem der Ejército de Liberación Nacional (ELN) beobachtet den Friedensprozess mit der Farc genau. Für ihn ist entscheidend zu sehen, wie es weitergeht, wenn sich eine Gruppe auf Frieden einlässt.
Standard: Am 2. Oktober soll das Volk über den Friedensvertrag abstimmen. Haben Sie eine Prognose? Maihold: Ich gehe von einer deutlichen Mehrheit für den Vertrag aus. Was zählt, ist aber die Bereitschaft der Gesellschaft zur Versöhnung. Ohne das Engagement des Einzelnen wird es auch weiterhin zu keinem dauerhaften Frieden in Kolumbien kommen.
GÜNTHER MAIHOLD (58) forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu Lateinamerika-Themen.