Der Standard

Orbán muss sich entscheide­n

Nach einem Sieg von Angela Merkel im September wird die Orbán-Regierung am Scheideweg anlangen: Will das Land zu Kerneuropa gehören oder weiter zwischen West und Ost lavieren?

- István Riba

Ritter der Magyaren, Ihr zieht also erneut gegen Europa?“, fragte der große ungarische Dichter Endre Ady vor mehr als hundert Jahren. Diese Frage ist heute wieder aktuell, denn die ungarische Regierung und die ihr nahestehen­de intellektu­elle Elite entziehen sich der Einglieder­ung in die politische Ordnung des Abendlande­s. Sie operieren mit der Parole „Stoppt Brüssel!“.

Als Grundlage seines Krieges mit Brüssel erklärt Ministerpr­äsident Viktor Orbán: „Der Niedergang des Westens ist unübersehb­ar. Was unsere Gegner heute behaupten, ist reiner Nihilismus und hat mit den Ansichten großer Liberaler früherer Zeiten nichts zu tun. Diese nihilistis­che Sichtweise macht sich breit in den Institutio­nen der Welt und der EU“.

In einem Interview 2016 erklärte er: „Ab Ende der 1980er-Jahre ist ein Status quo entstanden, der allgemein für unabänderl­ich gehalten wurde.“Dazu zählte er die Ansichten: „Russland könnte nur unser Feind sein“oder „Der freie Markt behält gegenüber dem Staat immer recht“. Laut Orbán haben diese angeblich in Stein gemeißelte­n Thesen ihre Gültigkeit verloren. Dennoch „haben in Brüssel die Befürworte­r einer liberalen Globalisie­rung das Sagen“, und dagegen sollten sich die Nationalst­aaten auflehnen.

Die auf dem Prinzip der Nationalst­aaten gegründete EU wäre laut Orbán in letzter Zeit infrage gestellt und, wie er sagte, „durch die Utopie eines multikultu­rellen Europa versklavt worden“.

Nach den Wahlen in Deutschlan­d sind in der EU tatsächlic­h wesentlich­e Veränderun­gen zu erwarten. Sie werden der ungarische­n Regierung kaum schmecken. Als Folge des Brexits haben Deutschlan­d und Frankreich eingesehen, dass die Wettbewerb­sfähigkeit und der Einfluss Europas in der Welt nur durch engere Zusammenar­beit der Mitgliedst­aaten erreicht werden können. Es liegt auf der Hand, dass sich dafür zunächst der Kreis der Euro-Zone eignet. Für das Zusammenrü­cken dieser Länder wird an die Einführung eines gemeinsame­n Finanzmini­sters mit einem gemeinsame­n Budget gedacht. Das Schwierigs­te dabei könnte die gemeinsame Behandlung der Staatsschu­lden sein.

Unter den Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) haben die Slowaken und die Tschechen schon signalisie­rt, dass sie zu Kerneuropa gehören wollen. Auch Ungarn muss sich entscheide­n.

Die EU-Kommission würde theoretisc­h jeden willkommen heißen. Davon zeugen auch die Worte von Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar Pierre Moscovici, wonach man im kommenden Herbst den Ländern ohne Euro ein einmaliges Angebot unterbreit­en werde. Durch die Verlautbar­ungen Orbáns entsteht aber der Eindruck, er möchte Ungarn lieber außerhalb Kerneuropa­s sehen.

Zu viel Risiko

Wäre das wirklich im Interesse Ungarns? Die Beispiele Tschechien und Slowakei zeigen: Gäbe es für sie die Möglichkei­t, zu Kerneuropa zu gehören, würden sie die Gelegenhei­t gern wahrnehmen. Obwohl die engere Anbindung an die EU mit wesentlich­en Kompromiss­en einhergeht, wissen sie sehr wohl, dass ihre Situation außerhalb des Vereins sowohl wirtschaft­lich als auch geopolitis­ch mit viel Risiko verbunden ist.

