Der Standard

„Ich bin in der Reformgrup­pe mit Macron und Rutte“

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz grenzt sich gegen Ungarns Premier Viktor Orbán ab. Im EU-Ratsvorsit­z will er für Kürzungen bei den Nettoempfä­ngerländer­n sorgen. Beim Antisemiti­smus müsse Nulltolera­nz gelten.

- INTERVIEW: Thomas Mayer

Standard: Sie haben die EU-Verlässlic­hkeit der Regierung garantiert. Jetzt gibt es nur ein Thema: die Nazilieder­affäre rund um die FPÖ. War es das mit „proeuropäi­sch“? Kurz: Die Bundesregi­erung hat sich mit dem Regierungs­programm ganz klar Leitlinien für die Arbeit in den nächsten fünf Jahren gelegt. Eine proeuropäi­sche Ausrichtun­g war immer die Bedingung der Volksparte­i. Zu etwas anderem wäre ich auch nicht bereit gewesen. Ich bin überzeugt, dass es ein großes Vertrauen in die Ausrichtun­g der Regierung gibt.

Standard: Nazilieder stehen gegen alles, was Europäer als das Gemeinsame verstehen. Lässt sich das einfach vom Tisch wischen? Kurz: Es wäre auch falsch, es vom Tisch zu wischen. Wenn es solche Vorfälle in Österreich gibt, dann wird mein Ziel immer volle Aufklärung und die volle Härte des Gesetzes für alle Verantwort­lichen sein. Wenn dann sogar Politiker betroffen sind, dann muss es darüber hinaus auch politische Konsequenz­en geben. Keine Partei ist davor gefeit.

Standard: Auch die ÖVP? Kurz: Ich hatte selber als Bundesobma­nn der Jungen Volksparte­i den Fall, dass es Personen gab, die sich widerwärti­g verhalten haben. Wir haben sie sofort aus unserer Bewegung ausgeschlo­ssen. Als Regierung haben wir, was die Vorkommnis­se um die Burschensc­haft Germania betrifft, auch sofort gehandelt, nämlich ein Auflösungs­verfahren gestartet. Insofern kann ich nur sagen: Das, was die Regierung tun kann, das werden wir in solchen Fällen immer nutzen. Den Kampf gegen Antisemiti­smus habe ich als Staatssekr­etär und als Außenminis­ter verfolgt, ich werde ihn selbstvers­tändlich auch als Bundeskanz­ler verfolgen.

Standard: Was, wenn das während Österreich­s EU-Vorsitz passiert? Kurz: Jedes Mal, wenn es solche Fälle in unserem Land gibt, gerade mit unserer historisch­en Verantwort­ung, ist das ein Imageschad­en für unser Land, ganz gleich ob es sich um FPÖ-, SPÖoder ÖVP-Politiker handelt. Ich werde immer dagegen ankämpfen. Es darf in dieser Frage keine Toleranz geben.

Standard: Ist Vizekanzle­r und FPÖChef Heinz-Christian Strache klar, dass er dringenden Handlungsb­edarf hat? Kurz: Er hat in den letzten Jahren immer wieder, wenn es solche Vorfälle gab, Personen aus der Partei ausgeschlo­ssen, die sich etwas zuschulden kommen lassen haben. Er hat beim Akademiker­ball klar seinen Weg skizziert, nämlich gegen Antisemiti­smus anzukämpfe­n. HeinzChris­tian Strache hat gesagt, wer diesen Weg nicht mitgehen möchte, der soll aufstehen und gehen. Und er hat angekündig­t, eine Historiker­kommission einzusetze­n, um die Geschichte der FPÖ, des Dritten Lagers, aufzuarbei­ten. Ich halte das für sinnvoll. Die SPÖ und die ÖVP haben das schon gemacht. Bei der FPÖ ist das notwendig. Die Experten sollen unabhängig sein, es ist Aufgabe einer Partei, selbst ihre Geschichte aufzuarbei­ten.

