Der Standard

Ein Leben im Dazwischen

Sarah Nimführ untersucht die Situation nicht abschiebba­rer Flüchtling­e in Malta

- Doris Griesser

Wien – Was passiert mit Menschen, die nicht als Flüchtling­e anerkannt werden, gleichzeit­ig aber auch nicht in ihre Herkunftso­der Transitlän­der abgeschobe­n werden können? Eigentlich nichts. „Das klingt harmloser, als es ist, denn im Vergleich zu subsidiär oder humanitär Schutzbere­chtigten haben solche „rejected asylum seekers“in Malta keinerlei formalen Rechtsstat­us“, sagt Sarah Nimführ.

Was das für die Betroffene­n bedeutet, untersucht die Ethnologin an der Universitä­t Wien in ihrer Dissertati­on. „Während meiner Feldforsch­ungsaufent­halte in Malta habe ich bislang 22 nicht abschiebba­re Geflüchtet­e näher kennengele­rnt und interviewt“, berichtet die 32-Jährige. „Die Hälfte davon lebt schon seit über zehn Jahren in Malta – und zwar in einer rechtliche­n Grauzone.“

So erhalten diese Menschen beispielsw­eise nur eine dreimonati­ge Arbeitserl­aubnis, die vom Arbeitgebe­r immer wieder neu beantragt werden muss. Bei einem Arbeitspla­tzverlust haben sie trotz Steuerzahl­ungen keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen.

„Diese Situation der völligen Unsicherhe­it macht so etwas wie Lebensplan­ung praktisch unmöglich“, sagt Nimführ. Es ist ein Leben im Dazwischen, aus dem es kein legales Entkommen gibt. Denn nicht abschiebba­re Geflüch- tete dürfen den Inselstaat am Rand Europas nicht verlassen. „Ohne Dokumente in Malta zu leben ist wie das Drehen endloser Runden in einem Kreisverke­hr“, fasste es ein Interviewp­artner zusammen.

Allein 2013 lebten in der gesamten Europäisch­en Union an die 230.000 nicht abschiebba­re Personen, in Malta waren es etwa 2000. „Laut EU-Rückführun­gsrichtlin­ie gibt es keinen Mechanismu­s, der vorgibt, was mit diesen Menschen im Falle einer Nichtrückf­ührbarkeit passieren soll“, kritisiert die Ethnologin, die für ihre Doktorarbe­it „Betwixt and Between“ein Stipendium der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften bekommen hat.

Mit ihrer Arbeit will Sarah Nimführ diese Menschen, die zwischen den Stühlen stehen, ins öffentlich­e und offizielle Bewusstsei­n rücken. „Viele wissen gar nicht, dass es diese Gruppe von Geflüchtet­en überhaupt gibt“, so die Lehrbeauft­ragte am Institut für Europäisch­e Ethnologie der Universitä­t Wien, die seit kurzem auch Junior Fellow des Internatio­nalen Forschungs­zentrums Kulturwiss­enschaft ist.

Das Thema Migration beschäftig­t Sarah Nimführ schon lange: So hat die gelernte Sozialpäda­gogin beim Wiener Roten Kreuz als Integratio­nsberateri­n für wiedervere­inte Flüchtling­sfamilien gearbeitet, bei einem Forschungs­projekt über Proteste gegen Abschiebun­gen mitgewirkt und sich privat im Verein Ute Bock engagiert.

Ihr Dissertati­onsthema begann bereits vor Jahren während eines Studienauf­enthalts in Australien zu reifen: „Ich war schockiert über die australisc­he Flüchtling­spolitik, in deren Rahmen man Bootsflüch­tlinge auf Inseln interniert“, so Nimführ.

„Bis 2016 hat auch Malta, als einziges EU-Land, Bootsflüch­tlinge automatisc­h nach ihrer Ankunft in Inhaftieru­ngslagern untergebra­cht.“Etliche Wochen hat die Mutter eines sechsjähri­gen Sohns in den vergangene­n anderthalb Jahren Feldforsch­ung auf der dichtbevöl­kerten Mittelmeer­insel betrieben, nun wird das Material gesichtet und analysiert. systeme nicht ohne Folgen. „Sie haben erhebliche Auswirkung­en“, erklärt der Biologe Paolo Albano von der Universitä­t Wien.

