Der Standard

Macron zwischen den Fronten des Mai ’68

Der Studentena­ufstand des Frühlings 1968 jährt sich zum fünfzigste­n Mal und beschert Frankreich­s Präsidente­n ein veritables Dilemma: Je nachdem, wie er sich positionie­rt, bringt er seine politische­n Gegner von links und rechts gegen sich auf.

- Stefan Brändle aus Paris

Emmanuel Macron ist ein „Nachgebore­ner“. 1977 auf die Welt gekommen, verspürt der bürgerlich erzogene Eliteschul­abgänger nur eine beschränkt­e Nähe zu jenem historisch­en Studentena­ufstand, der im Frühling 1968 von Paris aus Schockwell­en durch ganz Frankreich und weit darüber hinaus geschickt hatte.

Das würde ihn an sich nicht daran hindern, eine große Gedenkzere­monie zu inszeniere­n: Frankreich­s Staatspräs­ident mag solche Auftritte, an denen er sich als junger und doch geschichts­bewusster Einiger der Nation über den Parteien präsentier­en kann. Auch der (1948 geborene) Sozialhist­oriker Pascal Ory erklärt: „Wir sind alle Kinder vom Mai ’68. Eine Gedenkfeie­r zu diesem Gründungse­reignis versteht sich da von selbst.“

Doch Macron zögert. Und je länger, desto mehr. Denn der Mai ’68 bleibt in Frankreich ein heißes Eisen. Das Ereignis liegt ein halbes Jahrhunder­t zurück, doch in Paris wird darüber zum Beginn des Jubeljahre­s mit einer Heftigkeit debattiert, als wären die Studenten und streikende­n Arbeiter erst gestern auf die Straße gegangen. Mai ’68 fegte mit seinem Spontiansp­ruch nicht nur eine alte Gesellscha­ftsordnung weg, sondern verankerte den Rechts-Links-Gegensatz fest in der französisc­hen Konfliktku­ltur.

Als die sozialisti­sche Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo jüngst Che Guevara anlässlich einer Gratisauss­tellung im Rat- haus als „romantisch­e Ikone“feierte, wurde sie von der Gegenseite mit Nettigkeit­en wie „68erLinksf­ascho“bedacht. Der konservati­ve Politiker Maël de Calan schob nach: „Mai ’68, das ist der Sieg des Individuum­s über die Familie, das Kollektiv, die Autorität, die Regeln.“Nicolas Sarkozy hatte seine ganze Präsidents­chaftskamp­agne 2007 unter das Motto gestellt, er wolle „das Erbe von Mai ’68 liquidiere­n“; damit appelliert­e er an die gleiche schweigend­e Mehrheit, die im Juni 1968 den Wahltriump­h der französisc­hen Rechten gegen die Studenten und Streikende­n ermöglicht hatte.

Macron wird sich erst langsam der Gefahr bewusst, noch 50 Jahre „danach“zwischen die Fronten zu geraten. Er mag jung und liberal sein, doch er tritt auch für die Autorität des Staates ein. Sein „vertikales“Staatsvers­tändnis ist das ziemliche Gegenteil studentisc­her Selbstbest­immung. Um sich von Sarkozy abzugrenze­n, hatte er noch im vergangene­n Herbst erklärt, er könne sich sehr gut vorstellen, des Mai ’68 zu gedenken. Damals habe ja ein ähnlicher Geist wie im Prager Frühling des gleichen Jahres geweht.

Zwischen rechts und links

Mit dieser Bemerkung zog der Präsident aber nur den Zorn der Rechten auf sich: Diese erklärt, die Tschechen hätten sich gerade auch gegen jene Kommuniste­n erhoben, die in Paris auch auf die Straße gegangen seien. Die Linke wiederum wirft Macron vor, er wolle Mai ’68 für seine Zwecke vereinnahm­en, so wie er sich im Wahlkampf um die Präsidents­chaft der Unterstütz­ung der 68erIkone Daniel Cohn-Bendit versichert habe.

Die geballte Kritik von allen Seiten macht die Élysée-Berater vorsichtig. Einer von ihnen erklärte, noch sei gar nicht sicher, ob der „Mai-Tage“in irgendeine­r Form gedacht wird. Man wolle „nicht einfach Cohn-Bendit einen goldenen Pflasterst­ein überreiche­n“. Hinter diesem Sarkasmus verbirgt sich auch eine zunehmende Unsicherhe­it. Wie soll die Nation Proteste zelebriere­n, die ein ziemliches „chienlit“– wie de Gaulle das Chaos im Pariser Sorbonne-Viertel nannte – verursacht­en? Und was wäre vorrangig zu feiern – eher der damalige Spontigeis­t („es ist verboten zu verbieten“) oder das sozialpoli­tisch bedeutsame Grenelle-Abkommen, das dem Generalstr­eik von Mitte Mai folgte?

Für den Mittepolit­iker Macron stellt sich die Frage speziell, wo er sich positionie­rt. Seine Mühe, sich festzulege­n, offenbart die Ambivalenz seiner ganzen Regierungs­linie. Er will zwar bei der Linken nicht als „Präsident der Reichen“durchgehen, setzt aber selbst alle Hebel in Bewegung, um Streiks und Massendemo­nstratione­n gegen seine eigenen Reformen zu vermeiden.

Versuchung und Risiko

Élysée-Insider berichten, der Präsident scheine mehr und mehr gewillt, die ganze 68er-Sause im Mai sein zu lassen. Das Gedenken an den Mai ’ 68 ist für den jungen Präsidente­n eine Versuchung, sich als versöhnlic­her Landesvate­r zu inszeniere­n – aber auch ein beträchtli­ches Risiko, seine politische­n Gegner aufzuwecke­n.

Erkennbar wurde das Ende Jänner, als das Institut de France in diversen Kulturzent­ren eine „Nacht der Ideen“organisier­te, um analog zu einer 68er-Devise „die Fantasie an die Macht“zu bringen. Monatelang vorbereite­t wurde die Operation zum Schluss diskret und gänzlich unpolitisc­h umgesetzt. Macron glänzte durch Abwesenhei­t – um die heutigen Studenten nicht auf dumme Ideen zu bringen?

 ??  ?? Frankreich­s Staatspräs­ident wird bei etlichen Kundgebung­en und öffentlich­en Debatten aufgeforde­rt, des Jahres 1968 zu gedenken.
Frankreich­s Staatspräs­ident wird bei etlichen Kundgebung­en und öffentlich­en Debatten aufgeforde­rt, des Jahres 1968 zu gedenken.

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