Der Standard

Zeit ohne Umstellung

Die EU-Kommission soll die in der Union geltende Sommerzeit gründlich überprüfen und im Fall der Fälle abschaffen. Was dafür spricht und was dagegen – und wieso es diese Maßnahme überhaupt gibt.

- FRAGE & ANTWORT: Kim Son Hoang

In der EU wächst der Widerstand gegen die Zeitumstel­lung. Schadet diese der Gesundheit? Fragen und Antworten.

Worum geht es eigentlich? Antwort: Um die gute alte Zeitumstel­lung. Zweimal im Jahr, am letzten Wochenende im März und Oktober, wird in der EU die Uhr umgestellt. Mit der sogenannte­n Sommerzeit soll zwischen März und Oktober das Tageslicht besser genutzt werden. Auf den Punkt gebracht: In den Abendstund­en soll es länger hell bleiben, damit weniger Strom verbraucht wird.

Wie kam es zur Zeitumstel­lung? Antwort: 1973 wurde in Europa infolge der durch den Jom-KippurKrie­g ausgelöste­n Ölpreiskri­se die Sommerzeit eingeführt. Damit sollten Unternehme­n und Haushalte in Zeiten der Rezession Energie sparen können. Frankreich machte den Anfang, Österreich wartete aufgrund des Verwaltung­saufwands bis 1980, auch um sich mit Deutschlan­d und der Schweiz abzustimme­n. Bereits in den 1970er-Jahren gab es Stimmen, die den Nutzen dieser Maßnahme infrage stellten. Bis 1996 wurden die verschiede­nen Zeitumstel­lungsregel­n in der EU mittels Richtlinie harmonisie­rt. Sie gilt seitdem für alle EU-Mitgliedss­taaten und alle nahe Europa gelegenen Landesteil­e. Im französisc­hen Überseegeb­iet Französisc­hPolynesie­n, rund 19.000 Kilometer von Frankreich entfernt, gilt sie also nicht. Die Balearen, die seit 2016 eine „ewige Sommerzeit“fordern, haben hingegen keine Chancen auf einen Alleingang.

Wurden davor schon Zeitumstel­lungen durchgefüh­rt? Antwort: Vor mehr als 100 Jahren, genauer gesagt am 30. April 1916, wurde in Österreich-Ungarn erstmals die Zeit umgestellt. Die Sommerzeit dauerte damals von 1. Mai bis 30. September. Im Ersten Weltkrieg wollte man durch die längeren Sommeraben­de Energie sparen. Die Umstellung wurde hierzuland­e 1917, 1918 und 1920 zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n durchgefüh­rt – 1919 wurde sie kurzfristi­g abgesagt. Andere Länder experiment­ierten noch weiter mit der Zeitumstel­lung – in den USA war sie zum Beispiel regional geregelt, sodass es in manchen Städten zwei Uhrzeiten gab. In Österreich wurde 1940 infolge des „Anschlusse­s“an das Deutsche Reich die dort herrschend­e Regel auch hierzuland­e durchgefüh­rt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs überlebte die Sommerzeit in Österreich noch bis 1948, ehe sie abgeschaff­t wurde.

Wieso ist die Zeitumstel­lung bzw. ihre Abschaffun­g wieder ein Thema? Antwort: Immer wieder wurde in EU-Kreisen über die Zeitumstel­lung debattiert. Am Donnerstag ging man einen Schritt weiter. Zwar wurde im EU-Parlament ein Antrag abgelehnt, die Sommerzeit sofort abzuschaff­en. Doch stimmte eine Mehrheit für eine Entschließ­ung, der zufolge die EUKommissi­on eine „gründliche Bewertung“der Richtlinie vornehmen soll. Eine Sprecherin der EUKommissi­on zeigte sich am Freitag offen für solche Überlegung­en. Wann könnte es zu einer Abschaffun­g der Sommerzeit kommen? Antwort: Experten gehen von mindestens zwei Jahren aus. Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Maßnahme nicht den erwünschte­n Nutzen hat, soll sie einen Änderungsv­orschlag vorlegen. Diesem müssten die Mit- gliedsstaa­ten zustimmen. Bisher hat sich lediglich Finnland klar und deutlich gegen die Zeitumstel­lung ausgesproc­hen (in Polen macht man sich für eine dauerhafte Sommerzeit stark).

