Wer Schutz genießen kann
Die Gig-Economy zeigt: Die übliche Konzeption des Arbeitsverhältnisses wird an ihre Grenzen geführt. Ohne gesetzliche Klarstellungen oder gar ein Ausdehnen des Rechts stehen Crowdworker vor massiven Unsicherheiten.
Wien – Nimmt man an – und das tun momentan viele –, dass es sich bei den über Plattformen Tätigen, den Crowdworkern, um Selbstständige und nicht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt, kommen arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht zur Anwendung. In zahlreichen Fällen, wie im Rahmen dieser Serie in den nächsten Wochen gezeigt wird, hält diese Annahme aber einer näheren rechtlichen Prüfung gar nicht stand.
Um Arbeitnehmer von Selbstständigen abzugrenzen, wird nämlich darauf abgestellt, ob die Gestaltungsfreiheit bei Erbringung der Dienstleistung durch die Einordnung in eine fremde Organisation und die Unterwerfung unter Weisungen – auch das persönliche Verhalten bei der Arbeit betreffend – der Vertragspartner aufgegeben wird. Dann wäre man nämlich in „persönlicher Abhängigkeit“und nicht selbstständig tätig.
Starke Fremdbestimmung
Wenn auch die Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie sehr unterschiedlich sind, spricht in gar nicht so wenigen Fällen vieles dafür, dass Arbeitsverhältnisse vorliegen. Dies ist vor allem auf die bisweilen starke Determinierung des arbeitsbezogenen Verhaltens und die hohe Kontrolldichte zurückzuführen, die das Erledigen der meisten Aufträge mit sich bringt. So wird den Fahrern beim Transportdienstleister Uber beispielsweise über eine App nicht nur die Fahrtstrecke vorgegeben, sondern durch Richtlinien auch der Zustand des Autos, die Begrüßung der Kunden und die Musik, die gespielt werden darf. Relevante Spielräume bei der Leistungserbringung blei- ben daher kaum. Dazu kommt dann noch die Kontrolle durch die Bewertung der Kunden. Diese sogenannte digitale Reputation entscheidet schließlich über die weiteren Erwerbschancen und kann bei einem Absinken sogar zu einer Deaktivierung, das heißt: zum Ausschluss von einer weiteren Leistungserbringung über die Plattform führen. Bei einer Zusammenschau dieser Aspekte liegt wohl in vielen Fällen eine so starke Fremdbestimmung vor, dass von einem Arbeitsvertrag auszugehen ist.
Damit ist aber noch nicht alles geklärt, da sich daran anschließend die Frage stellt, wer denn eigentlich der Vertragspartner und damit der Arbeitgeber ist: die Plattform oder der Kunde?
Gerade plattformbasiertes Arbeiten in der Gig-Economy führt uns vor Augen, dass die herkömmliche Konzeption des Arbeitsverhältnisses, die von nur zwei Parteien ausgeht, wegen der Mehr- zahl der daran Beteiligten an seine Grenzen geführt wird, wenn sie nicht gar versagt. In einem ähnlich gelagerten Fall, der Leiharbeit, hat deshalb die Gesetzgebung eingegriffen und die Verantwortlichkeiten geklärt. Solange es eine solche Regelung aber nicht gibt, sind Crowdworker mit massiven Unsicherheiten konfrontiert, ob sie einen Arbeitsvertrag haben und wer denn eigentlich ihr Vertragspartner ist.
Sollten Crowdworker nicht als Arbeitnehmer zu beurteilen sein, dann sind sie in vielen Fällen „arbeitnehmerähnliche Personen“, die „ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind“(so die Definition des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes). Obwohl für sie auch einzelne arbeitsrechtliche Normen wie die Haftungserleich- Gestaltung durch das Arbeitsrecht
4. Teil terungen des erwähnten Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz und Gleichbehandlungsgesetz gelten, so entbehren sie doch im Wesentlichen den Schutz des Arbeitsrechtes.
Arbeitsrecht ausweiten
Die Zunahme dieser Personengruppe im Zuge des digitalen Wandels und ihre Schutzbedürftigkeit lässt eine Ausdehnung zumindest von weiteren Teilen des Arbeitsrechts auf die Gruppe als adäquate Lösung erscheinen. So ist zum Beispiel im Vereinigten Königreich die vergleichbare Gruppe der „workers“auch von den Regelungen des Mindestlohns und des Urlaubes erfasst – und nach einer aktuellen Entscheidung eines Employment Tribunal haben Fahrer des Transportdienstes Uber diese Rechte, da sie als „workers“qualifiziert wurden.
MARTIN RISAK ist a. o. Universitätsprofessor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien und Koherausgeber des Buches „Arbeit in der Gig-Economy“.