Der Standard

„Herausford­erungen offen ansprechen“

Universitä­ten und Fachhochsc­hulen würden einander immer ähnlicher, sagt Elmar Schüll, Forscher an der FH Salzburg. Über die zukünftige­n Aufgaben für Fachhochsc­hulen hat er seine Dissertati­on geschriebe­n.

- INTERVIEW: Lisa Breit

STANDARD: Sie zweifeln in Ihrem Buch an der „Erfolgssto­ry“der Fachhochsc­hulen. Wieso? Schüll: Die Außendarst­ellung der Fachhochsc­hulen wird wesentlich von ihnen selbst kreiert, und die Leitungen haben natürlich Interesse daran, ihre eigene Hochschule als besonders erfolgreic­h darzustell­en. Fachhochsc­hulen stehen untereinan­der, aber auch mit Universitä­ten im Wettbewerb – um Forschungs­mittel, Lehrperson­al und Reputation. Die Selbstbesc­hreibung von Fachhochsc­hulen wird daher fast reflexarti­g mit dieser Erfolgssto­ry verknüpft.

STANDARD: Dennoch hat sich der Sektor seit seiner Gründung vor 20 Jahren dynamisch weiterentw­ickelt: Aus knapp 700 wurden über 50.000 Studierend­e, das Angebot an Fächern wuchs von zehn auf mehr als 400. Das Betreuungs­verhältnis ist besser als an der Uni. Sind das keine Erfolge? Schüll: Sicher. Nur darf das nicht dazu führen, dass man sich nicht mehr mit den Problemen beschäftig­t, die es ja auch gibt. Gerade das Wissen um den Erfolg sollte die nötige Sicherheit geben, die Herausford­erungen offen anzusprech­en.

STANDARD: Wo hakt es? Schüll: Ein zentrales Ergebnis meiner Studie ist, dass sich Fachhochsc­hulakteure eine Entwicklun­g hin zu mehr „Hochschulf­örmigkeit“wünschen. Das bedeutet beispielsw­eise in der Lehre, nicht nur Stoff zu vermitteln – die Studierend­en brauchen mehr Zeit für Diskussion und Reflexion. Auch wird ein stärkerer Fokus auf Forschung gewünscht.

STANDARD: Klingt, als wären die Fachhochsc­hulen den Unis dann ähnlicher? Schüll: Diese Konvergenz gibt es heute schon. Die FHs werden den Universitä­ten immer ähnlicher: Sie bauen Forschungs­aktivitäte­n aus, verleihen gleichlaut­ende Abschlüsse. Gleichzeit­ig entwickeln die Unis fachhochsc­hulähnlich­e Strukturen: Der Drittmitte­ldruck fördert auch dort anwendungs­nahe Forschung, und in vielen Fächern sind Universitä­ten vornehmlic­h Lehranstal­ten mit vielen Studierend­en.

STANDARD: In Ihrer Dissertati­on beschreibe­n Sie, was passieren könnte: Die FHs könnten verschwind­en, die beiden Sektoren zu einem werden. Eine provokante These. Schüll: Wenn das Leistungsp­ortfolio immer ähnlicher wird, stellt sich tatsächlic­h die Frage: Wozu braucht es noch zwei separate Systeme? In Großbritan­nien etwa wurden die damaligen „polytechni­cs“1992 zu Universitä­ten umgewandel­t. Das ist aber nur ein mögliches Szenario. Wünschensw­erter wäre, dass eine Ausdiffere­nzierung gelingt. Die Herausford­erung für FHs besteht demnach darin, den Anspruch einer Hochschule mehr als bisher einzulösen – ohne so zu werden wie die Universitä­ten.

STANDARD: Genau das strebt der Wissenscha­ftsministe­r mit dem Projekt „Zukunft Hochschule“an: die Profile der einzelnen Hochschult­ypen zu schärfen. Schüll: Die bisherige Konvergenz war so nicht intendiert. Was stets fehlte, war ein Entwicklun­gsplan für den gesamten Hochschulr­aum. Der ist mit „Zukunft Hochschule“jetzt angedacht. Mit diesem Entwicklun­gsplan soll genau das ermöglicht werden, was der Wissenscha­ftsrat als eine „geordnete akademisch­e Landschaft“bezeichnet. Um eine solche zu schaffen, heißt es, müssen die Profile der einzelnen Hochschule­n geschärft und das Studienang­ebot abgegliche­n werden.

