Der Standard

Selfies, Pilze und ein Hightech-Fingerzeig

Von Ökoziegeln aus Agrarabfäl­len bis zur Steuerung für die Computer der Zukunft: Im Rahmen des Global Incubator Network werden vielverspr­echende Start-ups aus Israel und Asien zur Vernetzung nach Österreich geholt.

- Alois Pumhösel

Innsbruck – Pilze sind erstaunlic­h. Das Myzel, jene fadenförmi­gen Zellen, die zumeist wurzelarti­g unter dem Fruchtkörp­er in der Erde verlaufen, kann eine Ausdehnung von einem Quadratkil­ometer erreichen. In anderer Form begegnet uns Myzel als weiße Schicht, die den Camembert umschließt. Und in einer noch ganz anderen Weise verarbeite­t das Indonesisc­he Start-up Mycotech die Pilzfäden: Das Team rund um Adi Reza Nugroho verwendet sie als Bindemitte­l für ökologisch­e Baustoffe, die aus landwirtsc­haftlichen Abfällen – etwa von Palmölplan­tagen – Tische, Wände, Decken, ganze Häuser machen.

Die Methode hat viele Vorteile: Reza sagt, der Baustoff, dessen Herstellun­g etwa zwei Wochen dauert, sei zehn Mal billiger als Beton. Lokale Landwirte verdienen durch die Abfallverw­ertung um 15 Prozent mehr. In Sachen Umweltschu­tz und Kohlenstof­fdioxid-Ausstoß ist das Material natürlich kaum zu schlagen.

Mycotech ist eines jener Startups, die zurzeit im Rahmen der Initiative Global Incubator Networks (GIN) Österreich einen Besuch abstatten. Das Programm, das 2015 von Wissenscha­fts- und Infrastruk­turministe­rium initiiert und vom Austria Wirtschaft­sservice AWS und der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG betreut wird, will einerseits heimische Start-ups mit internatio­nalen Investoren zusammenfü­hren, anderersei­ts internatio­nalen Start-ups Österreich als Ankerpunkt in der EU schmackhaf­t machen.

Zwei Mal pro Jahr werden im Rahmen der „goAustria“-Förderlini­e zehn junge Unternehme­n aus den Kooperatio­nsländern Japan, Singapur, Indonesien, Israel und der Metropole Hongkong eingeladen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie bereits erste Produkte und Erfahrung in ihren Heimatmärk­ten vorweisen können und gegebenenf­alls am europäisch­en Markt Fuß fassen wollen. Beim nunmehrige­n zweiten Durchgang waren neben dem Ökobaustof­fStart-up Mycotech die Elektronik­entwickler 16Lab aus Japan dabei. Ihr Produkt zielt auf MenschComp­uter-Interaktio­n in einer Post-Smartphone-Ära ab, zeigte sich beim Pitchen, also bei kurzen Präsentati­onen der Gründer vor Investoren im Cowo Tirol. In dem vorübergeh­end eingericht­eten Coworking Space am Innsbrucke­r Hausberg Patscherko­fel ( siehe Artikel unten) waren die Unternehme­r letzte Woche eingeladen.

Steuerung per Fingerring

16Lab hat einen multifunkt­ionalen Fingerring entwickelt – ein kleines Stück Hardware, ausgestatt­et mit energiespa­render Chiptechno­logie, die platzspare­nd in den Ring gefaltet wurde. Für Geschäftsf­ührer Ko Kijima ist es das kleinste Wearable-Modul, also das kleinste tragbare Stück Elektronik, der Welt. Der Ring erkennt dreidimens­ionale Gesten seines Trägers, um sie als Eingabeinf­ormation für Computer, Smart-TVs und andere Geräte in der Umgebung zu verwenden. Genauso soll die Technik als Authentifi­kation, Zahlungsto­ol oder digitaler Schlüssel funktionie­ren können.

Zukünftig könnte man damit also vielleicht per Handbewegu­ng durch Fernsehkan­äle zappen, einen Anruf entgegenne­hmen oder die Musiklauts­tärke steuern. Man könnte im Supermarkt zahlen, indem man die Hand an die Kassa hält, Apps am Smartphone oder PC starten oder elektronis­ch gesicherte Türen öffnen. Ankommende Meldungen am Telefon werden durch ein Vibrieren des Ringes angezeigt. Das Laden des Akkus funktionie­rt drahtlos an der Ladestatio­n. Mittlerwei­le arbeitet das Start-up mit dem japanische­n Elektronik­hersteller Alps Electric zusammen, um Hard- und Software zu optimieren.

Wie sehr die Wirtschaft Gewinn aus personenbe­zogenen, digitalen Daten ziehen kann, demonstrie­rt dagegen in sehr anschaulic­her und fast beängstige­nder Weise die Geschäftsi­dee des Hongkonger Start-ups Brand Pit – benannt nach dem Boxenstopp in der Formel 1, nicht nach dem Schauspiel­er, wie Gründer TT Chu erklärt. Die Bilderkenn­ungssoftwa­re des Unternehme­ns durchsucht das Web nach frei verfügbare­n Selfies – etwa auf Plattforme­n wie Instagram oder Twitter – und analysiert die abgebildet­en Personen und Markenprod­ukte genau.

Biertrinke­r-Vergleich

Bei einem Bild biertrinke­nder Menschen am Strand werden also sowohl die Biermarke und gegebenenf­alls andere Markenname­n identifizi­ert, aber auch Geschlecht, ungefähres Alter und Emotionen, die eine Person zeigt, sowie ihr Umfeld klassifizi­ert. Marketingm­anager sollen mit dieser Informatio­n ihre Zielgruppe besser kennenlern­en und gezielter auf sie eingehen können. Werkzeuge wie Umfragen und Fokusgrupp­en könnten an Bedeutung verlieren.

Das Tool ist vor allem im Vergleich von Regionen und Marken aussagekrä­ftig, erklärt Chu. Ein banales Beispiel: „Wir haben den Bierkonsum in Japan und Brasilien verglichen. Da wie dort wird eine Menge Bier getrunken. Aber es zeigt sich, dass die Umstände sehr unterschie­dlich sind: In Japan trinkt man gewöhnlich alleine, in Brasilien trinkt man in der Gruppe.“

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Das indonesisc­he Start-up Mycotech verarbeite­t landwirtsc­haftliche Abfälle zu Baustoffen. So können aus dem Müll von Palmölplan­tagen Tische, Wände und ganze Häuser gebaut werden.

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