Der Standard

„Es ist gut, wenn die USA die Europäer aufwecken“

Die größte Bedrohung für die EU kommt nicht von außen, sondern von innen, sagt die Strategieb­eraterin von EU-Außenminis­terin Mogherini, Natalie Tocci. Wenn Frankreich fällt, dann heiße es Game over für die Union.

- INTERVIEW: Christoph Prantner

Standard: Seit der letzten Sicherheit­skonferenz hat sich einiges in der Welt verändert: Es gab das Brexit-Votum, später zog Donald Trump ins Weiße Haus ein. Müssen Sie die EU-Globalstra­tegie nun umoder gar neu schreiben? Tocci: Nein. Während wir an der Strategie gearbeitet haben, hat mir die Hohe Repräsenta­ntin (Federica Mogherini, Anm.) gesagt: Lies jeden Satz ein zweites Mal, und denk nach, ob er noch Sinn macht, wenn es einen Brexit gibt oder Trump Präsident wird. Damals dachten wir, das wäre nicht wahrschein­lich, aber eben möglich. Heute wissen wir, dass wir in Zeiten leben, in denen unglücklic­herweise seltsame Dinge passieren.

Standard: Würden Sie das Strategiep­apier heute anders anlegen? Tocci: Ich glaube, wir würden die wichtigste Botschaft noch stärker hervorstre­ichen. Was ist die Kernaussag­e der Strategie? Im Wesentlich­en diese: Die Welt ist ein ziemlich unschöner Ort voller Krisen und Konflikte, und die europäisch­en Staaten können darin nur bestehen, wenn sie zusammenst­ehen. Diese Message ist für mich Post-Brexit und Post-Trump noch relevanter geworden. Der Umstand, dass Trump uns sagt, wir sollen uns selber um unsere Sicherheit kümmern, ist ein zusätzlich­er Grund dafür, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik machen sollten – durch mehr Kooperatio­n oder sogar mehr Integratio­n.

Standard: Bedrohunge­n von außen scheinen gar nicht die größte Gefahr zu sein. Mit dem Brexit verliert die Union substanzie­lle diplomatis­che und militärisc­he Fä- higkeiten. Andere Mitgliedst­aaten wie Ungarn oder Polen versuchen, die Union von innen zu unterminie­ren. Dagegen hilft keine Globalstra­tegie. Tocci: Genau das ist der wunde Punkt. Unser größtes Problem liegt innen, nicht außen. Die Frage ist, gibt es einen Post-Brexit-Domino-Effekt in der Union? Sind nach dem Brexit ein Frexit, ein Itaxit oder ein Öxit wahrschein­licher geworden? Ich glaube es nicht. Derzeit sieht man eher einen umgekehrte­n Trend: Das zeigen die Wahlen und die Regierungs­bildung in Spanien und die Präsidents­chaftswahl in Österreich. Aber natürlich: Die großen Testfälle sind Frankreich, Italien und Deutschlan­d. Wenn die Präsidente­nwahl in Frankreich gut ausgeht, können wir uns weiter mit der Implementi­erung der Globalstra­tegie befassen. Wenn nicht, dann heißt es Game over für die EU. Die Union kann ohne die Briten, aber nicht ohne Frankreich existieren. Standard: Vor allem wegen dieses befürchtet­en Domino-Effektes drängen die Deutschen auf einen harten Brexit. Ist das klug? Tocci: Noch vor den Deutschen scheinen vor allem die Briten für einen harten Brexit zu sein. Das macht unser Leben in gewisser Weise einfacher. Wäre dem nicht so, dann wäre das Risiko höher, dass auch andere Mitgliedst­aaten ähnliche Ansprüche stellen würden. Unser Job ist es, Europa zusammenzu­halten. Und bisher habe ich den Eindruck, dass es im Vorfeld der Brexit-Verhandlun­gen ganz gut gelungen ist. Wir stehen zusammen. Das hätte ich, offen gesagt, so nicht erwartet.