In der Entschließ­ung wird von „negativen Folgen für die Gesundheit“ durch die Zeitumstel­lung gesprochen. Stimmt das? Antwort: Das ist die große Frage. Es gibt zahlreiche Studien, auch eine vom wissenscha­ftlichen Dienst im EU-Parlament, die zu diesem Schluss kommen. Schlaffors­cher Gerhard Klösch von der Med-Uni Wien moniert etwa einen „Mini- Jetlag“vor allem bei Kindern und Jugendlich­en. Anderen Studien zufolge gibt es durch den neuen Schlaf-Wach-Rhythmus auch hormonelle Probleme, die Gefahr von Verkehrsun­fällen ist ebenso wie jene von Herzinfark­ten kurz nach der Zeitumstel­lung höher. Gleichzeit­ig gibt es aber auch Studien, die das alles in Abrede stellen. Zudem führen Befürworte­r der Sommerzeit an, dass mehr Tageslicht die Lebensqual­ität erhöhe und das Depression­srisiko senke.

Für welche Lebewesen neben dem Menschen wirkt sich die Umstellung noch aus? Antwort: Wildtieren ist die Zeitumstel­lung ziemlich egal. Haustiere bekommen sie allerdings schon zu spüren, etwa Hunde, die eine Stunde früher Gassi gehen. Gern angeführt wird zudem das Beispiel der Kühe, die zu festen Zeiten gefüttert und gemolken werden und durch die Zeitumstel­lung irritiert werden könnten. Auch betroffen ist der Zugverkehr: Bei der Umstellung auf die Sommerzeit kommen Nachtzüge verspätet am Ziel an. Umgekehrt müssen sie mitunter an einem Bahnhof eine Stunde lang angehalten werden, um nicht früher als geplant unterwegs zu sein.

Wie steht die Bevölkerun­g dazu? Antwort: In Österreich stammt die die letzte Umfrage aus dem Jahr 2011 vom Linzer Market-Institut: 39 Prozent der Befragten sahen Vorteile in der Zeitumstel­lung, Nachteile wurden von lediglich 19 Prozent moniert. Etwas aktueller ist die Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov in Deutschlan­d. 60 Prozent befürworte­ten im März 2017 eine Abschaffun­g der Sommerzeit. Eine EU-weite Umfrage gibt es nicht.

Wie wird die Zeitumstel­lung außerhalb der EU gehandhabt? Antwort: Grundsätzl­ich gibt es die Sommerzeit vor allem in Europa und Nordamerik­a. Im Rest der Welt stellen lediglich einzelne Länder bzw. Regionen die Zeit um. In den USA wurden die lokalen Regeln 1966 durch ein Bundesgese­tz ersetzt, in Bundesstaa­ten wie Arizona und Hawaii gibt es trotzdem keine Sommerzeit. Russland hatte von 2011 bis 2014 durchgehen­d die Sommerzeit, nach Kritik gilt aber wieder ganzjährig die Winterzeit. Zudem wurde die Zahl der Zeitzonen wieder von neun auf elf erhöht. Und die Türkei hat 2016 die Winterzeit abgeschaff­t. Der Wechsel von Sommer- und Winterzeit hatte die AKP von Staatschef Tayyip Erdogan immer schon als „untürkisch­e“Mode aus dem Westen gestört.

Und zum Schluss: Wann wird heuer an der Uhr gedreht? Antwort: Am Sonntag, 25. März, wird von 2 auf 3 Uhr vorgestell­t und am Sonntag, 28. Oktober, wird wieder zurückgest­ellt. Wer sich wie der Autor die Richtung nie merken kann, dem möge diese Eselsbrück­e helfen: Man stellt die Uhr immer Richtung Sommer – im Frühjahr also nach vorn, im Herbst zurück.

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Was Salvador Dalí, Erschaffer der schmelzend­en Uhren, von der Sommerzeit gehalten hat? Vermutlich war sie ihm wurscht. Und beim Big Ben stellt sich die Frage, wie lange er noch in der EU ist.

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