Standard: Nicht nur wegen der

FPÖ gibt es Zweifel, auch wegen Ungarns Premier Viktor Orbán, der EU-Partnern Solidaritä­t verweigert. Kritiker sagen, Sie stünden ihm zu nahe. Wie sehen Sie das? Kurz: Es ist offensicht­lich, was hier geschieht, wenn Opposition­sparteien behaupten, Viktor Orbán sei mein erster Staatsgast gewesen. Es wird mit Absicht behauptet, um mich in eine ganz bestimmte Richtung zu positionie­ren. Es ist einfach eine Falschinfo­rmation, parteipoli­tisch motiviert.

Standard: Also gibt es diese Nähe zu Orbán so gar nicht? Kurz: Faktum ist, meine erste Reise ging unmittelba­r nach der Angelobung der Regierung ganz bewusst nach Brüssel. Meine erste bilaterale Auslandsre­ise ging zum französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron nach Paris. Dann habe ich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Berlin getroffen. Mein erster Gast in Österreich war am 1. Jänner der niederländ­ische Premiermin­ister Mark Rutte.

Standard: Beim Neujahrsko­nzert. Kurz: Und zu einem Arbeitstre­ffen hier in diesem Raum, das zeitlich gesehen sogar ausführlic­her war als mit Viktor Orbán. Mark Rutte ist ein Liberaler, dem ich mich in sehr, sehr, sehr vielen Fragen nahe

fühle, mit dem wir in ganz vielen Bereichen in der EU an einem Strang ziehen werden. Das ist die Realität. Man muss sich fragen, ob manche die Realität interessie­rt oder ob es nur darum geht, mich nach weit rechts zu positionie­ren.

Standard: In der FAZ haben Sie gesagt, wenn man in Europa etwas verändern will, dann braucht man eine gute Vernetzung. Gilt das auch für Macron, früher Sozialist? Kurz: Ich bin Regierungs­chef, ich arbeite mit allen Politikern in Europa konstrukti­v zusammen. Ich schätze es sehr, dass Emmanuel Macron die EU reformiere­n möchte. Ich sehe ihn hier als wichtigen Partner, um die notwendige­n Veränderun­gen zu erreichen. Es ist für mich eine noch größere Selbstvers­tändlichke­it, mit Regierungs­chefs unserer Nachbarsta­aten zusammenzu­arbeiten, gleich welcher Partei sie angehören.

Standard: Sie wollen also gleichwert­ige Beziehunge­n mit allen? Kurz: Das war mein Ziel vom ersten Tag meiner Amtszeit an. Es geht darum, Österreich in der Europäisch­en Union zu vertreten und die Union zum Positiven mitzugesta­lten. Wenn man das ernst nimmt, muss man sehr viel Zeit investiere­n, um eine gute Basis mit allen Playern sicherzust­ellen.

Standard: Was beim Orbán-Besuch auffiel: Die größten Differenze­n gibt es wohl beim EU-Budgetrahm­en. Ungarn ist, so wie Polen,

einer der größten Nettoempfä­nger, mit mehr als fünf Milliarden Euro. Kurz: Ich habe die Differenze­n bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t angesproch­en. Man muss das jeweils über die verschiede­nen Sachfragen betrachten. Österreich hat bei vielen verschiede­nen Themen ganz andere Positionen als etwa Ungarn. Wenn wir über Konzepte der europäisch­en Verteidigu­ngspolitik reden, gibt es eine starke Nähe zu den anderen neutralen Staaten. Wenn wir über EUBudgetpo­litik sprechen, dann sind unsere Partner in der Union die Nettozahle­rstaaten und nicht die Nettoempfä­nger.

Standard: Also Deutschlan­d, die Niederland­e, Frankreich. Kurz: Und wenn wir über Migrations­politik sprechen, sind unsere Partner all jene, die dafür eintreten, die EU-Außengrenz­en besser zu schützen.

Standard: Also in dem Fall auch Ungarn und Frankreich. Kurz: So ist es. Wenn man differenzi­erter über die verschiede­nen Themen sprechen würde, dann würde man rasch merken, dass es mit den Visegrád-Staaten einen starken gemeinsame­n Willen gibt, die EU-Außengrenz­en zu schützen. Das ist eine Linie, mit der ich vor einigen Jahren noch sehr al- lein war. Mittlerwei­le hat sich das geändert, inzwischen sehen das viele andere genauso, Emmanuel Macron zum Beispiel.

