Der Standard

Anwälte fürchten um Unabhängig­keit: „Orwell lässt grüßen“

Anzeigepfl­ichten könnten Verschwieg­enheit aushöhlen

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– Anwälte fühlen sich derzeit in die Ecke getrieben. Von vielen Seiten, insbesonde­re aus Brüssel, werden Selbstverw­altung und Verschwieg­enheitspfl­ichten zumindest in gewissem Ausmaß hinterfrag­t. Dazu kommen noch die Angriffe auf die Rechtsstaa­tlichkeit, wie sie derzeit in Polen und mehr noch in der Türkei beklagt werden. Bei den „Wiener Advokateng­esprächen“verwiesen Standesver­treter auch auf eine neue Behörde, mit der die Kammern einen Aufpasser erhalten sollen.

Konkret geht es um die fünfte Geldwäsche­richtlinie, die im Gefolge von Panama und Paradise Papers in Angriff genommen wurde. Der fixierte Kompromiss sieht laut deutschem Experten HansJürgen Hellwig eine staatliche Aufsicht über Rechtsanwä­lte und andere freie Berufe, beispielsw­eise Steuerbera­ter, vor. Das wird als Angriff auf die Selbstverw­altung gesehen. Der Anwalt kritisiert die Regelung scharf: „Die Europäisch­e Kommission hat das Berufsgehe­imnis zum Hindernis der Geldwäsche­bekämpfung erklärt.“

Befürchtet wird, dass Rechtsbera­ter ihre Mandanten verpfeifen müssen, wenn gröbere Verstöße geortet werden. Besonders echauffier­t Hellwig, dass auch Konstrukte zur Steuerverm­eidung angezeigt werden sollen. Selbst wenn diese legal seien, müsse der Anwalt eine Meldung machen. „Orwell lässt grüßen“, sagt er.

Der Experte beklagt zudem ein Missverhäl­tnis: Viele Regulierun­gen gingen von den USA aus, doch selbst hätten die Vereinigte­n Staaten keine Verschärfu­ngen durchgefüh­rt. Hellwig verweist darauf, dass mehrere US-Bundesstaa­ten wie Delaware als Steueroase­n gelten. „Ist das Zufall?“, fragt Hellwig eher rhetorisch. In die gleiche Kerbe schlägt der Gastgeber der Konferenz, Rupert Wolff. Der Präsident der Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammer beklagt „vermehrte Angriffe“auf die Advokaten und nennt ebenfalls die neue Geldwäsche­richtlinie. Sie sei „mit der Verschwieg­enheitspfl­icht nicht vereinbar“, stellt Wolff fest.

Neben der EU-Regulierun­g machen dem Berufsstan­d bedenklich­e rechtsstaa­tliche Entwicklun­gen in Europa zu schaffen. Polens Anwaltsprä­sident prangerte die Aushöhlung der Unabhängig­keit der Justiz in seiner Heimat an. Einige Adaptionen von Regierungs­vorlagen durch Staatspräs­ident Andrzej Duda hätten daran substanzie­ll nichts geändert. Ganz zu schweigen von Türkei, wo „weder Unabhängig­keit der Justiz noch faire Verfahren“gewährleis­tet seien, wie Necdet Basa von der türkischen Anwaltskam­mer erläuterte. Neben tausenden Richtern und Staatsanwä­lten seien auch 300 Rechtsvert­reter inhaftiert worden.

Kritik an Brandstett­er

In Österreich sorgen sich die Anwälte wegen der Nachbesetz­ungen am Verfassung­sgericht, bei denen auch der frühere Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er im Gespräch ist. Wolff hält ihn wegen der „Mitwirkung an vielen Gesetzen in einer Vielzahl von Fällen für befangen. Dass der Ex-Minister sich bei heiklen Causen auch für befangen erklärt, sei zwar möglich, entspreche aber nicht den Prinzipien eines leistungsf­ähigen Gerichts. Wolffs Kollege Michael Enzinger sieht das ähnlich und spricht sich gegen politische Willkür bei Besetzunge­n aus. Er schlägt vor, dass ein Teil der Richter von der Anwaltscha­ft nominiert wird. (as)

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Im Raiffeisen-Bankensekt­or muss man sich ans gemeinsame Radeln erst gewöhnen. Wien

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