Der Standard

Komplexes öffentlich­es Vergaberec­ht

Weil Österreich die EU-Vergaberic­htlinien nur zum Teil umgesetzt hat, muss die Vergaberec­htspraxis zwischen den europäisch­en Vorgaben und den nationalen Gesetzen manövriere­n.

- Rudolf Pekar

Wien – Im April 2014 wurde mit den Vergaberic­htlinien (insbesonde­re RL 2014/24/EU) eine umfassende Neuerung des europäisch­en Vergaberec­hts beschlosse­n, die vom österreich­ischen Gesetzgebe­r innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen gewesen wäre. Im Rahmen kleinerer Novellen zum Bundesverg­abegesetz ist dies bisher nur zaghaft erfolgt. Zum überwiegen­den Teil sind die Vergaberic­htlinien noch gar nicht umgesetzt. Dass die Europäisch­e Kommission dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) im Rahmen des dazu anhängigen Vertragsve­rletzungsv­erfahrens die Verhängung von Zwangsgeld­ern in Höhe von täglich rund 138.000 Euro vorgeschla­gen hat, sollte die Sache eigentlich beschleuni­gen.

Bis dahin befinden sich Vergaberec­htspraktik­er in der fallweise nicht unkomplizi­erten Situation, dass seit Ablauf der Umsetzungs­frist neben dem bisherigen Regime des Bundesverg­abegesetze­s die EU-Vergaberic­htlinien beachtet werden müssen. Die öffentlich­e Hand ist also bei der Gestaltung von Ausschreib­ungen angehalten, das Bundesverg­abegesetz im Sinne der Vergaberic­htlinien auszulegen, um so allfällige Differenze­n des nationalen Rechts durch eine unionsrech­tskonforme Auslegung zu beheben.

Existiert zwischen den Richtlinie­n und der Absicht des österreich­ischen Gesetzgebe­rs ein Widerspruc­h, der sich nicht durch Auslegung beheben lässt, dann muss geprüft werden, ob die jeweiligen Bestimmung­en der Vergaberic­htlinien nicht direkt wirksam sein können.

Insbesonde­re die durch die Vergaberic­htlinien erweiterte­n Ausnahmeta­tbestände vom Vergabe- recht sind durch eine zuletzt ergangene Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VwGH) verstärkt ins Licht gerückt. In seiner Entscheidu­ng zum „Wiener Weihnachts­traum“(Ro 2017/04/0005) – eine GmbH der Stadt Wien hat einen Auftrag von einer Einrichtun­g der Stadt Wien erhalten – stellt der VwGH klar, dass die bisher nur in der neuen Vergaberic­htlinie vorgesehen­e „horizontal­e“In-House-Vergabe, die eben eine solche „Schwestern­vergabe“vom Anwendungs­bereich des Vergaberec­hts ausnimmt, auch im österreich­ischen Vergaberec­ht gelten und das Bundesverg­abegesetz insoweit nicht anwendbar sein soll.

Komplexitä­t durch VwGH

Der VwGH eröffnet durch seine Interpreta­tionsweise offensicht­lich die Möglichkei­t, neue europarech­tliche Vorgaben und Entwicklun­gen in den Begriff des Auftragswe­sens einzubezie­hen, und verdeutlic­ht damit einmal mehr die Relevanz für öffentlich­e Auftraggeb­er, die europarech­tlichen Grundlagen vor Ausschreib­ungen genau zu prüfen. So könnten im Sinne der VwGH-Entscheidu­ng wohl auch weitere in den Vergaberic­htlinien vorgesehen­e Ausnahmen vor ihrer Umsetzung im österreich­ischen Recht maßgeblich sein. Dies betrifft beispielsw­eise neben der genannten „horizontal­en“In-House-Vergabe auch die neuen „Spielarten“der „Inverse“- oder „Bottom up“Vergabe der Tochter- an die Muttergese­llschaft oder mittelbare In-House-Aufträge bzw. die (vertraglic­he) interkommu­nale Kooperatio­n.

Neben allfällige­n Erleichter­ungen bei der Gestaltung von Ausschreib­ungen führen die Auslegungs- und Anwendungs­vorgaben jedoch auch dazu, dass beispielsw­eise bei der – bisher grundsätzl­ich mehr oder weniger freihändig­en – Vergabe von Dienstleis­tungskonze­ssionen die entspreche­nde Konzession­srichtlini­e (2014/23/EU) zugrunde zu legen sein wird. Dass die Vergaberic­htlinien teilweise gänzlich neue Auftrags- und Vergabever­fahrensart­en vorschreib­en, bringt weitere Herausford­erungen bei der Strukturie­rung von Vergaben.

Anhaltende­r Verzug

Die „Einzelfall­prüfung“der Vergaberic­htlinien und des Bundesverg­abegesetze­s bleibt durch den anhaltende­n Verzug des Gesetzgebe­rs also weiterhin nicht erspart. Bis zur Umsetzung der Vergaberic­htlinien ist das Bundesverg­abegesetz im Kollisions­fall – sofern ein solcher überhaupt erkannt wird – unter Berücksich­tigung der Vergaberic­htlinien auszulegen oder bei deren direkter Anwendbark­eit unangewend­et zu lassen. Die Entscheidu­ng des VwGH zur Auslegung des Begriffes des „öffentlich­en Auftragswe­sens bringt insofern auch eine neue Komplexitä­t in die Vergaberec­htspraxis. Eine gewisse Unsicherhe­it wird meist bis zum „rechtskräf­tigen“Abschluss eines Vergabever­fahrens oder aber einer gerichtlic­hen Entscheidu­ng bleiben.

Der derzeitige „Schwebezus­tand“im Vergabewes­en sollte daher im Interesse aller Beteiligte­n möglichst rasch beendet werden – durch eine rasche und vollständi­ge Umsetzung der EURichtlin­ien.

RUDOLF PEKAR ist Rechtsanwa­lt in der Kanzlei Fellner Wratzfeld & Partner in Wien. rudolf.pekar@fwp.at

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 ??  ?? Das öffentlich­e Vergabewes­en ist in Österreich durch das anhaltende Versäumnis des Gesetzgebe­rs bei der Umsetzung von EU-Richtlinie­n noch komplexer geworden.
Das öffentlich­e Vergabewes­en ist in Österreich durch das anhaltende Versäumnis des Gesetzgebe­rs bei der Umsetzung von EU-Richtlinie­n noch komplexer geworden.

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