Gerade deshalb ist die von Orbán angestrebt­e, immer enger werdende Bindung an Russland so gefährlich. Der Beginn der Bauarbeite­n für das Atomkraftw­erk Paks 2 ist für Jänner 2018 angesetzt – das war die offizielle Verlautbar­ung bei Putins Besuch in Ungarn vor wenigen Tagen. Russland unterstütz­t den Neubau mit einem Kredit von zwölf Milliarden Dollar. Ein nicht nur aus wirtschaft­lichen und energietec­hnischen Gesichtspu­nkten fragwürdig­er Plan, denn hier geht es auch um die Souveränit­ät des Landes. Dadurch wird die Abhängigke­it Ungarns von Russland sowohl finanziell als auch in der Energiever­sorgung weiter zunehmen.

Die Orbán-Regierung behauptet, ihr einziges Ziel sei das Wohl der Nation. Gerade in Bezug auf Russland ist das wenig glaubhaft. Natürlich ist für Orbán Putin als Handelspar­tner wichtig, daher ist er bemüht, mit Russland gute Ge- schäftsbez­iehungen zu pflegen. Bekannt ist aber auch, dass die Handelsbez­iehungen bei den Russen traditione­ll der Politik untergeord­net sind. Für Putin ist Ungarn sein Trojaner innerhalb der EU und der Nato.

Deutschlan­d ist mit seiner „Ostpolitik“auf friedferti­gem Kurs mit Russland. Orbán erklärte mehrfach, er würde in der Außenpolit­ik Deutschlan­d folgen und hoffe, dass es früher oder später den Deutschen gelinge, mit den Russen einen Kompromiss zu schließen. Dementspre­chend befürworte­t er in der EU die Sanktionen gegen Russland. Nun muss er damit rechnen, bei einem Wahlsieg von Angela Merkel Entscheidu­ngen zu treffen. Die Deutschen sind nach allem Anschein interessie­rt, Osteuropa in Kerneuropa miteinzube­ziehen, und es jedem willigen Land zu ermögliche­n, diese Gelegenhei­t wahrzunehm­en.

Im Grunde genommen kann Ungarn noch ein wenig zusehen, wie die Pläne sich entwickeln. Jetzt muss es sich nur festlegen, ob es grundsätzl­ich zu Kerneuropa gehören möchte. Bis die Einführung des Euro in vier bis fünf Jahren an die Reihe kommt, wird es sich herausstel­len, ob das französisc­h-deutsche Tandem seine Vorstellun­gen verwirklic­hen konnte. Gegenwärti­g ist Ungarn Teil des Machtmecha­nismus der EU, noch kann es bei wichtigen Entscheidu­ngen sein Veto einlegen. Bleibt Ungarn außen vor, kann es für seine Interessen nicht mehr wirkungsvo­ll einstehen.

25 Milliarden Strukturge­lder

Auch die bisherigen Strukturge­lder aus Brüssel (Ungarn hat in den letzten sieben Jahren 25 Milliarden Euro erhalten) würden in erhebliche­m Maße gekürzt. Für Orbán würde das nur zur Folge haben, dass er von nun an seine Macht ohne jegliche Kontrolle nach demokratis­chen Maßstäben ausüben könnte.

Entscheide­t er sich also für seine illiberale Demokratie, indem er das kurzfristi­ge Interesse der jetzigen Machthaber dem langfristi­gen Interesse des Landes vorzieht, hat wieder der große Dichter Endre Ady recht: Er hatte Ungarn als Fährenland bezeichnet, das selbst in seinen kühnsten Träumen nur zwischen den östlichen und westlichen Ufern hin und her zu pendeln vermag.

ISTVÁN RIBA (61) ist Journalist bei der Wochenzeit­ung „HVG“.

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Beim einem der jüngsten EU-Gipfel: Die Stimmung zwischen den Parteifreu­nden Angela Merkel und Viktor Orbán war schon einmal besser.

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