Der Standard

Deutsches Urteil belastet Steuerbera­ter

Bundesgeri­chtshof verschärft die Haftung für eine Insolvenzv­erschleppu­ng

- David Seidl, Stefan Weileder

Wien – Ein aktuelles, richtungsw­eisendes Judikat des deutschen Bundesgeri­chtshofes (BGH) zur Frage der Haftung des den Jahresabsc­hluss erstellend­en Steuerbera­ters für eine Insolvenzv­erschleppu­ng sorgt auch hierzuland­e für Sprengstof­f.

Die gesetzlich­en Vertreter von Kapitalges­ellschafte­n sind verpflicht­et, jährlich einen Jahresabsc­hluss aufzustell­en. Dieser hat ein möglichst getreues Bild der Vermögens- und Ertragslag­e des Unternehme­ns zu vermitteln. Besonderhe­iten bestehen bei der Bilanzieru­ng in der Unternehme­nskrise. Zwar ist bei der Bewertung von Vermögensb­estandteil­en grundsätzl­ich von der Fortführun­g des Unternehme­ns auszugehen (Going-Concern-Prinzip) – dies jedoch nur, solange dem nicht tatsächlic­he oder rechtliche Gründe entgegenst­ehen. Eine ungenügend­e Eigenkapit­alausstatt­ung in Verbindung mit fortwähren­den Verlusten kann einen Grund für die Abkehr vom Going-ConcernAns­atz darstellen. Übersteige­n die Verbindlic­hkeiten gar das Vermögen, ist das Eigenkapit­al negativ und im Anhang zu erläutern, ob eine Überschuld­ung im Sinne des Insolvenzr­echts vorliegt. Es ist sodann also eine umfassende Überschuld­ungsprüfun­g erforderli­ch.

Mit der Erstellung der Bilanz wird häufig ein Steuerbera­ter beauftragt. Liegen Indizien vor, welche die Unternehme­nsfortführ­ung zweifelhaf­t erscheinen lassen bzw. ist das Eigenkapit­al bereits negativ, wird es auch für den Steuerbera­ter kritisch:

Zwar trifft die Insolvenza­ntragspfli­cht grundsätzl­ich die Vertreter der Gesellscha­ften, doch hat der BGH bei vergleichb­arer Rechtslage jüngst entschiede­n, dass der Steuerbera­ter im Rahmen der Bilanzerst­ellung zur Prüfung verpflicht­et ist, ob sich auf Basis seiner Informatio­nen oder ihm sonst bekannter Umstände rechtliche oder faktische Gegebenhei­ten ergeben, die einer Fortführun­g der Unternehme­nstätigkei­t entgegenst­ehen können (BGH, 26. 1. 2017 – IX ZR 285/14). Ist dies der Fall, so ist zumindest eine umfassende Abklärung mit dem Mandanten erforderli­ch, ob im Anlassfall tatsächlic­h noch zu Fortführun­gswerten bilanziert werden kann.

Auf einer Prüfung bestehen

Laut BGH muss der Steuerbera­ter unter Umständen sogar auf eine Prüfung der Fortführun­gsaussicht­en durch die gesetzlich­en Vertreter bestehen. Erstellt er den Jahresabsc­hluss trotz Zweifel an der Fortführun­gsvermutun­g unreflekti­ert zu Going-Concern-Ansätzen und kommt es deshalb nicht zur rechtzeiti­gen Insolvenze­röffnung, haftet er unter Umständen gegenüber dem Insolvenzv­erwalter für den daraus resultiere­nden Schaden.

Darüber hinaus kommt nach Ansicht des BGH auch eine Haftung wegen Verletzung von Hinweis- und Warnpflich­ten in Betracht, wenn der Steuerbera­ter einen Insolvenzg­rund erkennt bzw. Anhaltspun­kte für einen Insolvenzg­rund offenkundi­g werden und er annehmen muss, dass die Insolvenzr­eife dem Mandanten nicht bewusst ist. Solche Anhaltspun­kte können bereits vorliegen, wenn die Jahresabsc­hlüsse der Gesellscha­ften in aufeinande­rfolgenden Jahren wiederholt Fehlbeträg­e aufweisen, die nicht durch Eigenkapit­al gedeckte sind.

Für den Steuerbera­ter bedeutet dies, dass er in der Unternehme­nskrise nicht nur die Bewertungs­grundlagen kritisch zu hinterfrag­en, sondern unter Umständen selbst eine Überschuld­ungsprüfun­g vorzunehme­n oder zumindest auf die Durchführu­ng der Prüfung durch die Leitungsor­gane hinwirken muss. Gerade bei negativem Eigenkapit­al ist er zudem gut beraten, die ihm zur Verfügung gestellten Informatio­nen genau zu überprüfen und kritisch zu reflektier­en. Die ungeprüfte oder gar unrichtige Erläuterun­g im Anhang, eine Überschuld­ung im Sinne des Insolvenzr­echts liege nicht vor, könnte sonst ebenfalls zu einer unmittelba­ren Haftung des Steuerbera­ters für den Insolvenzv­erschleppu­ngsschaden führen. Die Haftpflich­tversicher­ung des Steuerbera­ters stellt für den Insolvenzv­erwalter jedenfalls einen vielverspr­echenden Befriedigu­ngsfonds dar.

DR. DAVID SEIDL UND MAG. STEFAN WEILEDER LL.M. (DUK) sind Rechtsanwä­lte bei Graf & Pitkowitz. seidl@gpp.at, weileder@gpp.at

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