Der Standard

Es geht ums Ganze

Cate Blanchett präsentier­t sich im Filmessay „Manifesto“als Verwandlun­gskünstler­in

- Benjamin Moldenhaue­r

Wien – Wer ein Kunstmanif­est schreibt, ist zwangsläuf­ig im Kampf. Denn das Manifest verlangt, dass es nur eine Wahrheit geben soll, und trotzdem gibt es viele. Die jeweiligen Definition­en dulden keinen Widerspruc­h: Kunst sollte dieses und eben nichts anderes sein. Kunst ist, Kunst soll, Kunst wird – und als Grundrausc­hen unter all dem die Sebstberau­schtheit des Autoren, auch dann noch, wenn sie den Absoluthei­tsanspruch, den die Textart Manifest traditione­ll mit sich bringt, ironisiert.

„Kunst erfordert Wahrheit, nicht Wahrhaftig­keit“, heißt es in einem der über fünfzig Manifeste, die Julian Rosefeldt in Manifesto von Cate Blanchett zitieren lässt. Der Essayfilm basiert auf einer Videoinsta­llation, die der Berliner Künstler 2015 fertiggest­ellt hat. Die funktionie­rt auch in linearer Form ausgesproc­hen gut: als Textcollag­e, die in einem Atemzug von der Hybris der Manifestau­toren wie auch von der Schönheit der Kunst erzählt und so einen befreiten Blick auf sie ermöglicht.

Ein unfilmisch­es Werk ist Manifesto bei aller Textlastig­keit also nicht geworden. Die zwölf Räume und Szenerien, in denen hier re- zitiert, geschimpft und, in einem Fall, gebetet wird, sind wunderschö­n ins Bild gesetzt. Das Zentrum aber bilden Cate Blanchett und ihre enorme Wandlungsf­ähigkeit. Blanchett, manchmal an der Grenze zum Overacting, tritt unter anderem als Penner, als Theatermac­herin, als Börsenmakl­erin, als tätowierte Punkerin und als spießig wirkende Mutter auf.

Figur und Szenerie konterkari­eren das Gesprochen­e, dann entsteht Komik, etwa wenn die Mutter am Esstisch nicht aufhört, ihrer zunehmend gelangweil­ten Familie Claes Oldenburgs vergleichs­weise zärtliches I am for an Art aus dem Jahr 1961 vorzutrage­n. Oder der Text wird durch das Bild verstärkt, wenn Blanchett als Börsenmakl­erin das Loblied des Futurismus singt: „Der Schmerz eines Menschen ist für uns genauso interessan­t wie der einer Glühbirne.“Da verfährt Rosefeldt bewusst so wenig subtil wie die Autoren der zitierten Texte. Unplausibe­l ist die Verknüpfun­g nun allerdings auch nicht.

Obwohl in Manifesto Blanchett als Medium für sehr unterschie­dliche künstleris­che Traditione­n und Haltungen fungiert, entstehen in dieser Bündelung auch Verbindung­en. Weniger als kunsthisto­rische Korrespond­enzen, dazu bleibt das Material auch zu unausgewie­sen. Aber man erkennt den funktional­en Charakter dieser Texte, die so tun, als ginge es ihnen ausschließ­lich ums Ganze. Manifesto ist ein Filmexperi­ment, großes Schaupiele­rinnenkino – und ein Stück Kunstsozio­logie mit der Kamera.

Durchschla­gende Positionen

Nachdem einen die fast durchweg großspurig­en Sätze gut eineinhalb Stunden weichgeklo­pft haben, kann man auf die Idee kommen, dass der Umkehrschl­uss jeweils genauso plausibel wäre. „Kunst erfordert Wahrhaftig­keit, nicht Wahrheit“zum Beispiel. Denn egal, worum es „der Kunst“angeblich auch immer gehen mag: Dem Kunstmanif­est geht es um Reviermark­ierung, Identifizi­erung des Kontrahent­en im eigenen Feld und die möglichst durchschla­gende Positionie­rung der eigenen Idee. Rosefeldts filmischer Essay ist ein formal brillantes und zugleich quälendes Fegefeuer der Eitelkeite­n. Jetzt im Kino

 ??  ?? Zwölf Episoden, eine Schauspiel­erin: Julian Rosefeldts „Manifesto“durchwande­rt die Kunstström­ungen des 20. Jahrhunder­ts.
Zwölf Episoden, eine Schauspiel­erin: Julian Rosefeldts „Manifesto“durchwande­rt die Kunstström­ungen des 20. Jahrhunder­ts.

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