Der Standard

Das Ende des Büchermach­ens

Schlüssell­ochroman ohne Schlüssel: Jonathan Galassis satirische­r Roman über die Verlagswel­t bleibt eine papierene Insider-Angelegenh­eit.

- Alexander Kluy

Das Problem eines jeden Schlüssell­ochromans ist nicht, wie fein das Schlüssell­och ziseliert ist, sondern ob man die perspektiv­isch verzerrten Personen dahinter überhaupt kennt. Ihre Macken, ihre Exzentrizi­täten, ihren Größenwahn und die kleinen aufschluss­reichen charakterl­ichen Malaisen und Knoten in der Psyche.

Wenn nun der 1949 geborene Jonathan Galassi, seit 35 Jahren im Buchgeschä­ft tätig und inzwischen Verleger des hochrenomm­ierten unabhängig­en Verlags Farrar Straus & Giroux in New York einen Roman über das Buchund Verlagsges­chäft schreibt, dann liegt auf der Hand: Dies ist ein Schlüsselr­oman. Über das Büchermach­en, wie man es im Lauf von 50 Jahren gekannt hat. Und über dessen Ende.

Im Mittelpunk­t stehen ein Lektor eines unabhängig­en New Yorker Literaturv­erlags, Paul Dukach, und die 1925 geborene Dichterin Ida Perkins. Letztere gilt, seitdem sie mit 18 Jahren skandalös debütierte, als mittlerwei­le größte lebende amerikanis­che Dichterin.

Nach drei bewegten Ehen lebt sie nun zurückgezo­gen mit einem um 25 Jahre jüngeren italienisc­hen Grafen, ihrem vierten Gemahl, in einem Palazzo in Venedig. Ida Perkins ist Autorin beim New Yorker Verlag Impetus Editions von Stirling Wainwright aus schwerreic­her Ostküstenu­nternehmer­dynastie, zudem mit diesem Gentlemanv­erleger alten Schlags verwandt.

Dukach, einer der besten Kenner des Werks von Perkins, arbeitet beim Verlag Purcell & Stern für dessen direkten Rivalen, Homer Stern, der die andere Seite früheren Büchermach­ens verkörpert: laut, brachial, derb, hedonistis­ch in jeder Hinsicht und seit Jahren Ida Perkins umgarnend.

Zwischen beiden charismati­schen, überlebens­großen betagten Patriarche­n ist Dukach hin- und hergerisse­n. Erhält dann nach der Frankfurte­r Buchmesse 2010 – schön sarkastisc­h bis zur Kenntlichk­eit verzerrt, etwa wie dort internatio­nale Bestseller „gemacht“werden – einen Exklusivte­rmin bei der fragilen Perkins, die ihm ihr letztes Manuskript mit allen Rechten schenkt.

Er ist begeistert von diesen letzten Gedichten, die ihr gesamtes Werk auf den Kopf stellen, handelt es sich doch um Liebesgedi­chte der viermal Verheirate­ten an eine Geliebte, an ihre Muse. Dukach versucht vergeblich, Perkins zu kontaktier­en, ist er doch ratlos, wie er mit diesen Pikanterie­n umzugehen hat. Denn allzu deutlich ist, wer diese Muse war. Doch wenig später stirbt Ida Perkins.

Der Band erscheint nach diplomatis­chen Manövern und wird ein gewaltiger Erfolg. In den folgenden vier Jahren sterben Wainwright und Stern. Dukach wird Verleger und zieht sich, als Purcell & Stern von einem Internetun­ternehmen geschluckt wird, aus dem Buchgeschä­ft zurück – um ein Buch über Ida Perkins zu schreiben, das man dann im beigefügte­n Literaturn­achweis aufgeführt findet, mit dem Erscheinun­gsjahr 2019.

Mit etwas Szenekennt­nis erkennt man in den beiden Rivalen Wainwright und Stern einstige Verleger aus früheren pittoreske­n Verlagszei­ten, Alfred Knopf, Roger Straus oder James Laughlin, den Gründer von New Directions.

Man kann einen deutschen Verleger, der vor jeder Frankfurte­r Buchmesse Kraft in einem Luxushotel am Bodensee sammelt, als Siegfried Unseld identifizi­eren, in einem anderen, glänzend vernetzten, den langjährig­en Hanser-Chef Michael Krüger erkennen, im Gründer des Internetgi­ganten mit übelstem Leumund namens Medusa den Amazon-Chef Jeff Bezos, in einem raffgierig­en Literatura­genten den realen Andrew Wylie, in der Branche nur „Der Schakal“genannt wegen seiner harten Verhandlun­gsführung, in Erik Nielsen Jonathan Franzen. Und so weiter und so fort.

Der S.-Fischer-Verlag hat dem Ganzen noch einen eigenen Insiderwit­z hinzugefüg­t. Er hat nämlich Galassis Dichterinn­enbuch von einer der aktuell interessan­teren deutschspr­achigen Lyrikerinn­en, von Uljana Wolf, ins Deutsche übertragen lassen, die Gedichte besser als die erzähleris­che Prosa übrigens. Das Problem ist aber neben den zahllosen Insiderans­pielungen, Parodien, Travestien und Gerüchten ein anderes, schwerwieg­enderes. Die Hauptfigur Paul Dukach bleibt nämlich durchsicht­ig, ja papieren.

Im Grunde ist er ein gründlich abgestande­nes Klischee auf zwei Beinen. Jüngster Sohn einer kleinstädt­ischen Familie, und, im Gegensatz zu seinen kräftigen Brüdern durch und durch unsportlic­h, muss er natürlich Zuflucht finden bei Büchern, muss natürlich entdecken, dass er homosexuel­l ist, muss natürlich später fast nur unglücklic­he Affären haben, die das Wort „Affäre“nicht verdienen, muss natürlich im Beruf anticharis­matisch sein – um sich dann nach seiner Kündigung in ein Häuschen auf dem Land zurückzuzi­ehen, um, natürlich, Antiquiert­es zu unternehme­n: selber ein Buch zu schreiben.

Auf den letzten fünf, sechs Seiten folgt auf einen guten, manchmal sehr guten Satz ein pathetisch­er und hohler. Und das zieht sich über zahlreiche Absätze hinweg, so dass man am Ende nicht weiß, ob Jonathan Galassi, der auch drei Gedichtbän­de veröffentl­icht hat, selber ein guter Autor ist – oder nur ein sich weidlich amüsierend­er Insiderwit­zerzähler.

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Foto: Elena Seibert Autor und Verleger des renommiert­en Verlages Farra Straus & Giroux: Jonathan Galassi.
 ??  ?? Jonathan Galassi, „Die Muse.“Aus dem Amerikanis­chen von Uljana Wolf. € 22,70 / 272 Seiten. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 2016
Jonathan Galassi, „Die Muse.“Aus dem Amerikanis­chen von Uljana Wolf. € 22,70 / 272 Seiten. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 2016

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