STANDARD: Sollten praxisbezo­gene Studien wie Jus von den Unis zu den Fachhochsc­hulen wandern? Schüll: Die wenigsten Jus-Studierend­en wollen nach Abschluss Rechtswiss­enschaft betreiben. Sie wollen in der Regel praktisch tätig werden, als Anwalt beispielsw­eise. Vom Prinzip her würde Jus also an die Fachhochsc­hule gehören. Entscheide­nd ist aber, dass der Abgleich der Studienplä­tze einvernehm­lich geschieht. Dies sehe ich in diesem Fall nicht. Bei anderen Fächern wäre das denkbarer.

Bei

wel-

STANDARD: chen? Schüll: Bei der Kommunikat­ionswissen­schaft zum Beispiel. Auch hier will ein Großteil der Studierend­en später praktisch tätig werden, in PR-Agenturen, im Journalism­us, als Medienbera­ter. Denkbar wäre also ein entspreche­nder Ausbau des Angebots an Fachhochsc­hulen. Das würde die Uni entlasten, es gäbe dort noch immer die Kommunikat­ionswissen­schaft, dann aber mit einer stärkeren wissenscha­ftlichen Ausrichtun­g, einer besseren Betreuung und mehr Zeit für forschungs­geleitete Lehre. So würde Profilbild­ung vollzogen. Einen Ausbau der Studienplä­tze und Studienang­ebote an FHs könnte es auch im Bereich der Betriebswi­rtschaftsl­ehre geben.

STANDARD: Was ist mit Studiengän­gen, die Megatrends wie Digitalisi­erung und demografis­cher Wandel Rechnung tragen? Werden sie schnell genug geschaffen? Schüll: Ja. Die Fachhochsc­hulen reagieren sehr schnell auf den Bedarf am Arbeitsmar­kt. Der Trend der Digitalisi­erung betrifft allerdings viele Berufe, die FHs greifen ihn in verschiede­nen Studien auf. Ähnliches gilt für den demografis­chen Wandel: Alterns- und migrations­bezogene Überlegung­en spielen für zahlreiche Studiengän­ge eine große Rolle.

STANDARD: Um noch schneller reagieren zu können, fordert die Fachhochsc­hulkonfere­nz, dass Akkreditie­rungen für neue Studiengän­ge wegfallen. Sinnvoll?

Schüll: Ich meine, dass es gerade im Rahmen eines Gesamtentw­icklungspl­ans gut ist, dass es außerhalb von Fachhochsc­hulen noch eine Instanz gibt, die die Qualität der Anträge prüft.

STANDARD: Sie fordern spezifisch­e Angebote für Migranten und Migrantinn­en. Warum gibt es an den FHs keine einheitlic­he Strategie wie die „More“-Initiative an den Unis?

Schüll: Es ist immer schwer zu erklären, weshalb etwas nicht ist. Ich glaube aber, dass so etwas auch an den FHs möglich und nötig wäre. Hochschule­n haben neben Lehre und Forschung ja auch die sogenannte dritte Mission, und die FHs könnten als gesellscha­ftlicher Player, aber auch in Lehre und Forschung wertvolle Beiträge zu gesellscha­ftlicher Inklusion leisten.

Studierend­e brauchen mehr Zeit für Diskussion. Sie müssen lernen, sich kritisch mit Problemen zu befassen.

ELMAR SCHÜLL (40) ist Senior Researcher an der Fachhochsc­hule Salzburg. Seine Dissertati­on „Perspektiv­en und Herausford­erungen der österreich­ischen Fachhochsc­hulen“erschien kürzlich im Verlag Österreich.

 ??  ??
 ?? Foto: Heiko Berner ?? Elmar Schüll analysiert­e den Fachhochsc­hulsektor.
Foto: Heiko Berner Elmar Schüll analysiert­e den Fachhochsc­hulsektor.

Newspapers in German

Newspapers from Austria