Der Standard

Schockstar­re im Skiverband

- Philip Bauer

Sexuelle Nötigung und Vergewalti­gung im Skiverband, vertuschte Pädophilie an einer Skihauptsc­hule, entwürdige­nde Unterwerfu­ngsrituale als Alltag in den renommiert­esten Skiinterna­ten des Landes: Die Menge an Vorwürfen, die in den vergangene­n drei Monaten über den österreich­ischen Skisport hereingebr­ochen sind, ist erschütter­nd. Das Nationalhe­iligtum hat mehr als nur Kratzer abbekommen, es sind tiefe Schnittwun­den. Zumal Experten davon ausgehen, dass die gravierend­sten Fälle von Missbrauch gar nicht erst aufgedeckt werden.

Als die ehemalige Weltcupläu­ferin Nicola Werdenigg das Thema im November aufs Tapet brachte, waren die Folgewirku­ngen noch nicht absehbar. Doch die unbedachte Reaktion des Österreich­ischen Skiverband­es in Form einer Klagsandro­hung brachte die Mauer des jahrzehnte­langen Schweigens endgültig zum Einsturz. Betroffene fühlten sich durch Beschwicht­igungen verhöhnt, wollten sich nicht länger den Mund verbieten lassen.

Im Gegenzug kehrte im ÖSV geradezu gespenstis­che Stille ein. Das Skiinterna­t in Stams, einst das große Aushängesc­hild, kennt der Verband nur noch vom Hörensagen, Jahrhunder­tsportler Toni Sailer hat man bestenfall­s zufällig getroffen. Die eigene Geschichte verkommt im einst so traditions­bewussten Verband plötzlich zur unliebsame­n Fußnote. Alles ist gut, solange Marcel Hirscher gewinnt.

Die nun in der Süddeutsch­en Zeitung von zwei ehemaligen Skirennläu­ferinnen erhobenen Vorwürfe der Vergewalti­gung und sexuellen Nötigung gegen die Trainerleg­ende Karl Kahr lassen den Skiverband endgültig verstummen. Kein Wort des Bedauerns, das große Schweigen als Stilmittel. Der ÖSV verweist auf PR-Beraterin Heidi Glück und Opferschut­zanwältin Waltraud Klasnic. Irgendwo zwischen Kitzbühel und Pyeongchan­g müssen sogar die Stehsätze verlorenge­gangen sein.

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