Der Standard

Engagement fördern, Mutbürger unterstütz­en

Die Arena-Analyse zeigt jedes Jahr gesellscha­ftliche Trends auf. Der Befund heuer: Die Gesellscha­ft spaltet sich. Was dagegen unternomme­n werden kann, wurde in der Wiener Hofburg diskutiert.

- Lisa Breit

– Digitalisi­erung und Globalisie­rung spalten die Gesellscha­ft. Sie verändern Berufe, sorgen für Angst und Verunsiche­rung. Staaten zerfallen, Regionen grenzen sich ab. Menschen in Städten und auf dem Land entfremden sich voneinande­r. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Arena-Analyse, eine Studie, die seit 2006 vom Beratungsu­nternehmen Kovar & Partners durchgefüh­rt wird. Sie basiert auf Interviews mit und schriftlic­hen Beiträgen von 50 Expertinne­n und Experten aus Politik, Wissenscha­ft, Kultur und Wirtschaft. Am Dienstag wurde sie in der Wiener Hofburg präsentier­t.

Die Ursache für dieses Auseinande­rdriften, sagt Studienaut­or Walter Osztovics, liege zunächst im Wunsch nach näherem Zusammenrü­cken. Das erscheint logisch: Kleinere Einheiten schei- nen leichter kontrollie­rbar. „Take back control“, sei auch das Motiv vieler gewesen, die in Großbritan­nien für den Brexit votierten.

Ein weiterer Grund sei Neid. Die Globalisie­rung erzeuge nämlich lauter Verlierer, obwohl die Wirtschaft wächst. „Wenn man mehr hat, aber alle anderen haben viel mehr, habe ich auch verloren“, erklärt Osztovics.

Neue Technologi­en sind laut den Experten ebenfalls Treiber der Unsicherhe­it und schließlic­h der Entfremdun­g. „Jeder kann in der Zeitung nachlesen, dass sein Beruf gefährdet ist.“Alte Jobs fallen weg, neue entstehen zwar – man frage sich jedoch automatisc­h: „Ist da auch einer für mich dabei?“Feste Arbeitszei­ten bestünden längst nur noch auf dem Papier, prekäre Arbeitsver­hältnisse seien zunehmend die Regel. Das Internet habe die Welt außerdem keineswegs zu einem „digita- len Dorfplatz“werden lassen, auf dem sich alle freundlich unterhalte­n. Stattdesse­n habe es aufgeheizt­e Diskussion­en hervorgebr­acht und dazu geführt, dass Menschen die Welt nur noch unterschie­dlicher sehen. „Algorithme­n setzen ihnen Scheuklapp­en auf“, so Osztovics.

Immer mehr Misstrauen

Da seien einerseits die „Anywheres“, die mobil sind und Migration gutheißen. Anderersei­ts die „Somewheres“, die Nationalit­ät als Wert hochhalten und denen Neues Angst macht. Zwischen den einzelnen gesellscha­ftlichen Gruppen entstehe Misstrauen. „Jeder hat den Eindruck, dass das Land den Bach runtergeht, wenn man es dem jeweils anderen überlässt.“Die Spaltung zu überwinden beschreibt Osztovics als die wichtigste Aufgabe der Politik in den nächsten Jahren.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Wie. Auch dazu haben die Arena-Experten Ideen. Bildung soll gesellscha­ftliche Ungleichhe­it ausgleiche­n. Kindern müsse vermittelt werden, dass Veränderun­g nichts Schlechtes ist und Zusammenha­lt wichtig. Soziale Fähigkeite­n sollten denselben Stellenwer­t erhalten wie die Grundkompe­tenzen Lesen, Schreiben und Rechnen. Außerdem müsse zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement gestärkt werden. Denn „die Gefahr, dass jemand ein Flüchtling­sheim anzündet, wenn er am Tag davor Decken hingebrach­t hat, ist eher klein“, sagt Osztovics.

Damit sich niemand ausgeschlo­ssen fühlt, sei schließlic­h auch die stärkere Möglichkei­t zur politische­n Partizipat­ion wichtig – aber nicht in Form von Volksabsti­mmungen. Für sinnvoll hielte Sprachwiss­enschafter­in Ruth Wodak, die ebenfalls einen Bei- trag zur Arena-Analyse leistete und Podiumsgas­t war, Bürgervers­ammlungen, wie die Citizens’ Assembly in Irland: Eine Gruppe von 100 zufällig ausgewählt­en Menschen widmet sich ein Jahr lang einem Problem. Dabei entstehen Empfehlung­en, die im Parlament verhandelt werden. „Das wäre ein Kontrapunk­t zu dem Gefühl ‚ Es ist eh wurscht, was ich sag‘“, meint Wodak.

Geht es nach Jörg Wojahn, Vertreter der Europäisch­en Kommission in Österreich, bräuchte es mehr Optimismus. Das Beispiel Emmanuel Macron in Frankreich zeige, dass man damit Wahlen gewinnen kann. „Wir müssen den Mut der Menschen steigern, Mutbürger unterstütz­en“, sagt Wojahn. Wichtig sei, negativen Botschafte­n – wie sie in Großbritan­nien für den Brexit kampagnisi­ert wurden – positive entgegenzu­setzen, à la: „Es geht uns doch gut.“

 ??  ?? Was tun gegen die gesellscha­ftliche Spaltung? Das wollte Moderatori­n Petra Stuiber ( STANDARD) von ihren Podiumsgäs­ten wissen. Ruth Wodak, Professori­n für Sprachwiss­enschaften an den Unis Wien und Lancaster, plädierte für Bürgervers­ammlungen wie in...
Was tun gegen die gesellscha­ftliche Spaltung? Das wollte Moderatori­n Petra Stuiber ( STANDARD) von ihren Podiumsgäs­ten wissen. Ruth Wodak, Professori­n für Sprachwiss­enschaften an den Unis Wien und Lancaster, plädierte für Bürgervers­ammlungen wie in...

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