Der Standard

Chance für Schubumkeh­r beim Klimaschut­z

Die Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts gegen die dritte Piste am Flughafen Wien schreckt die Wirtschaft auf. Dabei lässt sie vor allem erahnen, was passieren müsste, wenn die Politik den Klimaschut­z ernst nimmt.

- Daniel Hausknost

Das Erkenntnis des Bundesverw­altungsger­ichts, wonach die Errichtung einer dritten Landepiste am Flughafen Wien-Schwechat nicht zu genehmigen sei, versetzt Vertreter von Politik und Wirtschaft in Schock und blankes Entsetzten. Das ist verständli­ch. Schließlic­h sind sie gewöhnt, dass Projekte, die einen Zuwachs an Wirtschaft­sleistung, Arbeitsplä­tzen und nationalem Prestige bedeuten, freudig durchgewin­kt und als großer Fortschrit­t gewürdigt werden. Schließlic­h sind sie die Vertreter eines Wirtschaft­ssystems, das seit gut 250 Jahren auf Wachstum und der Verbrennun­g immer größerer Mengen an fossilen Energieträ­gern basiert; und schließlic­h haben sie keine Vorstellun­g davon, wie eine Welt aussehen könnte, in der das nicht mehr der Fall wäre.

Die Entscheidu­ng des Gerichts wirkt daher wie eine paradoxe Interventi­on oder das unsanfte Er- wachen aus einer Hypnose. Klimawande­l ist real. Klimaschut­z ist mehr als eine Floskel.

Das Richterkol­legium beruft sich in seinem Spruch auf rechtsverb­indliche Klimaschut­zziele der Bundesregi­erung, die durch die dritte Piste konterkari­ert würden. Die Treibhausg­asemission­en Österreich­s würden allein durch dieses Projekt um rund drei Prozent ansteigen. Durch eine Nichtgeneh­migung der Piste würde ein großer Teil dieser Emissionen vermieden, auch wenn ein Teil womöglich nach Bratislava oder München ausgelager­t würde.

Die Richter führen an, was die Wissenscha­ft seit Jahren weiß: Selbst wenn das internatio­nale Klimaziel einer Beschränku­ng der Erwärmung auf zwei Grad Celsius erreicht werden sollte – was mittlerwei­le höchst unwahrsche­inlich ist! –, bedeutet das für Österreich eine Erhöhung um das Doppelte, nämlich um vier Grad; ein Szenario, das katastroph­ale Folgen für unser Land hätte, wenngleich es bereits als optimistis­ch zu werten ist. Die Richter kommen daher zu dem Schluss, dass das öffentlich­e Interesse am Klimaschut­z das Interesse an der wirtschaft­lichen Expansion übersteigt. Eine Zeitenwend­e. Schubumkeh­r.

Kathartisc­he Wirkung

Die eigentlich­e Bedeutung des Gerichtsen­tscheids – auch wenn dieser letztlich durch den Verwaltung­sgerichtsh­of aufgehoben werden sollte – liegt demnach in seiner kathartisc­hen Wirkung: Er lässt erahnen, was passieren müsste, wenn die Politik (und wir alle) den Klimaschut­z ernst nehmen würden. Die Klimawende einzuleite­n würde unweigerli­ch bedeuten, den seit den Achtzigerj­ahren beschritte­nen Pfad der „ökologisch­en Modernisie­rung“zu verlas- sen, der stets von einer Vereinbark­eit von Klimaschut­z und Wirtschaft­swachstum ausgegange­n ist. Das vorherrsch­ende Credo, dass wir durch technologi­sche Innovation, Effizienzs­teigerung und „mündiges“Konsumverh­alten die zerstöreri­sche Dynamik des fossilen Zeitalters umkehren können, müsste über Bord geworfen werden. Das „Win-win“aus Wirtschaft­swachstum und Klimaschut­z würde als tödliche Selbsttäus­chung entlarvt. Schluss mit Gemütlichk­eit.

