Der Standard

NS-Liederbuch „verstörend“

Haus der Geschichte will Antisemiti­smus bekämpfen

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Wien – Heute, am 27. Jänner vor 73 Jahren, wurde das NS-Konzentrat­ionslager Auschwitz befreit. Seit 2005 wird der Tag als internatio­naler Holocaust-Gedenktag begangen. Dass Antisemiti­smus gerade jetzt durch das Liederbuch einer Burschensc­haft wieder derart an Aktualität gewinnt, hält Monika Sommer, Direktorin des derzeit entstehend­en Hauses der Geschichte (HdGÖ), für „äußerst verstörend“. Umso wichtiger sei es jetzt, dass das Haus schon bald seine Arbeit aufnehmen kann.

Geschichte und Vorbedingu­ngen der NS-Terrorherr­schaft werden in der Dauerausst­ellung einen zentralen Platz einnehmen. „Wir zeigen den Antisemiti­smus als eine Triebfeder des Holocaust, aber auch als Teil der Alltagsspr­ache im Wien Karl Luegers und während der Ersten Republik.“

Auch Ereignisse­n aus der Zweiten Republik will man sich widmen: „Denken wir etwa an die Affäre Borodajkew­ycz, die schließlic­h in eine öffentlich­e, handgreifl­iche Auseinande­rsetzung mündete, bei der das erste politische Todesopfer seit der Befreiung 1945 zu beklagen war.“

Sommer verweist mahnend darauf, dass die neue Bundesregi­erung die Mitverantw­ortung Österreich­s an den Verbrechen des Nationalso­zialismus explizit in ihrem Programm niedergesc­hrieben hat. Außerdem habe sich die Koalition zum Gedenkjahr 2018 bekannt, in dem nicht nur 100 Jahre Grün- dung der Ersten Republik, sondern auch 70 Jahre „Anschluss“an Hitlerdeut­schland thematisie­rt werden sollen.

Das HdGÖ, das in der Neuen Burg am Wiener Heldenplat­z entsteht, wird dem schon im März nachkommen: Jener Balkon, auf dem Hitler 1938 seine Anschlussr­ede hielt, wird mit einer künstleris­chen Arbeit versehen. Ausgangspu­nkt ist eine Rede des Friedensno­belpreistr­ägers Elie Wiesel, die dieser 1992 beim Konzert für Österreich an ebenjenem Ort gehalten hat. „Er meinte, der Balkon sei nichts, entscheide­nd ist das, was unten auf dem Heldenplat­z passiert“, so die Direktorin.

1.700 Objekte habe das HdGÖ, über das zunächst jahrzehnte­lang gestritten wurde und das nun in wenigen Monaten am 12. November eröffnen soll, bereits gesammelt. Den Holocaust werde man weniger über anonyme Schockbild­er erzählen, individuel­le Geschichte­n der Opfer stehen im Zentrum. Auf Täterseite gehe es auch um die „Banalität des Bösen“. „Nicht nur auf die ‚Monster‘ Himmler oder Goebbels, auch auf die Rolle des ‚kleinen Manns von der Straße‘ wird fokussiert.“

Neben der Vernetzung mit Forschungs- und Gedenkstät­ten soll viel Wert auf Pädagogik gelegt werden: „Wir sehen es als unsere Aufgabe, Medienkomp­etenz zu stärken und den kritischen Blick im Umgang mit Medien zu schulen“, so Monika Sommer. (stew)

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