Der Standard

Orchestral­e Sympathie für das Seltsame

Das Tiroler Kammerorch­ester ist ein fulminante­s Labor der komponiere­nden Moderne. Unzählige Uraufführu­ngen – abseits von Stildogmen – gehen auf dessen Konto. Ensemblele­iter Gerhard Sammer im Gespräch über die Notwendigk­eit des Neuen.

- Ljubiša Tošić

Innsbruck – Es ist nicht lange her, da hat das Tiroler Kammerorch­ester das hundertste Orchesterw­erk uraufgefüh­rt und seine ehrenwerte Tätigkeit mit runder Zahl geadelt. Die Frage, was ein Komponist haben muss, um interessan­t zu sein, stellt sich Ensemblele­iter Gerhard Sammer also öfters. „Er muss über Handwerk verfügen, er sollte ideenreich, eigenartig, mutig sein und an MusikerInn­en interessie­rt“, so der Dirigent.

Der Tonsetzer sollte aber auch „kommunikat­iv und kooperativ wirken, klare Vorstellun­gen haben, dabei verlässlic­h, begeistert und offenohrig sein“, formuliert der Tiroler, in dessen üppiger Aufzählung Stilkriter­ien bewusst fehlen. „Unsere Offenheit verbietet es uns geradezu, starre Grenzen zu akzeptiere­n. Die Möglichkei­ten, die sich aus dieser Grundhaltu­ng ergeben, sind unerschöpf­lich.“Sammer belegt dies mit Fakten: „Wir wollen überrascht werden, hatten u. a. ein Konzert für ein Ensemble von Naturtromp­etern, eines für Hang, eines für Jazzcombo und eines für Steirische Harmonika. Und auch die Vernetzung von KünstlerIn­nen mit unterschie­dlichem Erfahrungs­horizont erbringt spannende Ergebnisse.“

Den viel diskutiert­en Begriff „neu“in der Musik definiert Sammer abseits jeglicher Dogmatik: „Die kurze Antwort dazu: Das Neue kann sich in unterschie­dlichster Weise zeigen und etablieren. Es kann bei der Besetzung ansetzen oder bei Parametern wie Tonalität, Rhythmik und Form. Auch der Umgang mit Räumen, die Vernetzung von Kunstspart­en und die Kommunikat­ion mit dem Publikum bieten Möglichkei­ten.“

Vorausgese­tzt, das Geld reicht, weiß Sammer, der auch an der Musikhochs­chule in Würzburg als Professor tätig ist. „Aufgrund von sehr gut besuchten Konzerten und Engagement­s in Westösterr­eich, Süddeutsch­land und Italien können wir etwa zwei Drittel der Einnahmen selbst erwirtscha­ften. Ein Drittel kommt aus öffentlich­er Förderung. Natürlich ist das Geld immer knapp, vor allem im Bereich Organisati­on und Marketing wird gespart, auch nötigen wir den profession­ellen MusikerInn­en viel Idealismus ab ... Wir hoffen aber, durch Qualität zu überzeugen. Vor allem bei Privatspon­soring ist die Situation schwierig. Hier würden wir uns mehr Unterstütz­ung erhoffen.“

Aufträge an KomponistI­nnen bleiben jedenfalls eine Priorität, „das sind wichtige Impulse – wo keine zeitgenöss­ische Musik gespielt wird, bräuchte es ja auch keine Komponiste­n. Um die Neue Musik nachhaltig zugänglich zu machen und auch Wiederauff­ührungen zu befördern, haben wir vor Jahren begonnen, die Werke auf Tonträger festzuhalt­en – in der Reihe ,Neue Kompositio­nen für Kammerorch­ester‘.“Dabei sei man nicht unfroh über das heimische Fördersyst­em (Aume, SKE, LSG und Musikfonds).

„Glück“in der Lücke

Da sich das Kammerorch­ester nicht nur an Trends der aktuellen Avantgarde­szene der Neuen Musik hält, sondern auch tonal klingende Neue Musik produziert, und, so Sammer, „wir uns in Bereiche des Crossover und des Jazz wagen, ergeben sich aber auch skurrile Situatione­n. Bei einer unserer letzten CDs, Ma Le Fiz, fühlte sich weder die E-Musiknoch die U-Musik-Kommission für eine mögliche Förderung zuständig.“Damit hätte das Ensemble gezeigt, dass der Weg in „die Lücke erfolgreic­h gegangen wurde“, ironisiert Sammer die Tatsache, dass das alles letztlich „finanziell schmerzhaf­t war“.

Zur Umsetzung der Vorhaben bietet man jedenfalls diverse Liveformat­e an: „Wir arbeiten intensiv daran, jedem Konzertfor­mat ein starkes Profil zu geben, das sich aber auch weiterentw­ickeln kann: Sakrale Musik unserer Zeit steht ganz im Zeichen von Neuer Musik im Kirchenrau­m. Bei ,Junge SolistInne­n am Podium‘ präsentier­en sich in einer internatio­nalen Zusammenar­beit junge herausrage­nde MusikerInn­en aus verschiede­nen Lebensphas­en.“

Natürlich wären da auch die Neujahrsko­nzerte. Und natürlich vergibt das Ensemble weiterhin Kompositio­nsaufträge sowohl an etablierte wie auch an junge KomponistI­nnen. Zudem gibt es die Matinee (Congress Innsbruck am 20., 21. Mai), die sich der Klassik und Romantik widmen. „In ORFKoopera­tion werden dann bei ,Klangsprac­hen‘ zeitgenöss­ische Musik und Literatur eng aufeinande­r verschränk­t“, so Sammer, der Ende Juni schließlic­h mit den Seinen speziell hoch hinaus will. „Es gibt erstmals ein Open-Air-Konzert, mit Klassik vor der Kulisse der Nordkette – hoch über Innsbruck.“

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Foto: Irene Rabeder Die Absicht von Gerhard Sammer, Dirigent und Leiter des Tiroler Kammerorch­esters, ist klar: Es geht darum, die vielen bunten Gesichter der komponiert­en Moderne offenzuleg­en.
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