Neue Kennzahl für die „unfaire Ungleichheit“
Ökonomen entwickeln Maß für Perspektivlosigkeit – Niederlande sind besonders fair, Österreich im Mittelfeld
Wien – Mit einer ganzen Reihe an Studien haben Ökonomen in den vergangenen Jahren belegt, dass die Ungleichheit bei den Einkommen in den allermeisten Industrieländern zugenommen hat. Doch bei der Beurteilung dieses Phänomens, das seit den 1980er- und 1990er-Jahren beobachtet wird, gehen die Meinungen auseinander. Wie schlecht ist die wachsende Kluft für eine Gesellschaft wirklich?
Liberale Ökonomen argumentieren, dass Menschen unterschiedlich talentiert und engagiert sind. Ein gewisses Maß an Ungleichheit ist in dieser Leseart sogar notwendig, weil Unterschie- de Menschen dazu motivieren können, mehr zu leisten, um mehr zu haben. Dagegen gibt es der Theorie folgend eine schlechte Ungleichheit, die darauf zurückzuführen ist, dass Menschen gar keine Chance haben aufzusteigen, weil ihnen etwa Geld für die Ausbildung fehlt oder sie der Armutsfalle nicht entkommen können.
Der Ökonom Andreas Peichl vom Münchner Ifo-Institut hat mit zwei Kollegen eine Studie veröffentlicht, mit dem Ziel, die „unfaire Ungleichheit“zu quantifizieren. Klassische Variabeln bilden nur die Ungleichheit in einer Volkswirtschaft anhand der Verteilung der Einkommen ab. Peichl und seine Kollegen dagegen bauen ihre neue Kennzahl auf zwei Komponenten auf.
So analysieren sie auf Basis von Daten aus Haushaltsbefragungen, wie sehr Einkommensunterschiede auf Faktoren beruhen, die Menschen nicht beeinflussen können. Dazu gehören zum Beispiel Unterschiede bei den Einkommen, die allein darauf beruhen, ob jemand In- oder Ausländer ist. Als zweiten Faktor berücksichtigen die Ökonomen die Armutsgefährdung, also wie hoch der Anteil jener Menschen in einem Land ist, deren Einkommen unterhalb von 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens liegt. Absolute Armut ist ein Zeichen für Chancenlosigkeit, so die Ökonomen.
Diese beiden Aspekte, also wie sehr das Einkommen von beeinflussbaren Faktoren abhängt und die Zahl der Armutsbetroffenen, verschmelzen Peichl und seine Kollegen zu einer Kennzahl für die unfaire Ungleichheit. Von 31 analysierten Ländern ist die unfaire Ungleichheit in den Niederlanden, Finnland und Norwegen am geringsten. Es folgen Frankreich, Island, Belgien und Deutschland. Österreich belegt in diesem Ranking einen mittleren Rang, zwischen der Slowakei und dem Vereinigten Königreich. Ganz stark ist die unfaire Ungleichheit demnach in Litauen, Italien und Rumänien ausgeprägt.
Laut den Autoren ist der Anteil an unfairer Ungleichheit in Österreich relativ gering, sie macht nur 15 Prozent der gesamten Ungleichheit aus. Zum Vergleich: In den USA liegt dieser Wert bei etwa 32 Prozent.
Die Wissenschafter haben sich auch die historische Entwicklung in den USA angesehen. Demnach ist die unfaire Ungleichheit dort insbesondere seit 1990 gestiegen, während der Anstieg der Einkommensungleichheit in den 1980erJahren noch im Wesentlichen auf faire Faktoren zurückzuführen ist, so Peichl und Kollegen. (szi)