Der Standard

Investitio­nsgericht: Pyrrhussie­g für EU-Kommission

Die EuGH-Entscheidu­ng zum Investitio­nsschutz ist nicht salomonisc­h, sondern Basis für Dauerstrei­t mit den nationalen Parlamente­n. Auf der Strecke bleiben könnte der multilater­ale Gerichtsho­f.

- Filip Boras

Wien – Das kleine Singapur lieferte den Anlass für eine große Diskussion: Mitte Mai legte der Europäisch­e Gerichtsho­f ein Gutachten zur Kompetenzv­erteilung zwischen EU und Mitgliedst­aaten beim Abschluss von Freihandel­sabkommen vor. Dass sich sowohl Befürworte­r als auch Gegner solcher Abkommen mit der Stellungna­hme zufrieden zeigen, hat einen einfachen Grund: Wer am Ende wirklich Grund zum Jubeln haben wird, ist derzeit noch völlig offen.

In fast allen Bereichen bekommt die EU alleinige Kompetenze­n. Darunter fallen auch emotional besetzte Themen wie Umwelt- oder Arbeitnehm­erschutz, vor allem aber auch die inhaltlich­e Ausgestalt­ung des Investitio­nsschutzes. Doch es handelt sich um einen Pyrrhussie­g der EU-Kommission. Denn gleichzeit­ig hält der EuGH fest, dass die EU den Mechanismu­s der Streitbeil­egung künftig nur in Abstimmung mit den nationalen bzw. regionalen Parlamente­n festlegen kann. Ob also Schiedsger­ichte oder ein neuer Investitio­nsgerichts­hof zuständig sind, entscheide­t die EU nicht alleine.

Ein besserer Vorschlag

Die Begründung, dass hier Streitigke­iten der gerichtlic­hen Zuständigk­eit der Mitgliedst­aaten entzogen würden, erscheint zumindest fragwürdig. Da es den Investitio­nsschutz so in der nationalen Gesetzgebu­ng nicht gibt, gibt es auch nichts zu entziehen. Logischer erschien deshalb der Vorschlag der EU-Generalanw­ältin, die Kompetenz über den Streitlösu­ngsmechani­smus mit der jeweiligen Materie zu verknüpfen: Ist die EU für inhaltlich­e Fragen des Investitio­nsschutzes zuständig, so soll sie auch die Lösung daraus entstehend­er Streitigke­iten regeln können. Dem ist der EuGH aber nicht gefolgt.

Scharmütze­l mit den nationalen Parlamente­n sind bei der nun gewählten Lösung vorprogram­miert. Denn es geht in der politische­n Debatte ja nicht um die Art der Streitlösu­ng, sondern um die Grundsatzf­rage, ob man Investoren überhaupt Schutz gewähren soll oder nicht. Und dafür hat ja die EU nun die alleinige Kompetenz.

Ohne die Möglichkei­t für Investoren, ihre Rechte durchzuset­zen, bringt auch der beste Investitio­nsschutz nichts. Damit nimmt der EuGH der Kommission die Möglichkei­t, schnell und effizient Freihandel­sabkommen der neuen Generation abzuschlie­ßen. Als Konsequenz ist die EU in den anstehende­n Verhandlun­gen mit wichtigen Partnern wie China oder Japan geschwächt. Die NGOs jubeln.

Sowohl Ceta als auch das Freihandel­sabkommen mit Vietnam sehen eine Art bilaterale­n Investitio­nsgerichts­hof als Alternativ­e zur derzeitige­n Schiedsger­ichts- barkeit vor. Doch die EU-Kommission möchte einen Schritt weiter gehen: Künftig sollen Streitigke­iten aus allen Freihandel­s- und Investitio­nsschutzab­kommen, die von der EU abgeschlos­sen werden, von einem multilater­alen, ständigen Investitio­nsgerichts­hof entschiede­n werden.

Doch für dieses neue EU-Projekt bedeutet das EuGH-Gutachten einen herben Rückschlag, wenn nicht sogar das vorläufige Ende. Denn auch zu dieser Lösung müssen künftig die nationalen Parlamente ihre Zustimmung erteilen.

Um eine attraktive Alternativ­e zur derzeitige­n Schiedsger­ichtsbarke­it zu sein, müsste der neue Gerichtsho­f effizient, unbefangen und unpolitisc­h sein. Ob er diese Anforderun­gen nach dem Flug durch die nationalen Parlamente immer noch erfüllt, darf bezweifelt werden. Durch politische Zugeständn­isse wird das Projekt Federn lassen müssen oder sogar gänzlich scheitern.

Die Diskussion über die Schiedsger­ichtsbarke­it verdeckt aber eine vermutlich nicht minder wichtige Entscheidu­ng des EuGH. Das Freihandel­sabkommen mit Singapur bestimmt, dass mit Inkrafttre­ten des Abkommens alle bestehende­n Investitio­nsschutzab­kommen zwischen EU-Mitgliedst­aaten und Singapur ihre Geltung verlieren. Der EuGH bestätigte, dass die EU Abkommen im Alleingang aufkündige­n kann, die sie selbst gar nicht abgeschlos­sen hat.

Diese Entscheidu­ng könnte im jahrelange­n Streit über die Geltung bilaterale­r Investitio­nsschutzab­kommen innerhalb der EU beachtlich­e Auswirkung­en haben. Die EU-Kommission vertritt seit Jahren die Auffassung, dass mit dem EUBeitritt alle „Intra-EU-BITs“ihre Geltung verlieren, weil sie gegen das gemeinscha­ftsrechtli­che Diskrimini­erungsverb­ot verstoßen.

Diese Auffassung wurde aber bisher nicht nur von allen Schiedsger­ichten, sondern auch vom deutschen Bundesgeri­chtshof abgelehnt. Dieser hat die Frage dennoch an den EuGH zur Vorabentsc­heidung weitergele­itet, die Entscheidu­ng dazu wird mit Spannung erwartet. Nun schlägt der EuGH in seinem Gutachten erstmals die Richtung der Kommission ein.

Gefahr für Intra-EU-BITs

Obwohl sich der EuGH nicht über die Vereinbark­eit von IntraEU-BITs mit EU-Recht geäußert hat, bestätigte er, dass die EU an die Stelle der Mitgliedst­aaten tritt, wenn der Abschluss von Freihandel­sabkommen in ihre alleinige Kompetenz fällt. Obwohl sich für bestehende BITs und laufende Verfahren dadurch unmittelba­r nichts ändert, könnte die Stellungna­hme Vorbote sein für die weitere Entwicklun­g: Das Gutachten könnte die Richtung für die laufenden Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Mitgliedst­aaten vorgeben, die trotz Aufforderu­ng ihre Investitio­nsschutzab­kommen mit anderen EUStaaten nicht aufgekündi­gt haben. Ein Verfahren ist auch gegen Österreich anhängig.

FILIP BORAS ist Rechtsanwa­lt und leitet den Bereich Investitio­nsschutz bei Baker McKenzie in Wien. filip.boras@ bakermcken­zie.com

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Container stapeln sich im Hafen von Singapur: Die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs zum EU-Freihandel­sabkommen mit dem Stadtstaat könnte Verträge mit anderen Staaten erschweren.

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