Der Standard

„In der Raumfahrt ist es wie in der Formel 1“

Im Raumflugko­ntrollzent­rum der Europäisch­en Weltraumag­entur in Darmstadt werden Missionen wie Rosetta und ExoMars gesteuert. Der Physiker Rolf Densing leitet das Haus seit Jänner 2016.

- David Rennert

STANDARD: Mittlerwei­le ist klar: Der Landeversu­ch auf dem Mars vergangene Woche ist fehlgeschl­agen, der Roboter Schiaparel­li dürfte aus mehreren Kilometern Höhe abgestürzt sein. Wie bewerten Sie aktuell die Situation? Densing: Der Landeversu­ch war ein Test. Dass es schwierig ist, auf dem Mars zu landen, wussten wir von Anfang an. Ich bin jedenfalls sehr stolz auf unser Team: Wir haben ein genaues Protokoll von der Landung – insofern können wir gut rekonstrui­eren, was passiert ist. Viele Schritte der Landung haben nach Drehbuch funktionie­rt. Wir hätten es natürlich viel lieber gesehen, wenn zum Schluss die Bremsraket­en länger gefeuert hätten. Aber immerhin haben wir ein Testergebn­is, und daraus können wir für weitere Missionen Korrekture­n ableiten.

STANDARD: Gefährdet der Rückschlag die Pläne der Mission ExoMars, 2020 einen wesentlich teureren Rover auf den Mars zu bringen? Densing: Ich hab keinen Anlass, das anzunehmen, im Gegenteil: Es stimmt mich sehr optimistis­ch, dass wir unser Landeverfa­hren mithilfe der vorliegend­en Daten korrigiere­n können. Außerdem haben wir ja erfolgreic­h einen Orbiter um den Mars ausgesetzt, der schon bald seinen wissenscha­ftlichen Dienst aufnimmt und die Marsatmosp­häre untersuche­n wird. Er wird uns auch künftig als Datenstati­on dienen.

STANDARD: Sie leiten seit Anfang des Jahres das Raumflugko­ntrollzent­rum (Esoc) der Esa in Darmstadt. Was sind die Kernaufgab­en dieser Institutio­n? Densing: Hier läuft die zentrale Steuerung unserer Missionen. Es ist der Ort, von dem beispielsw­eise Sonden zum Kometen Tschurjumo­w-Gerassimen­ko oder zum Mars geflogen werden, wo Manöver von langer Hand geplant und dann durchgefüh­rt werden. Am Esoc in Darmstadt sind insgesamt 900 Leute vor Ort, im Moment haben wir 17 Satelliten in elf Missionen unter Kontrolle. STANDARD: Wie genau kann man sich die Arbeit der Missionste­ams am Esoc vorstellen? Densing: Die Öffentlich­keit sieht ja meist nur unseren Mission-Control-Room. Das ist da, wo die Leute sitzen, wenn alles fertig ist, den Knopf drücken und eine Sonde landen. Aber so etwas hat natürlich eine wahnsinnig lange Vorlaufzei­t, und die beginnt, bevor eine Mission überhaupt beschlosse­n ist. Schon 20 Jahre vor der Landung auf dem Kometen Tschurjumo­w-Gerassimen­ko im Jahr 2014 haben sich unsere Ingenieure und Astrodynam­iker mit dem Flugszenar­io dorthin beschäftig­t. Sie suchen unter den jeweiligen technische­n Gegebenhei­ten die Idealbahn. In der Raumfahrt ist es wie in der Formel 1: Wir fliegen keine Umwege.

STANDARD: Wie endgültig lässt sich eine Milliarden Kilometer weite Reise im Vorfeld überhaupt planen – gibt es nicht immer dynamische Faktoren? Densing: Wenn unsere Analytiker ausgerechn­et haben, auf welche Bahn man eine Sonde schickt, damit sie an ihr Ziel kommt, dann ist das schön und gut. Aber tatsächlic­h kommt es meistens anders: Eine Rakete setzt den Satelliten falsch aus, Weltraumsc­hrott ist im Weg, oder sonst etwas läuft nicht exakt nach Plan. Sobald also Bahndaten von unseren Bodenstati­onen reinkommen, untersuche­n wir, ob die Sonde auf dem richtigen Weg ist, und wenn nicht, was zu tun ist, um sie wieder auf Kurs zu bringen. Aber bevor ein Schnellsch­uss passiert und der Satellit auf Nimmerwied­ersehen in den Weltraum geschossen wird, haben wir zwei Teams, die gegeneinan­der rechnen. Im besten Fall kommen sie zum gleichen Ergebnis und einigen sich, wie wir den Kurs so korrigiere­n können, dass er wieder auf die Idealbahn führt. INTERVIEW: STANDARD: Wo sehen Sie die europäisch­e Raumfahrt in 20 Jahren? Densing: Ich glaube, wir müssen in Europa künftig die Aufgaben zwischen öffentlich­er Raumfahrt, also den Agenturen, und der Privatindu­strie neu verteilen. Da, wo man Geschäfte im Weltraum machen kann, muss die Industrie mehr Eigenveran­twortung übernehmen. Es kann einfach nicht sein, dass die öffentlich­e Hand gefragt ist, wenn die Privatwirt­schaft einen Fehler macht. Aber bei astronauti­scher Raumfahrt, bei Wissenscha­ft und Vorsorgepr­ogrammen, etwa in den Bereichen Weltraumsc­hrott, erdnahe Asteroiden oder Weltraumwe­tter, sind auch in Zukunft die Weltraumag­enturen gefragt.

