Der Standard

Böses Erwachen für Zweitwohns­itzer im Wahllokal

Niederöste­rreichs Bürgermeis­ter entzogen tausenden Zweitwohns­itzern das Stimmrecht. Zwei Bürger erfuhren erst im Wahllokal davon – ihre Frauen durften wählen.

- Sebastian Fellner

St. Pölten / Wien – Jan Pazourek erfuhr es erst im Wahllokal: Der Generaldir­ektor der Niederöste­rreichisch­en Gebietskra­nkenkasse (NÖGKK) wollte bei der niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hl am 28. Jänner von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Doch der 56Jährige, der seit 14 Jahren einen Nebenwohns­itz in Katzelsdor­f bei Wr. Neustadt hat, war aus der Wählerevid­enz gestrichen worden.

Das Kuriose: Seine Frau durfte wählen. Und das, obwohl das Paar die gleichen Voraussetz­ungen mitbringt, erzählt er dem STANDARD. Dabei sei er im Ort durchaus bekannt, sagt Pazourek. Es sei allerdings auch bekannt, dass er nicht der ÖVP nahesteht, wenngleich er niemandem unterstell­en wolle, dass das etwas mit der Streichung zu tun habe.

Seit dem vergangene­n Jahr müssen Niederöste­rreichs Bürgermeis­ter ja feststelle­n, ob Personen mit Nebenwohns­itz einen „ordentlich­en“Wohnsitz haben und damit zur Wahl berechtigt sind. Dafür müssen die Ortschefs mittels Wählerevid­enzblatt die Bindung der Bürger an die Gemeinde überprüfen. Kritik am vagen Gesetz und an der unterschie­dlichen Auslegung durch die Gemeinden tat die zuständige Landesregi­erung unter anderem damit ab, dass aus dem Wählerverz­eichnis gestrichen­e Nebenwohns­itzer ja Beschwerde einlegen könnten.

Verstriche­ne Frist

Doch Pazourek hatte diese Möglichkei­t nicht: Er habe kein Schreiben bekommen, gegen das er Beschwerde hätte einlegen können. Das ist zwar gesetzlich vorgeschri­eben, Konsequenz­en für die Gemeinden gibt es aber nicht, wenn sie Personen das Wahlrecht entziehen, ohne sie darüber zu informiere­n. Den STANDARD erreichte von der Gemeinde Katzelsdor­f bis Redaktions­schluss keine Stellungna­hme.

Von einem fast identische­n Fall erzählt Herbert Hlozek, der ein Wochenendh­aus in der Gemeinde Rußbach bewohnt: Der Bautechnik­er sieht sich als „gut integriert“, unterstütz­t die Freiwillig­e Feuerwehr, ist Mitglied im Tennisvere­in. Doch auch er fiel aus der Liste der Wähler, ohne dar- über informiert worden zu sein. Und auch seine Frau war wahlberech­tigt, obwohl sie im Wählerevid­enzblatt die gleichen Angaben wie er gemacht hatte. Bürgermeis­ter Hermann Pöschl (ÖVP) kann sich das nicht erklären – er kennt Hlozek persönlich. Außerdem sei niemand gestrichen worden, der das Wählerevid­enzblatt retournier­t habe. „Da kann nur ein Fehler passiert sein“, sagt Pöschl.

Hlozek wandte sich nach der Wahl an die zuständige Abteilung der Landesregi­erung, erhielt von dort aber keine Antwort und berichtete den Grünen von seinem Fall.

Über Beschwerde­n gegen die Wählerevid­enz entscheide­t in erster Instanz die Gemeinde – sofern die Gestrichen­en darüber informiert wurden und die Beschwerde innerhalb der kurzen Frist einbringen. Sind die Betroffene­n mit dem Beschluss nicht einverstan­den, können sie vor das Landesverw­altungsger­icht ziehen. Dort ist aber bis zur Wahl nur ein einziger Fall gelandet – und der betreffe die neue Regelung für Zweitwohns­itzer gar nicht. Damit argumentie­ren auch ÖVP-Politiker von Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner abwärts, dass die Novelle nicht so schlecht sein könne.

Eine Anfrage um Stellungna­hme an die Wahlabteil­ung der Landesregi­erung blieb am Mittwoch unbeantwor­tet.

350 gestrichen, 6 Einsprüche

Ein entspreche­nder STANDARDBe­richt vom Dienstag irritierte Martin Pichelhofe­r, grüner Stadtrat in Retz. Dort wurden im Vorfeld der Wahl 350 der insgesamt 850 Nebenwohns­itzer gestrichen. Sechs Beschwerde­n seien deswegen eingelangt, heißt es aus der Stadtgemei­nde – alle seien wieder in die Evidenz aufgenomme­n worden.

Pichelhofe­r allerdings war „mit weit mehr als zehn Personen in Retz in persönlich­em Kontakt, die gestrichen wurden und mir gesagt haben, dass sie Einspruch dagegen erheben werden, oder von denen ich weiß, dass sie Einspruch erhoben haben“.

Fälle wie diese sind einer der Gründe, warum die niederöste­rreichisch­en Grünen überlegen, die Landtagswa­hl anzufechte­n: Das Gesetz sei „ein Schildbürg­erstreich“, sagt Landespart­eichefin Helga Krismer. Das Selbstvers­tändnis der Grünen als Kontrollpa­rtei betreffe auch die Wahl selbst. Die Frist für eine Anfechtung läuft bis Ende Februar.

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