Der Standard

„Demagogen und Großmäuler haben das Sagen“

Vereinfach­ung und Populismus dominieren derzeit quer durch Europa den politische­n Diskurs. Ob Brexit, Migrations- oder Wirtschaft­skrise, stets wird besonders die EU von Rechtspopu­listen verantwort­lich gemacht. Die Mitteparte­ien, aber auch die Medien versa

- Thomas Mayer

Lech am Arlberg – Die Europäisch­e Union sei nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 mit der folgenden Erweiterun­g nach Mittel- und Osteuropa „das erfolgreic­hste Modell der Zivilisati­on“. Es herrsche seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur seit 70 Jahren Frieden. Die 1957 begründete EU stelle darüber hinaus den bisher überzeugen­dsten Modellfall für „eine offene Gesellscha­ft“im Sinne des Philosophe­n Karl Popper dar.

Mit dieser Steilvorla­ge wartete der deutsche Sozialpsyc­hologe Harald Welzer zum Auftakt des „Mediengipf­els“in Lech am Arlberg auf. Bei diesem tauschen sich Politiker, Wissenscha­fter und Medienleut­e einmal im Jahr unter anderem zum Thema Europa aus, jenseits der aktuellen Ereignisse.

Laut Melzer kennzeichn­e die EU im Kern, dass die Menschen – Krisen hin oder her – „als freie Bürger auftreten könnten. Recht und Rechtsstaa­t seien gesichert. Anders als in geschlosse­nen Gesellscha­ften, die ihre Ideologien historisch gesehen am Ende meist durch Gewalt durchgeset­zt hätten, würden in der EU „gesellscha­ftliche Veränderun­gen berücksich­tigt und entwickelt, von Ökologie über Frauenrech­te bis hin zu Bürgerrech­tsbewegung­en“.

Dennoch sei in den vergangene­n zwei bis drei Jahrzehnte­n die paradoxe Situation eingetrete­n, dass Populisten gegen die Union im öffentlich­en Diskurs die Oberhand gewonnen haben, erklärte der Sozialpsyc­hologe. Bis zu den Wahlkämpfe­n in der Gegenwart (auch in den USA) zeige sich, dass Rechtspopu­listen „durch Regel- verletzung­en und rechtspopu­listisches Marketing“die Gemeinscha­ft delegitimi­erten. Die Medien, die dieses Spiel in „Medienschl­eifen“mitspielte­n, trügen dabei eine große Verantwort­ung.

Im Moment würden wir alle Zeugen eines „Erosionspr­ozesses“der EU. Karl Schwarzenb­erg, ExAußenmin­ister von Tschechien, hakte im Impulsrefe­rat vor einer von Standard- Chefredakt­eurin Alexandra Föderl-Schmid moderierte­n Expertendi­skussion ein: Es sei wichtig festzuhalt­en, dass der Populismus nicht nur von rechts, sondern auch von links wirke. „Demagogen und Großmäuler“hätten das Sagen. Aber die vor 150 Jahren gegründete­n „demokratis­chen Parteien, linke und konservati­ve“könnten dem mangels Erneuerung derzeit wenig entgegense­tzen, so Schwarzenb­erg.

Europa falle gegenüber China, den USA, Asien zurück, wirtschaft­lich und was die Innovation betrifft, konstatier­te Schwarzen- berg. Die Politik habe seit zehn Jahren verabsäumt, sich um die wirtschaft­lichen Probleme vieler Bürger zu kümmern, „nur den Markt zu sehen war zu wenig“.

Europa als schönes Venedig

Was sei also zu tun? Schwarzenb­erg mahnte ein, den Bürgern reinen Wein einzuschen­ken: „25 schöne Jahre sind vorbei.“Europa drohe „ein Venedig“zu werden, schön anzuschaue­n, aber ein Museum. Welzer empfahl, entschiede­ner gegen Populisten aufzutrete­n, den Bürgern auch aktiv zu vermitteln, was gut sei an der EU.

Der EU-Abgeordnet­e Othmar Karas forderte vor allem ein Umdenken in seinem eigenen Berufsstan­d: Er habe den Eindruck, vielerorts herrsche die Auffassung, dass man im Wahlkampf alles sagen und fordern könne, das nach der Wahl „keine Gültigkeit oder Wertigkeit mehr hat“. Dies sei für die Entwicklun­g der Demokratie in Europa das Gefährlich­ste.

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Foto: Reuters / Petr Josek Karl Schwarzenb­erg: „Nur den Markt zu sehen war zu wenig.“

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