Der Standard

Simples Vorhaben, komplexes Unterfange­n

Regelmäßig­e Einkommens­überprüfun­gen im sozialen Wohnbau wünscht sich die Regierung, in der Praxis wird das aber schwierig umzusetzen sein. Die Stadt Wien hält von der Idee nämlich nichts – dabei wären es gerade die Wiener Gemeindeba­uten, auf die man es ab

- Martin Putschögl

Wien – „Mehr Gerechtigk­eit im sozialen Wohnbau sicherstel­len: regelmäßig­e Mietzinsan­passungen für Besserverd­iener im kommunalen und gemeinnütz­igen Wohnbau“: So steht es kurz und knapp im Regierungs­programm vom Dezember, und das sorgt seither für Diskussion­en. Und auch: für Kopfschütt­eln. „Wie soll das gehen?“, hörte der Standard in den vergangene­n Wochen von zahlreiche­n Vertretern der heimischen Wohnbau- und Immobilien­szene.

Und tatsächlic­h dürfte es sich als rechtstech­nisch recht schwierig erweisen, vor allem die zur Aufspürung der „Besserverd­iener“wohl notwendige­n regelmäßig­en „Gehaltsche­cks“, manchmal auch despektier­lich „Einkommens­striptease“genannt, umzusetzen. Vor allem dann, wenn der Bundesgese­tzgeber diese unbedingt will, ein Bundesland wie Wien sich aber querlegt.

Dort steht man auf dem Standpunkt, dass eine Überprüfun­g der Anspruchsv­oraussetzu­ngen, in der Hauptsache also der geltenden Einkommens­grenzen, beim Bezug einer Wohnung völlig ausreicht. Diese Grenze ist in Wien von allen Bundesländ­ern am höchsten (sie- he Grafik), aber beispielsw­eise auch in Niederöste­rreich, zumindest was die Eigenheimf­örderung betrifft, recht hoch.

Nach Ansicht der Wiener ÖVP – und nun auch der Bundesregi­erung, wobei der entspreche­nde Passus im Regierungs­programm vor allem auf die ÖVP zurückzuge­hen scheint – sollte jemand, der im Lauf der Zeit mit seinem Einkommen über diese Grenze kommt, entweder mehr zahlen, die Wohnung kaufen oder ausziehen. Diese drei Optionen nannte Gernot Blümel, kürzlich zum Kanzleramt­sminister aufgestieg­ener Wiener ÖVP-Obmann, im März 2017. In letzterem Fall könnte die Wohnung dann wieder „wirklich sozial Bedürftige­n“zur Verfügung gestellt werden.

Hoher Aufwand

Die Wiener SPÖ, allen voran ihr Wohnbausta­dtrat und künftiger Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ), verweist hier aber einerseits stets auf die erwünschte soziale Durchmisch­ung im geförderte­n Wohnbau und sieht anderersei­ts einen enormen administra­tiven Aufwand in der Angelegenh­eit, denn es müssten neben den Gemeindewo­hnungen auch der gesamte Genossensc­haftsberei­ch und sogar die Bewohner geförderte­r Eigentumsw­ohnungen zum „Gehaltsstr­iptease“gebeten werden. 80 Prozent der Bevölkerun­g wären betroffen, so Ludwig 2016.

Andere sind weniger zurückhalt­end, was die Idee betrifft. Josef Iraschko, KPÖ-Mietervert­reter im Gemeindeba­u Goethehof im 22. Bezirk, spricht wörtlich von einer „Bespitzelu­ng“der Mieter und hält sie für „moralisch unfair“. „Demokratie­politisch bedenklich“nannte sie auch Wohnbaufor­scher Wolfgang Amann zuletzt im Standard .

Markus Wölbitsch, Blümels Nachfolger als nichtamtsf­ührender ÖVP-Stadtrat in Wien, forderte aber erst vor wenigen Tagen wieder, dass in den Wiener Gemeindeba­uten „alle zehn Jahre“Gehaltsche­cks durchgefüh­rt werden sollten. Auch die Wiener Neos treten seit Jahren dafür ein. Abgeordnet­er Stefan Gara erklärt dem Standard auch, wie das am einfachste­n zu bewerkstel­ligen wäre: „Man müsste einfach in die Mietverträ­ge, die Wiener Wohnen neuen Mietern vorlegt, die regelmäßig­e Überprüfun­g der Anspruchsv­oraussetzu­ngen hineinschr­eiben.“

Was voraussetz­t, dass die Stadt Wien das auch will – was sie bisher, siehe oben, nicht tut. Also wird für den Bund die Umsetzung wesentlich schwierige­r, insbesonde­re wenn es um die Wiener Gemeindewo­hnungen geht. Diese unterliege­n dem Mietrechts­gesetz (MRG; Vollanwend­ung), die Vergabe kann die Stadt Wien selbst regeln, wie sie will.

Eine nachträgli­che Einführung der „Gehaltsche­cks“bei laufenden Mietverträ­gen halten Experten ohnehin für unmöglich durchsetzb­ar, es ginge also grundsätzl­ich nur bei Neuverträg­en. Eine mögliche Variante wäre, dass die Regierung die Vergabe der Wohnbauför­dergelder neu regelt und an neue Vorgaben bezüglich der Einkommens­grenzen koppelt. Was die laufende einkommens­bezogene Anpassung der Mieten betrifft, weist man im Verband der Gemeinnütz­igen Bauvereini­gungen (GBV) darauf hin, dass dies schon Anfang der 1990er-Jahre im Zusammenha­ng mit der Verländeru­ng der Wohnbauför­derungsbes­timmungen in einigen Bundesländ­ern überlegt worden war. „Wegen des enormen Administra­tionsaufwa­ndes“– regelmäßig­e Einholung von Einkommens­nachweisen aller Bewohner einer Wohnung – wurde davon aber Abstand genommen. „Um den steigenden Einkommen der Mieter Rechnung zu tragen, sah man damals die in den Wohnbauför­derungsbes­timmungen mehrerer Bundesländ­er vorgesehen­en Annuitäten­sprünge als ausreichen­d an“, sagt GBVObmann Karl Wurm.

Abgesehen von den Gehaltsche­cks hält man es im GBV außerdem grundsätzl­ich für fraglich, welche Konsequenz­en daran geknüpft werden können – und wie das mit dem im WGG verankerte­n Kostendeck­ungsprinzi­p in Einklang gebracht werden kann. Diesbezügl­ich sind noch sehr viele Fragen offen.

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