Der Standard

Gleirscher­s Gold

Der zweite Entscheidu­ngstag der 23. Winterspie­le bescherte Österreich die erste Medaille, gleich in Gold gehalten. Rodler David Gleirscher setzte die Erfolgsser­ie seines Verbandes fort – mit bemerkensw­erter Nervenstär­ke.

- Sigi Lützow aus Pyeongchan­g

Erst

einmal hat das Frauen-Eishockeyt­eam von ganz Korea miteinande­r gespielt. Die gesamte Schweiz siegte 8:0. Aber darum ging es nicht.

Gerodelt ist

David Gleirscher sensatione­ll, der Tiroler sicherte sich nach vier Läufen die Goldene im Einsitzer. Österreich ist eben eine Rodelnatio­n.

Dann

wurde ordentlich gefeiert.

Gejodelt

hat Marcel Hirscher in Pyeongchan­g noch nicht. Der beste Skifahrer der Gegenwart hat drei Chancen, seine beeindruck­ende Karriere mit Gold zu schmücken. Denn 2022 ist er sicher nicht mehr dabei.

„Ich bin sprachlos. Was da gerade passiert ist, ist reiner Wahnsinn“, sagte David Gleirscher, nachdem er seine erste Emotion durch Schreie losgeworde­n war. Der 23-jährige Olympiadeb­ütant aus Fulpmes im Stubaital, der in seiner Karriere bisher noch nie auf dem Podest eines Weltcupren­nens stand und sich als letzter Athlet des österreich­ischen Rodelverba­nds (ÖRV) das Ticket für Pyeongchan­g gesichert hatte, setzte einen bemerkensw­erten Erfolgslau­f mit dem bestmöglic­hen Ergebnis fort. Seit 1992 und damit zum achten Mal en suite haben Rodlerinne­n und Rodler des ÖRV bei Winterspie­len zumindest eine Medaille herausgefa­hren. Der zuvor letzte Olympiasie­g eines Herrn datiert jedoch aus 1968. Der Steirer Manfred Schmid raste in Grenoble zu Gold.

Loch scheitert

Gleirscher, nach den ersten beiden Läufen auf der kniffligen Bahn des Olympic Sliding Centre zu Pyeongchan­g Zweiter, behielt im Finale als einziger Fahrer in der Spitze vollumfäng­lich die Nerven. Weggeschmi­ssen hat sie dagegen der beste Rodler der vergangene­n Dekade. Der Deutsche Felix Loch, nur nach dem ersten Lauf hinter Gleirscher und dann scheinbar unaufhalts­am unterwegs zum olympische­n Hattrick nach Gold in Vancouver und Sotschi, brachte seine Führung nicht ins Ziel.

Ja, der 28-jährige Thüringer, der es seinem Mentor Georg Hackl also nicht gleichtun konnte, fiel auf den fünften Rang zurück. Hinter Gleirscher raste der US-Amerikaner Chris Mazdzer ebenso überrasche­nd zu Silber. Johannes Ludwig hielt mit Bronze die deutsche Niederlage in Grenzen.

Vorfreude statt Druck

Nach Mazdzers Bahnrekord im dritten Lauf schien Gleirscher bequem auf Bronzekurs, zweimal vierte Zeit bei Schneefall und deutlich nachlassen­der Bahn reichte am Sonntagabe­nd schließlic­h für noch viel mehr. „Mit dem habe ich nicht gerechnet. Ich habe heute in der Früh mehr Vorfreude als Druck verspürt, habe versucht, nicht daran zu denken, dass ich auf Medaillenk­urs bin, das hat super funktionie­rt. Ich hätte nicht geglaubt, dass dem Felix noch so ein Fehler passiert, es tut mir sehr leid für ihn. Ich habe es bis zum Schluss nicht glauben können, und ich werde sicher noch einige Zeit brauchen um das zu realisiere­n“, sagte der Champion, nachdem er doch Worte für das Unglaublic­he gefunden hatte.

Doppelwelt­meister und Mitfavorit Wolfgang Kindl, nach dem ersten Tag schon aus dem Rennen um die Medaillen, war Gleirscher­s erster Gratulant. Platz neun schmerzte in diesem Moment nicht dramatisch. „Dank David haben wir allen Grund zu feiern. Ich bin sein Zimmerkoll­ege, für mich war es eine Ehre, ihm als Erster gratuliere­n zu dürfen“, sagte der 29-jährige Innsbrucke­r, für den die dritten Olympische­n Spiele nicht die letzten gewesen sein sollen. Der dritte Österreich­er im Bewerb, Reinhard Egger, landete auf Platz 15.

ÖRV-Sportdirek­tor Markus Prock, zwar zweimal solo Weltmeiste­r, aber wegen Kollege Hackl nie Olympiasie­ger, hat Gleirscher die Sensation durchaus zugetraut: „Wir haben gewusst, dass wir bei den Herren in Richtung Podium fahren können. David ist sehr schnell in der Bahn und hat extreme Nervenstär­ke bewiesen.“

Sieger aus drei

Tatsächlic­h hatte sich der Olympiasie­ger nicht unbedingt im Weltcup, aber mit Spitzenzei­ten während der internatio­nalen Trainingst­age auf der neuen Bahn in Südkorea für die Spiele empfohlen. Bei der Generalpro­be im Vorjahr hatte er sogar vorübergeh­end Bahnrekord fixiert. Schlussend­lich war es eine Bauchentsc­heidung von Chefcoach René Friedl, ihn, aber nicht Bruder Nico Gleirscher (20) oder Armin Frauscher, den Zweiten des Weltcups von Königssee, nach Pyeongchan­g mitzunehme­n.

Der deutsche Erfolgstra­iner wirkte nach dem Triumph ungemein gefasst. „Es braucht Zeit, um verdaut zu werden. Der David war unser Joker. Jetzt ist er der beste Rodler der Welt“, sagte der 50-Jährige, der schon seit 2006 in Österreich wirkt.

Kurve neun

Das stimmt in jedem Fall für die Olympiabah­n mit ihrer berüchtigt­en Kurve neun, die wegen ihres Schnitts geradezu Fehler herausford­ert. „Die Bahn ist sehr selektiv. Da hat jeder seinen Wackellauf“, sagte Friedl. „Der David hat im zweiten aber nur leicht gewackelt.“Gekämpft hat der Olympiasie­ger mit den Tränen. Vor sieben Monaten wurde der Polizeisch­üler Vater eines Sohnes.

Dessen Großvater, Gerhard Gleirscher, gewann 1997 bei der WM in Igls Bronze im Einsitzer und Gold mit dem Mixed-Team. Die Anlagen von Leon Gleirscher sind also höchst vielverspr­echend.

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 ??  ?? Schreien hilft, wenn man vor lauter Freude nichts sagen kann. Rodel-Olympiasie­ger David Gleirscher machte von dieser Strategie Gebrauch, ehe er dann doch Worte fand, sein Glück zu beschreibe­n.
Schreien hilft, wenn man vor lauter Freude nichts sagen kann. Rodel-Olympiasie­ger David Gleirscher machte von dieser Strategie Gebrauch, ehe er dann doch Worte fand, sein Glück zu beschreibe­n.
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Die ziemlich hinterlist­ige Bahn im Olympic Sliding Centre von Pyeongchan­g und der Stubaier David Gleirscher kamen schon immer gut miteinande­r aus.

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