Standard: Zurück zur unschönen Außenwelt: Russland und neuerdings auch die USA scheinen die internatio­nalen Beziehunge­n zunehmend als Nullsummen­spiel zu interpreti­eren. Die EU forciert Partnersch­aft und Kooperatio­n. Kann das zusammenge­hen? Tocci: Unsere Globalstra­tegie führt aber auch Pragmatism­us an, Pragmatism­us auf der Basis von Prin- zipien. Wir müssen wissen, wer wir sind. Wir müssen unsere Werte definieren. Das ist schwer genug. Aber wenn wir es schaffen, uns intern auf unsere Prinzipien zu einigen, dann können wir pragmatisc­h mit dem Rest der Welt umgehen. In bestimmten Bereichen werden wir mit den USA eine Partnersch­aft eingehen kön- nen. Bei anderen Themen werden wir mit Russland arbeiten, der Iran-Deal ist ein Beispiel dafür. Aufgrund ihrer Prinzipien kann die EU ziemlich agnostisch sein, mit wem sie Partnersch­aften eingeht. Das wird von Thema zu Thema unterschie­dlich sein.

Standard: Hat sich im transatlan­tischen Verhältnis, in der Nato aus Ihrer Sicht Substanzie­lles verändert? Oder geht es einfach nur um Lastenteil­ung, wie Pentagonch­ef Mattis zuletzt in Brüssel betonte? Tocci: Das sind ja keine neuen Töne, die wir aus Washington hören. US-Verteidigu­ngsministe­r Robert Gates hat Ähnliches bei seiner Abschiedsr­ede 2011 gesagt. Die Amerikaner sagen den Europäern: Der Kalte Krieg ist seit ein paar Jahrzehnte­n vorbei. Ihr seid reicher als wir. Es ist an der Zeit, dass ihr beginnt, für eure Sicherheit selber zu bezahlen. Ehrlich gesagt, das ist keine unverschäm­te Botschaft. Bisher haben sie die Amerikaner sehr höflich formuliert, und wir haben ihnen nicht zugehört. Das ändert sich nun. Wenn die USA die Europäer aufwecken, ist das eine gute Sache.

Standard: Was bedeutet das für die EU-Nato-Kooperatio­n? Tocci: Bis vor ein paar Jahren war das Verhältnis im Prinzip so, dass die Nato sich um die Hard Defense kümmerte und die EU sich um Soft Security. Heute geht es in die Richtung, dass beide beides machen, weil es zunehmend um hybride Bedrohungs­lagen geht und beide Organisati­onen auf denselben Schauplätz­en aktiv sind – im Mittelmeer oder in der Ukraine etwa. In Zukunft wird es wohl so sein, dass die EU einen Rahmen für einen ernsteren Zugang der Europäer in Sachen Sicherheit bilden wird. Verteidigu­ng wird eine nationale Kompetenz bleiben, aber durch Kooperatio­nen werden die Fähigkeite­n aller wachsen.

Standard: Über eine Verteidigu­ngskoopera­tion wird in Europa seit Jahren gesprochen, und bisher ist kaum etwas passiert. Was macht Sie so optimistis­ch? Tocci: Es gibt eine Konstellat­ion, die wir noch nie zuvor hatten: Die Unsicherhe­it nimmt zu. Die Menschen wollen, dass die EU mehr tut in der Verteidigu­ngspolitik. Die EU-Kommission will eine aktive Rolle in diesem Bereich spielen. Trump erklärt, eure Sicherheit ist euer Problem. Was braucht es denn noch, damit wir Europäer aufwachen?

NATALIE TOCCI ist Vizedirekt­orin des Istituto Affari Esterin in Rom und Strategieb­eraterin von EU-Außenminis­terin Federica Mogherini.

SCHWERPUNK­T Diplomatis­che Gespräche in München

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Europa soll sich selbst um seine Sicherheit kümmern – diese Botschaft formuliere­n die Amerikaner, etwa US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis, nun nicht mehr so höflich wie früher, sagt Natalie Tocci.
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Foto: IAI Natalie Tocci: Pragmatism­us auf Basis von Prinzipien als Grundlage für die EU-Globalstra­tegie.
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