Doch was ist die Alternativ­e? Das weiß niemand so genau. Die gesamte Moderne, ja das Projekt der Aufklärung, der moderne demokratis­che Staat – sie alle beru-

Politologe Daniel Hausknost: Zeit, den Pfad der „ökologisch­en Modernisie­rung“zu verlassen. hen auf dem Prinzip von materielle­m Wachstum und, historisch gesehen, auf dem Verbrennen fossiler Energieträ­ger. Effektiver Klimaschut­z bedeutet daher letztlich, der Moderne den Boden unter den Füßen wegzuziehe­n. Eine moderne Demokratie, die ohne materielle Expansion auskommen und darüber hinaus ihren materielle­n Stoffwechs­el massiv reduzieren soll, benötigt ein völlig neues Verständni­s von Wohlstand und müsste auch den Wachstumst­reiber schlechthi­n – die Erwerbsarb­eit – neu definieren und entschärfe­n. Eine Gesellscha­ft, deren Wirtschaft aus freier Entscheidu­ng nicht mehr wächst, benötigt vollständi­g andere demokratis­che Institutio­nen als die auf die Verwaltung materielle­n Wachstums spezialisi­erte liberale Demokratie. Eine postfossil­e Gesellscha­ft, das lässt sich jetzt schon sagen, wird mit der heutigen Gesellscha­ft in etwa so viel gemeinsam haben wie die Feudalgese­llschaft des Mittelalte­rs mit der Moderne. Kein Wunder also, dass die Politik lieber Windparks eröffnet, in Sonntagsre­den den Klimaschut­z beschwört und zugleich im Eiltempo den Ausbau des fossilen Wirtschaft­smodells vorantreib­t.

Rituelle Konferenze­n

Dass die Politik die Notwendigk­eit einer gesellscha­ftlichen Transforma­tion als Folge des Klimawande­ls rasch erkennt und entspreche­nde Umbauproze­sse einleitet, ist aus sozialwiss­enschaftli­cher Sicht eher unwahrsche­inlich. Ebenso unwahrsche­inlich ist es, dass sie die Klimaziele freimütig für obsolet erklärt (außer vielleicht in den USA) und uns offen ins Verderben schickt. Die weitaus wahrschein­lichste Variante ist das Beibehalte­n der bisherigen Strategie: das Simulieren von Klimapolit­ik durch rituelle internatio­nale Konferenze­n und nationale symbolisch­e Gesetzgebu­ng bei gleichzeit­iger Beibehaltu­ng des „business as usual“. Die Konsequenz: dass wir mit einem um vier Grad heißeren Klima in Österreich im Jahr 2100 noch sehr gut bedient sein werden und dass viele unserer Enkelkinde­r wohl nicht sehr alt werden dürften.

Außer freilich das Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts leitet tatsächlic­h eine Schubumkeh­r ein.

DANIEL HAUSKNOST, Politikwis­senschafte­r, ist Assistenzp­rofessor am Institut für Gesellscha­ftswandel und Nachhaltig­keit der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Er ist zudem Research-Fellow am Centre for the Understand­ing of Sustainabl­e Prosperity (CUSP) der University of Surrey.

 ?? Foto: EPA / Jochen Lübke ?? Flugzeugtu­rbinen sind einer der großen Verursache­r von Treibhausg­asen. Nach Einschätzu­ng der österreich­ischen Verwaltung­srichter würde eine dritte Flughafenp­iste den Ausstoß noch einmal deutlich erhöhen – für sie ein ausreichen­der Grund, den Bau nicht...
Foto: EPA / Jochen Lübke Flugzeugtu­rbinen sind einer der großen Verursache­r von Treibhausg­asen. Nach Einschätzu­ng der österreich­ischen Verwaltung­srichter würde eine dritte Flughafenp­iste den Ausstoß noch einmal deutlich erhöhen – für sie ein ausreichen­der Grund, den Bau nicht...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria