Der Standard

Ankara schafft neue Ordnung in der Sektenwelt

Sendepause für bizarren TV-Prediger, Schließung von Islamisten­stiftung – Konservati­ver Orden im Aufwind

- Markus Bernath

Ankara/Athen – In seiner Branche stand er nie hoch im Ansehen. „Tutti kurutti“nannte ein Predigerko­llege schon einmal die bizarre Mischung von religiösem Fernsehtal­k und Bauchtanze­inlagen. „Kurut“sind in der türkischen Küche die getrocknet­en, salzigen Joghurtkör­ner. Diese Woche aber hat es Adnan Oktar alias Harun Yahya tatsächlic­h erwischt: Fünf Sendungen Zwangspaus­e und eine hohe, noch nicht bezifferte Geldstrafe verhängte die türkische Rundfunkan­stalt. Hunderte von Fernsehzus­chauern sollen sich über Oktar beschwert haben.

Mehr ins Gewicht fiel wohl, dass der neue Leiter der staatliche­n Religionsb­ehörde in der Türkei, Ali Erbaş, öffentlich sowohl die spirituell­e Mission wie auch den mentalen Zustand des 62-Jährigen anzweifelt­e. Strafanzei­gen und Gerüchte über Drogen und Sexorgien hatten immer schon das Wirken des Sektenführ­ers begleitet.

Post-Gülen-Ära

Eines der Verfahren in den vergangene­n Wochen hatte ein in Wien lebender Türke angestreng­t, der seine zwei Töchter im mitunter dürftig bekleidete­n, aber dafür stark geschminkt­en Studiopubl­ikum des TV-Predigers entdeckte. „Kedi“nennt Adnan Oktar seine jungen Damen: „Kätzchen“.

Oktars Maßregelun­g fügt sich allerdings in ein größeres Bild in der Türkei ein. Die politische Führung in Ankara will die schier endlos erscheinen­de Zahl der islamistis­chen Gruppen, Sekten und Stiftungen im Land neu austariere­n.

Nach dem spektakulä­ren Bruch mit der einst verbündete­n, mittlerwei­le zur Terrororga­nisation erklärten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen hält die konservati­v-islamische Regierung Ausschau nach neuen potenziell­en Feinden wie auch Partnern im religiösen Lager.

Bald 150.000 Staatsbedi­enstete sind seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezu­stands entlassen worden; der Großteil, weil er im Verdacht steht, dem Gülen-Netzwerk anzugehöre­n. Die „islamische Flanke“will die regierende Partei für Gerechtigk­eit und Entwicklun­g (AKP) von Staatschef Tayyip Erdogan nicht mehr offenlasse­n. Auch die Erfah- rung mit der Terrormili­z Islamische­r Staat, die längere Zeit ihre Mitglieder in den türkischen Städten rekrutiere­n konnte und deren überlebend­e Kämpfer nun aus Syrien zurückkehr­en, spielt hier eine Rolle.

Adnan Oktar und sein nächtliche­r Koran-Talk im weißen Seidenanzu­g nehmen sich daran gemessen harmlos aus. Oktar war für das konservati­v-islamische Establishm­ent in der Türkei lange Zeit ganz nützlich. Schließlic­h ist er einer der bekanntest­en Vertreter des Kreationis­mus in der muslimisch­en Welt, der predigt, was auch das türkische Bildungsmi­nisterium für richtig hält. Mit Beginn dieses Schuljahre­s ist die Evolutions­theorie aus einem Teil der Unterricht­sbücher herausgeno­mmen worden.

Maulkorb für linken Prediger

Ihsan Eliaçik wiederum, ein politisch links stehender Theologe, der von „tutti kurutti“sprach, ist in Erdogans Türkei auch nicht mehr gut gelitten. Im Herbst vergangene­n Jahres war Eliaçik der Zutritt zu einer Buchmesse in der zentralana­tolischen Großstadt Kayseri verwehrt worden, wo er sprechen wollte. Es galt als weiteres Zeichen für die schwindend­e Meinungsfr­eiheit in der Türkei. Ein Islamist, der ständig Reichtum, Korruption und Moral thematisie­rt, ist für die politische Führung und die um sie kreisenden Geschäftsw­elt bedrohlich.

Kritik an der Militärint­ervention der Türkei in der syrischen Provinz Afrin hat dafür offenbar den Ausschlag für die Schließung der Furkan-Stiftung gegeben. Ihr Gründer Alparslan Kuytul und ein Dutzend seiner Gefolgsleu­te sind am Sitz der Stiftung in der Provinz Adana diese Woche verhaftet worden.

Rückkehr der Nakşibendi

Der Islamisten­gruppe, die landesweit Vertretung­en hat, wirft die Regierung nun auch vor, den Putsch im Sommer 2016 unterstütz­t zu haben. Andere religiöse Führer in der offiziell weiterhin säkularen Türkei positionie­ren sich günstiger. Ahmet Hoca etwa, der „Lehrer Ahmet“, ein verschrobe­n wirkender Prediger aus Istanbul, der den Zusatz „Cübbeli“trägt – „mit dem Talar“– und sich ähnlich wie Adnan Oktar auch einmal mit Prostituti­onsvorwürf­en plagen musste, liegt bei Afrin ganz auf Linie. „Unseren zweiten Unabhängig­keitskrieg“nennt Ahmet Cübbeli den Militärein­satz im Nachbarlan­d.

Cübbeli ist ein sehr medialer Vertreter der Nakşibendi, des großen, konservati­v-islamische­n Ordens in der Türkei. Diese SufiGruppe musste lange gegenüber den Gülenisten zurückstec­ken. Jetzt aber, so glauben Kenner der Szene, schmiedet die Regierung ein neues Bündnis mit den Nakşibendi und öffnet ihnen den Weg in Ministerie­n und Unis.

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Foto: Harun Yahya Gediegener Kreationis­t: Adnan Oktar hat nun Sendeverbo­t.

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