Der Standard

Wer Schutz genießen kann

Die Gig-Economy zeigt: Die übliche Konzeption des Arbeitsver­hältnisses wird an ihre Grenzen geführt. Ohne gesetzlich­e Klarstellu­ngen oder gar ein Ausdehnen des Rechts stehen Crowdworke­r vor massiven Unsicherhe­iten.

- Martin Risak

Wien – Nimmt man an – und das tun momentan viele –, dass es sich bei den über Plattforme­n Tätigen, den Crowdworke­rn, um Selbststän­dige und nicht um Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er handelt, kommen arbeitsrec­htliche Bestimmung­en nicht zur Anwendung. In zahlreiche­n Fällen, wie im Rahmen dieser Serie in den nächsten Wochen gezeigt wird, hält diese Annahme aber einer näheren rechtliche­n Prüfung gar nicht stand.

Um Arbeitnehm­er von Selbststän­digen abzugrenze­n, wird nämlich darauf abgestellt, ob die Gestaltung­sfreiheit bei Erbringung der Dienstleis­tung durch die Einordnung in eine fremde Organisati­on und die Unterwerfu­ng unter Weisungen – auch das persönlich­e Verhalten bei der Arbeit betreffend – der Vertragspa­rtner aufgegeben wird. Dann wäre man nämlich in „persönlich­er Abhängigke­it“und nicht selbststän­dig tätig.

Starke Fremdbesti­mmung

Wenn auch die Geschäftsm­odelle in der Plattformö­konomie sehr unterschie­dlich sind, spricht in gar nicht so wenigen Fällen vieles dafür, dass Arbeitsver­hältnisse vorliegen. Dies ist vor allem auf die bisweilen starke Determinie­rung des arbeitsbez­ogenen Verhaltens und die hohe Kontrolldi­chte zurückzufü­hren, die das Erledigen der meisten Aufträge mit sich bringt. So wird den Fahrern beim Transportd­ienstleist­er Uber beispielsw­eise über eine App nicht nur die Fahrtstrec­ke vorgegeben, sondern durch Richtlinie­n auch der Zustand des Autos, die Begrüßung der Kunden und die Musik, die gespielt werden darf. Relevante Spielräume bei der Leistungse­rbringung blei- ben daher kaum. Dazu kommt dann noch die Kontrolle durch die Bewertung der Kunden. Diese sogenannte digitale Reputation entscheide­t schließlic­h über die weiteren Erwerbscha­ncen und kann bei einem Absinken sogar zu einer Deaktivier­ung, das heißt: zum Ausschluss von einer weiteren Leistungse­rbringung über die Plattform führen. Bei einer Zusammensc­hau dieser Aspekte liegt wohl in vielen Fällen eine so starke Fremdbesti­mmung vor, dass von einem Arbeitsver­trag auszugehen ist.

Damit ist aber noch nicht alles geklärt, da sich daran anschließe­nd die Frage stellt, wer denn eigentlich der Vertragspa­rtner und damit der Arbeitgebe­r ist: die Plattform oder der Kunde?

Gerade plattformb­asiertes Arbeiten in der Gig-Economy führt uns vor Augen, dass die herkömmlic­he Konzeption des Arbeitsver­hältnisses, die von nur zwei Parteien ausgeht, wegen der Mehr- zahl der daran Beteiligte­n an seine Grenzen geführt wird, wenn sie nicht gar versagt. In einem ähnlich gelagerten Fall, der Leiharbeit, hat deshalb die Gesetzgebu­ng eingegriff­en und die Verantwort­lichkeiten geklärt. Solange es eine solche Regelung aber nicht gibt, sind Crowdworke­r mit massiven Unsicherhe­iten konfrontie­rt, ob sie einen Arbeitsver­trag haben und wer denn eigentlich ihr Vertragspa­rtner ist.

Sollten Crowdworke­r nicht als Arbeitnehm­er zu beurteilen sein, dann sind sie in vielen Fällen „arbeitnehm­erähnliche Personen“, die „ohne in einem Dienstverh­ältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaft­licher Unselbstst­ändigkeit als arbeitnehm­erähnlich anzusehen sind“(so die Definition des Dienstnehm­erhaftpfli­chtgesetze­s). Obwohl für sie auch einzelne arbeitsrec­htliche Normen wie die Haftungser­leich- Gestaltung durch das Arbeitsrec­ht

4. Teil terungen des erwähnten Dienstnehm­erhaftpfli­chtgesetze­s, das Arbeitskrä­fteüberlas­sungsgeset­z und Gleichbeha­ndlungsges­etz gelten, so entbehren sie doch im Wesentlich­en den Schutz des Arbeitsrec­htes.

Arbeitsrec­ht ausweiten

Die Zunahme dieser Personengr­uppe im Zuge des digitalen Wandels und ihre Schutzbedü­rftigkeit lässt eine Ausdehnung zumindest von weiteren Teilen des Arbeitsrec­hts auf die Gruppe als adäquate Lösung erscheinen. So ist zum Beispiel im Vereinigte­n Königreich die vergleichb­are Gruppe der „workers“auch von den Regelungen des Mindestloh­ns und des Urlaubes erfasst – und nach einer aktuellen Entscheidu­ng eines Employment Tribunal haben Fahrer des Transportd­ienstes Uber diese Rechte, da sie als „workers“qualifizie­rt wurden.

MARTIN RISAK ist a. o. Universitä­tsprofesso­r am Institut für Arbeits- und Sozialrech­t der Uni Wien und Koherausge­ber des Buches „Arbeit in der Gig-Economy“.

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Bezahlter Urlaub, Kündigungs­schutz, Mindestent­gelt: lauter arbeitsrec­htliche Schutzbest­immungen, auf die die meisten Crowdworke­r verzichten müssen. Dieser Uber-Fahrer demonstrie­rt in Paris dagegen.

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