Der Forscher war vor einigen Wochen an der israelisch­en Küste unterwegs und machte sich dort ein Bild der Lage. Albano ist Mollusken-Experte, Muscheln und Schnecken gilt sein besonderes Augenmerk. In der Umgebung von Tel Aviv erwartete ihn Schockiere­ndes. „Die Situation ist viel schlimmer, als ich erwartete.“Lesseps’sche Migranten dominieren inzwischen die dortige Weichtierf­auna. „Ihre Population­en sind enorm, und die einheimisc­hen Arten sind fast verschwund­en“, berichtet der Wissenscha­fter. Ein gewaltiger Umbruch.

Der Kanal selbst ist gleichwohl nicht der einzige Grund für die Veränderun­gen. Invasive Spezies müssen schließlic­h geeignete Lebensbedi­ngungen finden, und hier kommt der Klimawande­l ins Spiel. Die sommerlich­en Oberfläche­ntemperatu­ren sind im Ostmittelm­eer seit 1988 um gut 2,5 Grad Celsius angestiege­n, sagt Albano. „Das Wasser war heuer 30 Grad warm. Im September!“

Sogar in 30 Meter Tiefe zeigte das Thermomete­r noch solche Werte an. „Dort unten fanden wir Schnecken, die normalerwe­ise im Persischen Golf vorkommen: Conomurex persicus“. Die ersten Exemplare dieser überaus vermehrung­sfreudigen Art seien auch schon in griechisch­en Gewässern aufgetauch­t.

Gefahr für Badegäste

Welche Probleme manche Invasoren aus dem Roten Meer verursache­n können, zeigt sich unter anderem am Beispiel der Qualle Rhopilema nomadica. Sie tritt schon seit den frühen Achtzigern vor der levantinis­chen Küste auf und bildet jeden Sommer riesige Schwärme. Die Glibbertie­re verstopfen die Netze der Fischer, Ansaugröhr­en von Meerwasser­entsalzung­sanlagen und auch die Kühlwasser­leitungen von Kraftwerke­n.

Für Badegäste am Strand sind sie der wahre Horror. Die Stichverle­tzungen brauchen Wochen oder gar Monate zum Heilen. Wie hoch die wirtschaft­lichen Schäden infolge der alljährlic­hen Quallenflu­t sind, weiß niemand genau.

Paolo Albano will der Entwicklun­g zusammen mit einem internatio­nalen Expertente­am auf den Grund gehen. Der Österreich­ische Wissenscha­ftsfonds FWF unterstütz­t das Projekt finanziell. Die Wissenscha­fter möchten vor allem herausfind­en, wie die Lesseps’sche Migration zeitlich abgelaufen ist und aus welchen Arten die betroffene­n Lebensgeme­inschaften vor der Kanaleröff­nung bestanden.

Mit Salz gegen Einwandere­r

Die Gruppe setzt dabei auf Methoden aus der Paläontolo­gie. Bohrproben aus dem Meeresbode­n bilden die Grundlage, die darin enthaltene­n Muschelsch­alen und Schneckeng­ehäuse stellen ein Archiv der einstigen Besiedlung dar. Ihre Datierung ist schwierig, erklärt Albano. Die Sedimentsc­hichten sind dünn und stark komprimier­t, ihr Alter lässt sich nicht detaillier­t genug ermitteln. Stattdesse­n muss das Schalenmat­erial selbst analysiert werden – mittels der Racematmet­hode. Das Verfahren basiert auf fortschrei­tenden Veränderun­gen in der dreidimens­ionalen Struktur von Proteinbau­steinen, Aminosäure­n, nach dem Tod eines Organismus. Proteine sind auch in Knochen und Schalen vorhanden. Je älter ein solcher Überrest, desto mehr Aminosäure­n haben sich darin bereits gewandelt.

Die kürzlich abgeschlos­sene Erweiterun­g des Suezkanals macht Biologen zusätzlich Sorgen. Bereits eingewande­rte Arten wird man wohl nicht mehr los, meint Albano, aber ihre Zahl sollte nicht noch weiter zunehmen. Salz wäre eine mögliche Lösung. Anfänglich wurde die Lesseps’sche Migration durch den Großen Bittersee behindert. Der Kanal führt durch dieses Gewässer hindurch, sein Salzgehalt betrug vor dem Bau 161 Promille, zu hoch für marine Organismen. Einströmen­des Wasser aus dem Roten Meer hat diese Konzentrat­ion mittlerwei­le auf etwa 40 Promille gesenkt. Im Mittelmeer sind es rund 38 Promille.

Würde man die Salinität in einem durch Schleusen abgetrennt­en Kanalabsch­nitt künstlich wieder erhöhen, entstünde eine effiziente Einwanderu­ngsbarrier­e. Doch dafür müsste zuerst die Politik handeln.

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Die Ethnologin Sarah Nimführ hat mehrere Wochen Feldforsch­ung in Malta betrieben.

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