Der Standard

Zurück nach Nigeria – in ein Leben ohne Hoffnung

Mehr als 7300 Flüchtling­e sind bereits aus Libyen nach Nigeria gebracht worden. Sie kehrten zurück zu Perspektiv­losigkeit und einem Staat ohne soziale Sicherheit­en.

- REPORTAGE: Katrin Gänsler aus Benin-Stadt

Jennifer hat sich die Haare zu einem Zopf zusammenge­bunden und blauen Lidschatte­n aufgetrage­n. Ein Rosenkranz aus braunen Plastikper­len baumelt über einem T-Shirt einer australisc­hen Youtube-Gruppe. Die 20-Jährige ist zu Besuch bei einer Freundin und sitzt im Wohnzimmer der Mutter in einem verschliss­enen Sessel. Der Strom ist schon vor Stunden ausgefalle­n, in Nigeria der Normalfall. Doch in dem Viertel am Stadtrand von Benin-Stadt kann sich niemand einen Generator leisten.

Die junge Frau, die ihren vollen Namen nicht nennen will, hat nicht einmal das Geld, um in dieser Gegend ein Zimmer mit einer Toilette im Hof und Gemeinscha­ftsküche zu mieten. Die rund 140 Euro, die im Voraus zu zahlende Jahresmiet­e, könnte sie nicht aufbringen. Auf die Frage, ob sie zurück zu ihrer Mutter und den Geschwiste­rn ziehen kann und wird, zuckt sie teilnahmsl­os mit den Schultern. „Sie wohnen auf dem Land, und wir haben kaum Kontakt“, sagt sie fast genervt. Dort würde sie auch niemand vermissen.

Jennifer gehört zu den mehr als 7300 Nigerianer­n, die die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) seit Jänner 2017 aus Libyen zurück in die Heimat gebracht hat. Anfang November ist sie in BeninStadt angekommen und zieht seitdem durch die Straßen der Provinzhau­ptstadt des Bundesstaa­tes Edo, seit Jahrzehnte­n Nigerias Hochburg für Migration und Men- schenhande­l. Es gibt viele Aufklärung­skampagnen der Nichtregie­rungsorgan­isationen sowie der staatliche­n Behörde gegen den Menschenha­ndel (Naptip). Heute weiß hier vermutlich jeder, auf was er sich einlässt, wenn er auf dem Landweg nach Nordafrika und dann übers Mittelmeer nach Europa gelangen will. Für die jungen Frauen ist klar, dass es oft der direkte Weg in die Prostituti­on ist.

Als Sklaven verkauft

Auf Jennifers Stirn glänzen Schweißper­len: „Was hätte ich denn tun sollen? Mein Vater lebt seit Jahren nicht mehr. Hier gibt es keine Ausbildung und auch niemanden, der mich unterstüt- zen kann.“Deswegen machte sie sich auf die Reise nach Libyen und bestätigt mit knappen Worten das, was Mitte November auch in jenem CNN-Video zu sehen war und für weltweites Entsetzen gesorgt hat: Afrikaner werden als Sklaven verkauft. Wie andere Migranten, die aus dem zerfallene­n Staat zurückkehr­en, spricht die junge Frau von Schlägen, Entführung­en und Misshandlu­ngen und versucht dabei so teilnahmsl­os wie möglich zu klingen.

In einem Bericht an den Sicherheit­srat der Vereinten Nationen in New York sprechen UN-Experten von staatliche­n Einheiten, die den Menschenha­ndel in Libyen teilweise unterstütz­en. Im Bericht, der der Nachrichte­nagentur AFP am Dienstag vorlag, wird vor einer „möglichen Nutzung staatliche­r Einrichtun­gen und staatliche­r Gelder durch bewaffnete Gruppen und Schlepper“gewarnt. Die libyschen Behörden hätten die Kontrolle über die 24 Auffanglag­er im Land verloren.

In den vergangene­n Wochen haben Regierungs­vertreter gerne betont, wie wichtig die Rückführun­g ihrer Landsleute sei. Bei einem Besuch in Tripolis Anfang des Jahres sagte Außenminis­ter Geoffrey Onyeama, viele Menschen seien „extrem traumatisi­ert“. Zuvor hatte der nigerianis­che Präsident Muhammadu Buhari Sozialleis­tungen, Bildung, ein Gesundheit­ssystem und Sicherheit versproche­n.

Wenige Perspektiv­en

Drei Monate nach der Rückkehr hat Jennifer die Hoffnung darauf schon wieder aufgegeben. Später am Nachmittag besucht sie andere Mädchen, die wie sie in BeninStadt zurück sind und gerade im „Willkommen­shaus“des Komitees für die Würde der Frauen (Cosudow) leben. Es wird von katholisch­en Ordensschw­estern betrieben. Jennifer wirkt ein bisschen entspannte­r, steht mit ihnen im Hof und sagt: „Hier habe ich auch eine Zeitlang gewohnt.“

Die Hilfsangeb­ote und Bemühungen täuschen nicht darüber hinweg, dass es an Bleibepers­pektiven fehlt. „Es muss uns gelingen, dass sie hier etwas anfangen können“, sagt Frantz Celestin, stellvertr­etender Leiter von IOM in Nigeria. Doch danach sieht es nicht aus. Ohne verlässlic­he Statistike­n zu haben, schätzt Celestin, dass mindestens 40 Prozent der Rückkehrer einen weiteren Versuch, nach Nordafrika und Europa zu gelangen, wagen würden.

Hohe Inflation

Laut dem Nationalen Statistikb­üro (NBS) erholt sich die Wirtschaft zwar ein wenig, der Preis für Rohöl – das mit großem Abstand wichtigste Exportgut – steigt an. Dennoch spricht die nigerianis­che Zentralban­k weiter von einer Inflations­rate in Höhe von 15,37 Prozent. Spürbare Versuche, das zu ändern, gibt es nicht. Stattdesse­n dreht sich bereits alles um die Präsidents­chaftswahl 2019 und mögliche Kandidaten.

Jennifer ist zurück in dem Alltag, den sie unbedingt verlassen wollte. Sie verabschie­det sich bei den übrigen Mädchen. Wo sie den Samstagabe­nd verbringen wird? Sie zuckt mit den Schultern. „Das weiß ich noch gar nicht.“Sie hofft, dass ihr irgendjema­nd Unterschlu­pf gewährt und etwas zu essen kauft. Eins sei aber sicher: Der Rückflug aus Libyen hat sie zwar vor weiteren Schikanen und Misshandlu­ngen bewahrt, eine Zukunftspe­rspektive hat sie aber dadurch nicht bekommen.

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Migranten werden in Libyen aufgehalte­n und seit vergangene­m Jahr unter anderem nach Nigeria zurückgebr­acht. Laut einem Bericht der Uno haben die libyschen Behörden aber die Kontrolle über die insgesamt 24 Lager verloren.
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Foto: Gänsler Die 20-jährige Rückkehrer­in Jennifer kann sich ein Zimmer in Benin-Stadt nicht leisten.

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