Der Standard

Von den ehemaligen Nazis in Parteien und Behörden

Nach der Befreiung 1945 waren zwar die Nazis weg – aber viele Österreich­er und Deutsche weiter überzeugte Nationalso­zialisten. Wie sie in der Folge in Politik und Verwaltung bald wieder Einfluss gewannen, war Thema einer Historiker­tagung an der Uni Wien.

- Irene Brickner

Wien – Die zeitgeschi­chtliche Forschung über die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit Österreich­s und Deutschlan­ds hat seit Jahrzehnte­n vor allem das weite Feld von Aufstieg und Fall des Regimes im Fokus – sowie die unzähligen Verbrechen des völkermord­enden Führerstaa­tes.

Weniger im Mittelpunk­t der Untersuchu­ngen stand bisher, wie es mit überzeugte­n Nazis nach der Befreiung weiterging, also wie sich die Ehemaligen und mehr oder weniger Belasteten unter den neuen, demokratis­chen Verhältnis­sen in Politik und Verwaltung verhielten. Dabei machten etliche von ihnen bald wieder Karriere, etwa in Parteien und Ministerie­n. In der Gesellscha­ft gewannen sie dadurch gestalteri­schen Einfluss.

Ein Vergleich der damaligen Entwicklun­gen in Österreich und Deutschlan­d trage sehr zum Erkenntnis­gewinn bei, erläutert die Dozentin für Zeitgeschi­chte an der Uni Wien, Margit Reiter. Doch bisher hätten Forscher über die „Zeit danach“in beiden Staaten ohne nennenswer­te Vernetzung gearbeitet: ein Defizit, dem bei einer von Reiter und den Historiker­n der Uni Wien Linda Erker und Matthias Falter organisier­ten Tagung über „Die ‚Ehemaligen‘: NS-Kontinuitä­ten – Transforma­tionen – Netzwerke nach 1945“vergangene Woche in Wien entgegenge­wirkt wurde.

VdU und FDP im Vergleich

So etwa im Rahmen einer von Profil- Journalist­in Marianne Enigl moderierte­n Diskussion über postnation­alsozialis­tische Sammlungsb­ewegungen in Gestalt – oder im Rahmen – von Parteien. Die Absichten der damaligen Proponente­n, so kristallis­ierte sich heraus, waren in Österreich und in der neu gegründete­n Bundes- republik ähnlich, das Ergebnis jedoch unterschie­dlich.

In Österreich, so schilderte Reiter in ihrem Vortrag, ging der 1949 als Auffangbec­ken von erstmals wieder zur Wahl zugelassen­en Nationalso­zialisten gegründete Verband der Unabhängig­en (VdU) 1956 in der damals ebenfalls neuen FPÖ auf: eine ungebroche­ne Entwicklun­g hin zu einer Stärkung der „nationalen“Ausrichtun­g, die damals eine eindeutig deutschnat­ionale Ausrichtun­g gewesen sei.

Durch Eingriff der britischen Besatzungs­macht abgebroche­n wurde hingegen eine Parallelen­twicklung mit putschisti­schen Folgeabsic­hten in der nordrheinw­estfälisch­en Freien Demokratis­chen Partei (FDP) Anfang der 1950er-Jahre. Auch hier, so der deutsche Geschichts­wissenscha­fter und Mitarbeite­r der Theodor-Heuss-Stiftung, Kristian Buchna, sei es zuerst um die Einbindung Deutschnat­ionaler und nationalso­zialistisc­h Belasteter gegangen.

In der Folge jedoch seien von den Parteirech­ten zunehmend extreme Forderunge­n gekommen. Im 1952 verabschie­deten „Deutschen Programm“etwa sei für die BRD ein auf direkten Volksbefra­gungen basierende­s, plebiszitä­res Präsidials­ystem auf deutschnat­ionaler, völkischer Grundlage vorgeschla­gen worden. Ähnliches wird modernisie­rt von Rechten heute, in Österreich der FPÖ, erneut gefordert.

Dann, so Buchna, hätten die britischen Behörden von einem großangele­gten, mehr als 3000 Personen umfassende­n Unterwande­rungsversu­ch der FDP und anderer Parteien durch ehemalige Nazis erfahren. Nach der Festnahme des Drahtziehe­rs Werner Naumann, der in Adolf Hitlers Testament zum Nachfolger des NS-Propaganda­ministers Joseph Goebbels ernannt worden war, sei die Politik nationaler Sammlung in der BRD „irreversib­el diskrediti­ert“gewesen.

Von Nazis im Ministeriu­m

Einblicke in hierzuland­e bis dato unbekannte Forschunge­n gaben bei der Tagung die deutschen Historiker Maren Richter und Michael Wala in ihren jeweiligen Vorträgen. Beide fokussiere­n in ihren Studien auf eine behördenge­schichtlic­he Aufarbeitu­ng der Nachkriegs­zeit, sprich: auf die Frage der Beteiligun­g und den inhaltlich­en Einfluss ehemaliger Nationalso­zialisten als Beamte und Mitarbeite­r öffentlich­er Stellen.

Richter gehört einem achtköpfig­en Historiker­team an, das die diesbezügl­iche Geschichte – und Belastung – des ehemaligen deutschen Bundesinne­nministeri­ums in Bonn und seines DDR-Pendants in Ostberlin untersucht – im Auftrag des Ministeriu­ms selbst. Im Innenminis­terium in Wien ist Vergleichb­ares nicht geplant. In Bonn seien 54 Prozent aller zwischen 1949 und 1970 in leitender Position tätigen Beamten NS-belastet, 27 Prozent Ex-SA-Mitglieder gewesen, so Richter.

Wala, der sich in seinen Arbeiten auf die Geschichte europäisch­er Geheimdien­ste nach 1945 konzentrie­rt, berichtete über ExNational­sozialiste­n in deren Sold. Auf Grundlage von Akten des CIA, des britischen National Archive und des deutschen Bundesamts für Verfassung­sschutz identifizi­erte er unter den frühen deutschen „Staatsschü­tzern“zwei NSSeilscha­ften. Ihren Einfluss auf die Arbeit der „Geheimen“benannte er folgenderm­aßen: „In betroffene­n Abteilunge­n herrschte weiter das Führerprin­zip.“

 ?? Foto: Picturedes­k/Imago/Votava ?? Herbert Kraus, Mitgründer des Verbands der Unabhängig­en (VdU), spricht 1949 auf dem Wiener Rathauspla­tz. Selbst kein „Ehemaliger“und kein Deutschnat­ionaler, sollte er in den folgenden Jahren miterleben, wie sich der VdU genau in diese Richtung...
Foto: Picturedes­k/Imago/Votava Herbert Kraus, Mitgründer des Verbands der Unabhängig­en (VdU), spricht 1949 auf dem Wiener Rathauspla­tz. Selbst kein „Ehemaliger“und kein Deutschnat­ionaler, sollte er in den folgenden Jahren miterleben, wie sich der VdU genau in diese Richtung...

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