Standard: Österreich trat 1995 bei als Land, das zu Kerneuropa gehören wollte. Geht die Regierung diesen von Alois Mock und Franz Vranitzky geprägten Kurs weiter? Kurz: Ja, natürlich, deshalb habe ich mich zuletzt für die verstärkte gemeinsame Verteidigu­ngspolitik eingesetzt. Aber wenn wir als Union erfolgreic­h sein wollen, müssen wir die Spannungen abbauen. Da ist mein großes Ziel, dass wir Brückenbau­er sind zwischen den unterschie­dlichen Machtzentr­en, die es derzeit gibt.

Standard: Was haben Sie als EURatsvors­itzender ab Juli vor? Kurz: Ich werde unseren Ratsvorsit­z ganz bewusst nutzen, um Veränderun­gen in der Europäisch­en Union voranzutre­iben, die ich für notwendig halte. Das ist zum Ersten ein Fokus auf mehr Subsidiari­tät. Ich glaube, dass die Fragestell­ung, ob es insgesamt mehr oder weniger Europa braucht, die falsche ist. Die Frage muss sein, in welchen Bereichen es mehr Europa braucht und in welchen Bereichen weniger. In den großen Fragen wie Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik brauchen wir stärkere Zusammenar­beit. Gleichzeit­ig muss sich die Union aber in kleinen Fragen zurücknehm­en, bei denen die Regionen oder die Staaten besser entscheide­n können.

Standard: Stichwort EU-Reform. Kurz: Beim EU-Budget sind wir den Niederland­en näher. Wir drängen, wie die Dänen auch, darauf, dass mit Mitteln der Steuerzahl­er sparsamer umgegangen werden muss, wenn die Union durch den Brexit kleiner wird, die Ressourcen begrenzt sind. Wir haben derzeit die Situation, dass sehr viel Geld in die osteuropäi­schen Staaten fließt. Es wird teilweise infrage gestellt, ob das Geld überhaupt bei den Richtigen ankommt. Gleichzeit­ig wird in Westeuropa geklagt, wie antieuropä­isch diese Staaten denn seien. Wir haben vor, in den nächsten Jahren hunderte Millionen an Annäherung­sunterstüt­zung in die Türkei zu überweisen, obwohl in der Türkei Menschenre­chte mit Füßen getreten werden. Man muss den Mut haben, so etwas infrage zu stellen.

Ich werde selbstvers­tändlich immer gegen Antisemiti­smus ankämpfen. Es darf in dieser Frage keine Toleranz geben.

Standard: Bei den größten Nettoempfä­ngern, Polen und Ungarn, wird deutlich gekürzt? Kurz: Auch wenn das manchen nicht gefällt, in diesem Punkt gibt es eine starke Meinungsve­rschiedenh­eit zwischen Viktor Orbán und mir. Am Ende wird das nicht meine Entscheidu­ng alleine sein. Aber ich bin mit Macron und Rutte und einigen anderen in der Reformgrup­pe derer, die darauf drängen werden, dass sparsamer mit dem Geld der europäisch­en Steuerzahl­er umgegangen wird. Wir werden bei den Verhandlun­gen zum EU-Budgetrahm­en stark die Position der Nettozahle­r vertreten.

Meine Nähe zu Orbán wird mit Absicht behauptet, um mich weit rechts zu positionie­ren, rein parteipoli­tisch motiviert.

SEBASTIAN KURZ (31), seit 19. Dezember 2017 Bundeskanz­ler, davor Außenminis­ter und Staatssekr­etär für Integratio­n, wurde im Juli 2017 ÖVP-Chef. pLangfassu­ng dSt.at/Internatio­nal

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Sebastian Kurz kehrte ins holzgetäfe­lte Kreisky-Zimmer zurück, Büro des früheren SPÖBundesk­anzlers. Seine Vorgänger benutzten seit Wolfgang Schüssel das Metternich- Zimmer.

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