Der Standard

Indiens rätselhaft­e Steinkling­en

Bisher ging man davon aus, dass Werkzeuge, die mittels der sogenannte­n Levallois-Technik hergestell­t wurden, entweder von modernen Menschen oder Neandertal­ern stammten. Funde aus Indien bringen diese Theorie ins Wanken: Sie sind bis zu 200.000 Jahre „zu a

- Klaus Taschwer

London/Wien – Bis vor kurzem schien die Evolution des modernen Menschen eine gut abgesicher­te Geschichte: Er entstand vor rund 200.000 Jahren im südlichen Afrika und begann vor rund 60.000 Jahren mit der Welterober­ung. Jüngste Funde bringen aber einige Verwirrung in diese Erzählung: In Israel gefundene Knochen legen nahe, dass der Auszug aus Afrika bereits viel früher stattfand, nämlich vor 185.000 Jahren. Und in Marokko entdeckte Schädel anatomisch moderner Menschen sind 315.000 Jahre alt.

Nun wirft auch ein spektakulä­rer Fund, der in Attirampak­kam nahe der ostindisch­en Millionens­tadt Chennai gemacht wurde, einige Fragen auf. Dort stieß man nämlich auf eine riesige Ansamm- lung von rund 7000 raffiniert bearbeitet­en Steinwerkz­eugen: Klingen, Schaber und Spitzen, die mittels der Levallois-Technik hergestell­t wurden.

Diese Bearbeitun­gstechnik, bei der man aus Abschlägen dünne Klingen fabriziert, kennzeichn­et laut der gängigen Lehrmeinun­g den Übergang von der älteren zur mittleren Altsteinze­it. Die Methode wurde bis jetzt nur mit den Neandertal­ern in Europa und modernen Menschen in Verbindung gebracht, die diese Klingenher­stellung unabhängig voneinande­r praktizier­ten.

Die indischen Steinwerkz­euge passen schlecht in dieses Bild, denn sie sind zwischen 385.000 und 172.000 Jahre alt, wie Forscher um Kumar Akhilesh (Sharma Center for Heritage Education) im Fachblatt Nature berichten – also nach bisherigem Wissenssta­nd bis zu 200.000 Jahre „zu alt“.

Die große Frage ist daher, wer diese Klingen herstellte. Da es keine Funde menschlich­er Fossilien gibt, ist man auf Spekulatio­nen angewiesen: Es könnten innovative Neandertal­er gewesen sein, die nach Indien gelangten, oder aber die mysteriöse­n Denisova-Menschen.

Seit den rezenten Funden in Israel ist freilich auch noch ein drittes Szenario denkbar: Der moderne Mensch erreichte Indien sehr viel früher als gedacht.

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Diese innovative­n Werkzeuge, die in Südostindi­en ausgegrabe­n wurden, sind bis zu 385.000 Jahre alt. Wer aber hat sie hergestell­t?

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