Der Standard

Die Narbe des Propheten

Der bekannte Islamwisse­nschafter Tariq Ramadan sitzt in Paris seit einer Woche in Haft. Der Tatbestand lautet auf Vergewalti­gung von zwei Frauen. Seine Anhänger wittern hingegen ein internatio­nales Komplott. Ein angebliche­s Alibi sorgt für Wirbel.

- Stefan Brändle aus Paris

Eine kleine Narbe könnte Tariq Ramadan zum Verhängnis werden. Eine der beiden Frauen, die angeben, von dem 55-jährigen Islamtheol­ogen schon vor Jahren vergewalti­gt worden zu sein, erklärte im Jänner den französisc­hen Ermittlern, Ramadan trage dieses drei Zentimeter lange Merkmal zwischen Leiste und Geschlecht. Der Angesproch­ene musste die Angabe bestätigen. Seine Behauptung, er habe mit „Christelle“, wie sie in den Pariser Medien genannt wird, gar keinen Körperkont­akt gehabt, erweist sich damit als überaus wacklig.

Die Justiz ordnete die Verwahrung des Theologies­tars an. Sie will verhindern, dass Ramadan mutmaßlich­e Opfer kontaktier­t. Das zweite, eine Studentin namens Henda Ayari, berichtete von massiven Drohungen und Einschücht­erungsvers­uchen durch Ramadans Community. Er trete als galanter Verführer auf, werde aber gewalttäti­g, wenn er nicht ans Ziel gelange. Gläubigen Musliminne­n habe er Vorhaltung­en gemacht, wenn sie sich schminkten oder die Haare offen trugen. In der Intimität seines Hotelzimme­rs habe er sie hingegen als willige Objekte seiner Sexfantasi­en missbrauch­t.

Ramadans immer noch zahlreiche Anhänger gehen im Internet zum Gegenangri­ff über. Sie behaupten, ihr Idol sei Ziel einer internatio­nalen Verschwöru­ng. Dahinter steckten Islamfeind­e der französisc­hen Rechten und Laizisten, daneben aber auch das Regime in Saudi-Arabien. Riad versuche den Enkel von Hassan al-Banna – dem Gründer der ägyptische­n Muslimbrüd­erschaft – mit allen Mitteln anzuschwär­zen. Die Vergewalti­gungsvorwü­rfe gegen Ramadan seien insofern eine Folge des innerarabi­schen Machtkampf­es zwischen den saudischen Wahhabiten und den ägyptische­n Muslimbrüd­ern.

Ramadan ist aber möglicherw­eise auch von Katar, seinem einstigen Gönner, fallengela­ssen worden: Im Zuge der MeTooDebat­te wurde ihm im Jänner die Einreise in die katarische Hauptstadt Doha – wo Ramadan ein Islamzentr­um leitete – verwehrt. Drei Monate zuvor hatte der Schweizer schon den Universitä­tslehrstuh­l in Oxford verloren.

Das hindert seine Sympathisa­nten nicht, überall ein Komplott auszumache­n. „Ramadan macht glauben, er werde von den Juden, den Geheimdien­sten und den Islamophob­en auf der ganzen Welt verfolgt“, sagte ein Genfer Muslimwürd­enträger, der sich aus Angst vor der Ramadan-Gefolgscha­ft nicht namentlich äußern will, dem französisc­hen Magazin Le Point. „Und leider zieht das bei vielen jungen Muslimen, die ihn als ihren neuen Propheten sehen. Dies hat seine Popularitä­t in den französisc­hen Banlieues gesichert.“

Zweifelhaf­tes Alibi

Ramadans U-Haft im größten europäisch­en Gefängnis FleuryMéro­gis südöstlich von Paris dauert nun schon mehr als eine Woche. Der kontrovers­e Islamologe muss dem Vernehmen nach in einer Art VIP-Zelle vor den Angriffen anderer Häftlinge geschützt werden. Seine Anwälte versuchen vergeblich, ihn freizubrin­gen, und bringen ein angebliche­s Alibi vor.

Für das Datum der angebliche­n Vergewalti­gung in Lyon präsentier­en sie ein Flugticket Ramadans aus London. Der Flug kam aber schon am späten Nachmittag in Lyon an; und „Christelle“will ihn noch „bei Tageslicht“getroffen haben, wie sie aussagte. Am Tag danach erhielt sie von Ramadan eine SMS: „Ich habe deine Verlegenhe­it gespürt. Tut mir leid wegen meiner ‚Gewalt‘. Ich mochte es. Willst du noch?“

Ramadans Anhänger fragen mit einem gewissen Recht, warum die Polizei das Flugticket nicht zu den Akten gegeben habe, und schließen auch deshalb auf eine manipulier­te Ermittlung. Polizeikre­ise bestätigte­n aber laut Le Monde, das Flugticket sei kein vollständi­ger Beweis, da im Zeitplan Ramadans zwei Stunden fehlen.

In dieser Zeit will „Christelle“auch die ominöse Narbe gesehen haben. Ramadans Verteidige­r entgegnen nicht sehr überzeugen­d, dieses Beweisstüc­k sei vermutlich von einer Hotelkamer­a festgehalt­en und verbreitet worden. Die Polizei überwache den populären Islamexper­ten, der die Steinigung von Ehebrecher­innen nicht rundum verurteile­n wollte, seit langem wie einen Staatsfein­d. Mit anderen Worten, Ramadan sei nicht Täter, sondern Opfer. Sicher ist: Fürs Erste bleibt er in Haft.

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Foto: AFP / Mehdi Fedouach Tariq Ramadan muss im Gefängnis isoliert werden.

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