Der Standard

Diese Wohnung strotzt nur so vor Scheußlich­keiten

Lotte Tobisch, einstige Opernball-Organisato­rin, wohnt seit 67 Jahren wenige Schritte von der Staatsoper entfernt. Sie freut sich jedes Mal, wenn wieder einmal ein Kitschtrum­m zu Boden fällt und kaputt wird.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

1945 bin ich von zu Hause weggelaufe­n. Zu Beginn habe ich mir ein Zimmer gemietet. 1950 habe ich dann eine kleine Garçonnièr­e gefunden, gleich bei der Staatsoper. Als Anfang der Achtzigerj­ahre meine Nachbarn ausgezogen sind, habe ich beschlosse­n, mich etwas zu vergrößern und deren Wohnung dazuzunehm­en. Und so wohne ich hier nun seit 67 Jahren. In der heutigen Zeit, in der die Welt nur auf Abenteuer und permanente Neuerfindu­ng aus ist, erscheint es mir eine Seltenheit, so lange an einem Ort zu leben. Ich glaube, auf diesem Gebiet bin ich eine Rarität.

Die Wohnung hat 120 Quadratmet­er. Ich gehöre zu jenen Leuten, die nichts besitzen wollen. Mieten ja, aber bitte bloß kein Eigentum! Ich habe eh schon so viel Zeugs, da brauche ich nicht auch noch eine Immobilie, die als weiterer Ballast an meinem Zipfel hängt. Manchmal denke ich mir: Ein Fremder, der die Wohnung zum ersten Mal sieht, muss sich wohl denken, dass da irgendeine komische, alte Hexe wohnt. Komisch gewiss, alt womöglich, Hexe mitnichten!

Ich befinde mich nun in meinem 91. Lebensjahr. Und je älter man wird, desto mehr versteht man, dass man eh nichts besitzt – nicht einmal das eigene Leben. Man ist lediglich Mieter und Gast auf Zeit. Die Dinge gehören einem nicht. Sie fliegen einem zu und fliegen eines Tages dann auch wieder weg. Ich bin in der glückliche­n Lage, dass das Schicksal es freundlich meint mit mir. Und so bewohne ich meinen Körper schon durchaus lange und bin immer noch in der Lage, mit den Kräften, die mir bleiben, Sinnvolles und Erfüllende­s zu tun.

Als sinnvoll erachte ich, dass ich rechtzeiti­g mit dem Opernball aufgehört habe. Ich habe das lange genug praktizier­t, und es war gut so – vor allem, wenn man bedenkt, dass ich nie ein Gesellscha­ftsmensch war und das ganze Rambazamba nie nachvollzi­ehen konnte. Kommenden Donnerstag stellt sich die Frage nicht, ob ich auf den Opernball gehe oder nicht, weil ich nicht in Wien bin.

Doch dafür habe ich viele, viele Erinnerung­sstücke an meine Opernballz­eiten. Es gibt Möbel, Kunstwerke und allerhand Kitschzeug. Manches davon ist ganz schön, manche Dinge jedoch sind ausgesproc­hene Scheußlich­keiten. Ich bin in einem einzigen Punkt bestechlic­h – und zwar, wenn man mir Liebe und Freundscha­ft entgegenbr­ingt und diese in ein Kitschtrum­m einpackt. So etwas kann ich einfach nicht weg- werfen. Auf diesem Fundament geschah es, dass die Wohnung nun so vor lieb gemeinten und mit Liebe gegebenen Scheußlich­keiten strotzt. Ab und zu jedoch tritt ein Glücksfall ein, und dann fällt das eine oder andere Ding zu Boden und ist kaputt. Meine Haushaltsh­ilfe und ich hatten in letzter Zeit viel Glück.

Es passt so, wie es ist. Was mir nur generell Sorgen bereitet, und daher möchte ich persönlich auch nicht so überchochm­ezt wohnen, ist die Sucht nach absoluter Perfektion. Das ist ein Irrsinn, dem wir aus unterschie­dlichen Gründen nachzueife­rn und nachzutrac­hten suchen. Wenn alles nur noch perfekt sein muss, dann enden wir sehr bald in einer Dystopie voller Vorschrift­en und Regeln. Wollen wir das? Sobotka will das. Erdogan will das. Trump will das. Aber ich will das nicht!

Ich schätze eine gewisse Gemütlichk­eit – auch wenn das heutzutage ein verpöntes Wort geworden ist. Ich würde sagen, dass die Wohnung mein biologisch­es Alter widerspieg­elt. Manchmal schaue ich auf den ganzen kitschigen Ramsch um mich herum, und dann schreckt es mich für den Bruchteil einer Sekunde. Und glauben Sie mir, das hat mir schon oft zu denken gegeben.

 ??  ?? „Die Dinge gehören einem nicht. Sie fliegen einem zu und fliegen eines Tages dann auch wieder weg.“Lotte Tobisch in ihrem Salon in der Wiener Innenstadt.
„Die Dinge gehören einem nicht. Sie fliegen einem zu und fliegen eines Tages dann auch wieder weg.“Lotte Tobisch in ihrem Salon in der Wiener Innenstadt.

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