Job und Religion: Europa lotet Grenzen aus
Kopftuch, Kreuz, Burka – über religiöse Symbole in öffentlichen Ämtern und am Arbeitsplatz wird europaweit diskutiert. Dem Europäischen Gerichtshof liegen dazu zwei unterschiedliche Stellungnahmen vor.
Wien – Der Staat ist ein neutraler Richter – oder sollte es zumindest sein. Verträgt sich das mit einer Frau Rat, die ein Kopftuch trägt, oder einem Kadi mit Kippa? Hat in einem Land, in dem Kirche und Staat klar getrennt sind, ein Kreuz noch etwas in einem Verhandlungssaal verloren? In der österreichischen Justiz wird diese Frage seit einiger Zeit diskutiert. Die heimische Richterschaft hat sie für sich bereits mit Nein beantwortet, eine von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) ins Leben gerufene Arbeitsgruppe hat die Situation rechtlich analysiert, die Politik streitet. Ein Blick nach Luxemburg zeigt: Wie mit Religion im öffentlichen Leben umgegangen werden soll, sorgt derzeit europaweit für Uneinigkeit.
Zwei Vorabentscheidungen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat über ein Verbot des Tragens religiöser Symbole noch nicht entschieden. Es sind allerdings zwei Vorabentscheidungsverfahren zum Thema Kopftuch anhängig – und die Stellungnahmen der jeweils zuständigen Generalanwältinnen sind unterschiedlich ausgefallen.
In dem einen Fall geht es darum, ob ein Arbeitgeber einer Muslimin verbieten kann, während der Arbeitszeit ein Kopftuch zu tragen, wenn allen Mitarbeitern Symbole politischer, religiöser oder philosophischer Überzeugung am Körper untersagt sind. Grundsätzlich ist Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung im Berufsleben per Richtlinie verboten. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfen jedoch gewisse Ausnahmen zulassen – wenn etwa ohne entsprechende Ungleichbehandlung die Ausübung des Jobs gar nicht richtig möglich wäre oder sie eine zur Ausübung entscheidende Anforderung darstellt. Denkbar wäre beispielsweise ein Verbot aufgrund von Sicherheitsrisiken.
Juliane Kokott, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, deren Aufgabe es ist, EuGH-Rich- ter in ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen, hat nun befunden: Spricht ein Unternehmen ein generelles Verbot weltanschaulicher Symbole aus, kann auch einer Frau gekündigt werden, wenn sie sich weigert, ihr Kopftuch am Arbeitsplatz abzulegen.
Der andere Fall betrifft die Frage, ob dem Wunsch eines Kunden entsprochen werden kann, der nicht will, dass eine Informatikdienstleistung von einer Frau mit Gesichtsschleier erbracht wird. Ist das im Sinne der Richtlinie legitim, weil ein freiliegendes Gesicht eine Anforderung in diesem Job ist? In dieser Causa kam die zuständige Generalanwältin zu dem Schluss: Arbeitsplatzvorschriften, die Mitarbeitern während des Kontakts mit Kunden das Tragen religiöser Zeichen oder Bekleidung verbieten, stellen eine Diskriminierung dar. Insbesondere dann, wenn nur das islamische Kopftuch davon betroffen wäre.
Kopftuchverbote gibt es in Europa nicht, in Frankreich und Belgien ist seit dem Jahr 2011 allerdings in der Öffentlichkeit das Tragen von Burka und Niqab nicht mehr erlaubt. Die Gesetzestexte beziehen sich aber bewusst nicht auf den religiösen Schleier, um eben Diskriminierungsvorwürfen vorzubeugen. In Spanien gibt es kein landesweites Verbot, in Katalonien wurde das Tragen von Vollschleiern allerdings untersagt. In vielen anderen europäischen Ländern wird über Verbote diskutiert.
Alles oder gar nichts
Österreichs Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) ließ kürzlich damit aufhorchen, dass er ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Richterinnen befürworte, allerdings gleichzeitig das Kreuz in Klassenzimmern und Gerichtssälen nicht infrage stellen wolle. Minister Brandstetter unterstützt die Idee für den Bereich Justiz. Eine von ihm eingerichtete Arbeitsgruppe kam allerdings zu dem Ergebnis, dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen religiösen Symbolen rechtlich nicht zulässig wäre und entweder alle weltanschaulichen Zeichen im Gericht verboten oder alle erlaubt sein müssten. Die Richterschaft spricht sich klar für ein Verbot sämtlicher Symbole aus, die Rückschlüsse auf eine Religion, Weltanschauung oder politische Haltung zulassen.
Der heimische Verfassungsgerichtshof wurde bisher noch nicht mit diesen Fragen befasst. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat aber bereits in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass zumindest eine Verpflichtung zum Anbringen von Kreuzen weder in Schulen noch in Gerichtssälen mit dem Grundgesetz vereinbar ist.