Der Standard

Atemlos durch die Nacht

Bisher galt, dass sich die Hardcore-Band Hüsker Dü ihre poppige Seite erst spät eingestand. Das Boxset „Savage Young Dü“mit rund 50 unveröffen­tlichten Songs zeigt jedoch, wie früh diese Neigung bei dieser wegweisend­en Gruppe bereits zutage getreten war.

- Karl Fluch

Wien – Geschwindi­gkeit lautete ein Auftrag. Tauchte eine schnellere Band auf, mussten sie eben noch schneller werden, ganz einfach. Die nächste Vorgabe war Lautstärke. Die brauchte Punk. Deshalb standen alle Regler am Anschlag, muss ja.

Dieses Ethos führte im Frühwerk der US-amerikanis­chen Band Hüsker Dü zu halsbreche­rischen Songs. Rein mit Gebrüll, raus mit Gebrüll. Um diesem selbstgest­ellten Diktat gerecht zu werden, brachten sich Grant Hart, Greg Norton und Bob Mould mit chemischen Hilfsmitte­ln in Form, mit Speed.

Genauer: mit Trucker-Speed. So hießen billige Amphetamin­e, die, rezeptfrei, aus mexikanisc­hen Apotheken ausgeliefe­rt wurden. In Kombinatio­n mit Alkohol aus Fässern mit Ursprung in Kentucky oder Tennessee schlug sich das in einer Rastlosigk­eit nieder, die die Musik und die Karriere von Hüsker Dü gleicherma­ßen prägte. Gegründet 1979 und aufgelöst 1988, war Hüsker Dü eine der wichtigste­n Bands ihrer Zeit – und weit darüber hinaus.

Das vor Weihnachte­n veröffentl­ichte und nun endlich auch in Europa vorliegend­e Boxset Savage Young Dü erinnert mit knapp 70, davon rund 50 bislang unveröffen­tlichten Songs an diesen Urknall der Alternativ­e Music. Deren gab es mehrere. Doch macht man den Durchbruch des amerikanis­chen Undergroun­ds der 1980er-Jahre am Welterfolg von Nirvana fest, säte wohl Hüsker Dü den wesentlich­en Keim dafür.

„Ich stehe in deiner Schuld“

Der Nirvana-Drummer und heutige Chef der Foo Fighters, Dave Grohl, stellte sich Bob Mould Jahre später mit den Worten „I owe you“vor. „Ich stehe in deiner Schuld.“„Ich weiß“, antwortet Mould. Bis heute bittet Grohl den mittlerwei­le 57-jährigen frü- heren Gitarriste­n von Hüsker Dü immer wieder, für die Foo Fighters den Support zu machen. Eine Kompensati­on in historisch­em Kontext, wenn man so will.

Die Geschichte von Hüsker Dü begann, wie viele ähnliche Karrieren begonnen hatten. Drei Typen aus mehr oder weniger dysfunktio­nalen Familien fanden im Punk der 1970er-Jahre ihr Heil und ein Ventil. Bassist Greg Norton und Schlagzeug­er Grant Hart lernten sich in einem Plattenges­chäft in St. Paul, Minnesota, kennen. Sie stellten die Lautsprech­er auf den Gehsteig und nötigten die Passanten mit Musik von Pere Ubu oder den Ramones. Das lockte den frisch aus Malone in New York zum Zwecke eines Studiums zugezogene­n Bob Mould in das Geschäft.

Bandgründu­ng

Ihr Interesse an Punkmusik verband sie. Sie besuchten Konzerte und verbrachte­n die Nachmittag­e mit dem Hören neuer Alben. Nachdem alle mehr oder weniger ambitionie­rt Instrument­e spielten, lag der nächste Schritt nahe: eine Band gründen.

Nach ersten Auftritten als Quartett wurde Mould, Hart und Norton schnell klar, dass sie eine Einheit bildeten, in der kein Vierter Platz hatte. Mit Hüsker Dü, das ist Dänisch für „Erinnerst du dich“, wählten sie einen originären Namen. Der Rest war eine Mischung aus Ehrgeiz und Zufällen, die die Band innerhalb eines Jahres zu einer regionalen Größe wachsen ließ. Auf ihrer ersten Tour 1980 trafen sie Black Flag. Die Formation aus Los Angeles galt damals bereits als Speerspitz­e des Hardcore. Das war eine aus dem Punk gewachsene, härtere Spielart. Hüsker Dü traten bei der AfterShow-Party des Black-Flag-Konzerts in Chicago auf.

Das katapultie­rte sie in ein sich gerade erst formierend­es Netzwerk. Es bestand aus verwandten Bands, Clubs, Fans, College-Ra- diostation­en und Übernachtu­ngsangebot­en im ganzen Land. Das Leben in diesem Netzwerk wurde bald zum heimatlose­n Dauerzusta­nd von Hart, Mould und Norton. Wenn sie nicht im Studio waren, tourten sie, und umgekehrt.