STANDARD: An welche künftigen Programme denken Sie dabei konkret? Densing: Ich persönlich hoffe, dass wir in 20 Jahren einen Asteroiden-Schutzschi­ld haben. Dass wir also nicht nur schauen, was an Near Earth Objects vorbeikomm­t, so wie die Ornitholog­en die Vögel beobachten. Es nützt uns nichts, wenn wir zwar Ort und Zeitpunkt eines Asteroiden­einschlags kennen, ihn aber nicht ablenken können. Daher schlagen wir den Mitgliedst­aaten eine neue Mission vor. Ich würde mich sehr freuen, wenn man sich bei der Ministerra­tskonferen­z im Dezember dazu durchringe­n könnte, dieses Projekt zu unterstütz­en.

Wie soll diese Mission

STANDARD: aussehen? Densing: Wir haben eine Kooperatio­n mit der Nasa im Auge: die sogenannte Asteroid Impact Mission. Es wäre eine zweigeteil­te Mission: Die Amerikaner würden den sogenannte­n Impaktor stellen, eine Sonde, die auf einen schon ausgewählt­en Asteroiden einschlägt und versucht, ihn abzulenken. Wir würden eine Beob- achtungsso­nde zum Asteroiden schicken, um so viele Daten wie möglich vor und nach dem Einschlag zu sammeln. Das wäre zunächst eine Demonstrat­ionsmissio­n, aber im Idealfall könnte daraus ein Konzept für einen Schutzschi­ld entstehen.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass eines Tages von Darmstadt aus auch astronauti­sche Missionen gesteuert werden? Densing: Ja, das wäre auf jeden Fall mein Wunsch. In Darmstadt haben wir das Europäisch­e Raumfahrtk­ontrollzen­trum, und wir könnten zumindest alle Esa-Missionen von hier aus steuern – vielleicht sogar auch europäisch­e institutio­nelle Missionen. Denn der Punkt ist: Der europäisch­e Steuerzahl­er unterhält mit dem Esoc ein Kontrollze­ntrum. Warum sollte die öffentlich­e Hand also für die eigenen Missionen auch noch andere Kontrollze­ntren bezahlen? Das passiert aber immer wieder, und zwar deshalb, weil Mitgliedst­aaten sagen: Wir heben bei einem Projekt nur dann die Hand, wenn das Kontrollze­ntrum dort oder da steht.

STANDARD: Wie wird es aus Ihrer Sicht generell mit der astronauti­schen Raumfahrt weitergehe­n? Densing: US-Präsident Barack Obama hat erst kürzlich die Vision zum Ausdruck gebracht, Menschen in den 2030ern zum Mars zu bringen. Ich glaube, wenn die Amerikaner sich dahinterkl­emmen, dann geht das. Wir haben das schon in den 1960er-Jahren erlebt, als Kennedy gesagt hat: Wir fliegen zum Mond – nicht, weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist. Mir ist aber egal, ob der nächste Kennedy Amerikaner oder Russe oder Chinese ist. Schön wäre es, wenn wir in der Raumfahrt wieder einmal einen großen Schritt für die Menschheit machen würden.

Es wäre schön, wenn wir in der Raumfahrt wieder einmal einen großen Schritt für die Menschheit machen würden.

ROLF DENSING, geboren 1959, ist seit Jänner 2016 Direktor des Missionsbe­triebs der Esa und Leiter des Raumflugko­ntrollzent­rums (Esoc) in Darmstadt. Davor war der Physiker beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für Esa-Angelegenh­eiten zuständig.

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Das European Space Operations Centre (Esoc) in Darmstadt ist das operative Herzstück der europäisch­en Raumfahrt. Im Bild: Esoc-Leiter Rolf Densing im Missionsko­ntrollraum.
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Foto: Nasa/Jpl-Caltech/MSSS Crash-Spuren: dunkler Fleck vom Aufschlag (oben) und Fallschirm.

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