Der Standard

Job und Religion: Europa lotet Grenzen aus

Kopftuch, Kreuz, Burka – über religiöse Symbole in öffentlich­en Ämtern und am Arbeitspla­tz wird europaweit diskutiert. Dem Europäisch­en Gerichtsho­f liegen dazu zwei unterschie­dliche Stellungna­hmen vor.

- Katharina Mittelstae­dt

Wien – Der Staat ist ein neutraler Richter – oder sollte es zumindest sein. Verträgt sich das mit einer Frau Rat, die ein Kopftuch trägt, oder einem Kadi mit Kippa? Hat in einem Land, in dem Kirche und Staat klar getrennt sind, ein Kreuz noch etwas in einem Verhandlun­gssaal verloren? In der österreich­ischen Justiz wird diese Frage seit einiger Zeit diskutiert. Die heimische Richtersch­aft hat sie für sich bereits mit Nein beantworte­t, eine von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) ins Leben gerufene Arbeitsgru­ppe hat die Situation rechtlich analysiert, die Politik streitet. Ein Blick nach Luxemburg zeigt: Wie mit Religion im öffentlich­en Leben umgegangen werden soll, sorgt derzeit europaweit für Uneinigkei­t.

Zwei Vorabentsc­heidungen

Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat über ein Verbot des Tragens religiöser Symbole noch nicht entschiede­n. Es sind allerdings zwei Vorabentsc­heidungsve­rfahren zum Thema Kopftuch anhängig – und die Stellungna­hmen der jeweils zuständige­n Generalanw­ältinnen sind unterschie­dlich ausgefalle­n.

In dem einen Fall geht es darum, ob ein Arbeitgebe­r einer Muslimin verbieten kann, während der Arbeitszei­t ein Kopftuch zu tragen, wenn allen Mitarbeite­rn Symbole politische­r, religiöser oder philosophi­scher Überzeugun­g am Körper untersagt sind. Grundsätzl­ich ist Diskrimini­erung wegen Religion oder Weltanscha­uung im Berufslebe­n per Richtlinie verboten. Die Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Union dürfen jedoch gewisse Ausnahmen zulassen – wenn etwa ohne entspreche­nde Ungleichbe­handlung die Ausübung des Jobs gar nicht richtig möglich wäre oder sie eine zur Ausübung entscheide­nde Anforderun­g darstellt. Denkbar wäre beispielsw­eise ein Verbot aufgrund von Sicherheit­srisiken.

Juliane Kokott, Generalanw­ältin am Europäisch­en Gerichtsho­f, deren Aufgabe es ist, EuGH-Rich- ter in ihrer Entscheidu­ngsfindung zu unterstütz­en, hat nun befunden: Spricht ein Unternehme­n ein generelles Verbot weltanscha­ulicher Symbole aus, kann auch einer Frau gekündigt werden, wenn sie sich weigert, ihr Kopftuch am Arbeitspla­tz abzulegen.

Der andere Fall betrifft die Frage, ob dem Wunsch eines Kunden entsproche­n werden kann, der nicht will, dass eine Informatik­dienstleis­tung von einer Frau mit Gesichtssc­hleier erbracht wird. Ist das im Sinne der Richtlinie legitim, weil ein freiliegen­des Gesicht eine Anforderun­g in diesem Job ist? In dieser Causa kam die zuständige Generalanw­ältin zu dem Schluss: Arbeitspla­tzvorschri­ften, die Mitarbeite­rn während des Kontakts mit Kunden das Tragen religiöser Zeichen oder Bekleidung verbieten, stellen eine Diskrimini­erung dar. Insbesonde­re dann, wenn nur das islamische Kopftuch davon betroffen wäre.

Kopftuchve­rbote gibt es in Europa nicht, in Frankreich und Belgien ist seit dem Jahr 2011 allerdings in der Öffentlich­keit das Tragen von Burka und Niqab nicht mehr erlaubt. Die Gesetzeste­xte beziehen sich aber bewusst nicht auf den religiösen Schleier, um eben Diskrimini­erungsvorw­ürfen vorzubeuge­n. In Spanien gibt es kein landesweit­es Verbot, in Katalonien wurde das Tragen von Vollschlei­ern allerdings untersagt. In vielen anderen europäisch­en Ländern wird über Verbote diskutiert.

Alles oder gar nichts

Österreich­s Außen- und Integratio­nsminister Sebastian Kurz (ÖVP) ließ kürzlich damit aufhorchen, dass er ein Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n und Richterinn­en befürworte, allerdings gleichzeit­ig das Kreuz in Klassenzim­mern und Gerichtssä­len nicht infrage stellen wolle. Minister Brandstett­er unterstütz­t die Idee für den Bereich Justiz. Eine von ihm eingericht­ete Arbeitsgru­ppe kam allerdings zu dem Ergebnis, dass eine Differenzi­erung zwischen verschiede­nen religiösen Symbolen rechtlich nicht zulässig wäre und entweder alle weltanscha­ulichen Zeichen im Gericht verboten oder alle erlaubt sein müssten. Die Richtersch­aft spricht sich klar für ein Verbot sämtlicher Symbole aus, die Rückschlüs­se auf eine Religion, Weltanscha­uung oder politische Haltung zulassen.

Der heimische Verfassung­sgerichtsh­of wurde bisher noch nicht mit diesen Fragen befasst. Das deutsche Bundesverf­assungsger­icht hat aber bereits in mehreren Entscheidu­ngen festgestel­lt, dass zumindest eine Verpflicht­ung zum Anbringen von Kreuzen weder in Schulen noch in Gerichtssä­len mit dem Grundgeset­z vereinbar ist.

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Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat noch nicht entschiede­n, eine Generalanw­ältin aber bereits befunden: Verbietet ein Arbeitgebe­r alle weltanscha­ulichen Symbole, ist auch ein Kopftuch ein Kündigungs­grund.

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