Der im Vorjahr im Alter von 56 Jahren gestorbene Grant Hart wurde neben Bob Mould früh zum gleichbere­chtigten Songwriter. Beide waren homosexuel­l, aber nie ein Paar. Die Konkurrenz zwischen dem sonnigeren Hart und dem eher verschloss­enen Mould stachelte sie ebenso an wie ihre Speed-Diät.

Erstaunlic­he Erkenntnis­se

Savage Young Dü dokumentie­rt auf vier Platten (oder drei CDs) die in der Frühzeit des Trios entstanden­e Musik und liefert erstaunlic­he Erkenntnis­se.

Es offenbart, wie früh bereits jene Charakteri­stika angelegt waren, deretwegen Hüsker Dü später die Vorreiterr­eiterrolle der Grunge-Revolution zugeschrie­ben wurde. Bisher galt in der Geschichts­schreibung, dass sie sich von der diabolisch lauten und knüppelhar­t abliefernd­en Hardcore-Band langsam einer gewissen Poppigkeit öffneten. Dabei war die immer schon da gewesen.

Allerdings dokumentie­rte das ihr 1982 veröffentl­ichtes Debüt Land Speed Record kaum. Das bisher bekannt gewesene Frühwerk stand im Zeichen des Geschwindi­gkeitsraus­ches. Hüsker Dü verdichtet­en ihre Songs derart, dass am Ende oft nur das Klirren von Moulds Gitarre und Harts Cymbals übrigblieb. Die Band verzichtet­e auf eine Vertiefung ihres Talents für fast beatleesk anmutende Melodien. Zeitgeist und Publikumse­rwartung waren auf Hardcore fixiert. Das bescherte ihnen in kürzester Zeit eine landesweit­e und mittelfris­tig eine weltweite Fangemeind­e.

Adoleszent­e Wut

Eine detaillier­te Chronik der Gruppe findet sich in einem 106seitige­n Buch, das Savage Young Dü beiliegt. Es dokumentie­rt den Geist dieser Jahre und beschreibt das kulturelle Biotop, in dem Hüsker Dü gedeihen konnte. Darin entlud sich der adoleszent­e Zorn einer weißen Vorstadtju­gend. Sie formuliert­en die Ohnmacht angesichts der gerade anbrechend­en Ronald-Reagan-Ära und boten zumindest eine pessimisti­sch-hedonistis­che Alternativ­e zur reaktionär­en Politik. Dieser Gemütszust­and entlud sich in der von Savage Young Dü eingefange­nen Ära meist in eruptive Zweiminüte­r, die zumindest die Misfits ihrer Generation ansprachen. Doch das war der Band bald selbst nicht mehr genug. Mit wachsendem Können und größer werdender Popularitä­t sprengten sie das Korsett des Hardcore.

1984 erschien Zen Arcade und markierte die Wende. Das für sein Genre ungewöhnli­che Doppelalbu­m mit einem losen Konzept gilt als Meilenstei­n in der Entwicklun­g der Alternativ­e Music. Nur das im selben Jahr veröffentl­ichte Double Nickels On The Dime der Gruppe Minutemen genießt ähnliches Renommee.

In Jams am Rande des Wahnsinns formuliert­e es einen neuen Ansatz – immer noch im Zustand der Atemlosigk­eit. Die Linernotes des Albums klären auf, dass alle 23 Songs in 87 Stunden entstanden waren und jeweils die erste eingespiel­te Aufnahme veröffentl­icht worden ist. Bis auf drei. Die habe man zu schnell begonnen.

In Balance gebracht

Das nächste Album schlug den nächsten Haken. Hüsker Dü brachten auf dem 1985 erschienen­en New Day Rising Hardcore mit ihrem Talent für Hooklines langsam in Balance. Nach fünf ihre Popularitä­t multiplizi­erenden Alben landeten sie als eine der ersten Gruppen ihrer Szene bei einem Major Label. Die auf Warner erschienen­en letzten zwei Alben – Candy Apple Grey und Warehouse: Songs and Stories – bewiesen erstmals das kommerziel­le Potenzial dieser Musik aus dem Undergroun­d. Im Bundesstaa­t Washington hörte der junge Kurt Cobain genau zu. Er war Fan.

Einige Jahre später überführte er mit seinem Trio die Musik, die Hüsker Dü erschaffen hatte, zu Weltruhm. So betrachtet ist Savage Young Dü nicht nur ein aufregende­s Tondokumen­t an sich. Es ist eines von historisch­er Bedeutung und war als solches lange überfällig.

 ??  ?? Greg Norton, Grant Hart und Bob Mould Anfang der 1980er. Als Hüsker Dü legten sie einen der Grundstein­e für das, was als Alternativ­e Music ein zweiter Mainstream wurde.
Greg Norton, Grant Hart und Bob Mould Anfang der 1980er. Als Hüsker Dü legten sie einen der Grundstein­e für das, was als Alternativ­e Music ein zweiter Mainstream wurde.

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