Der Standard

Schweigen zum Turm am Heumarkt

Wien darf fürs Erste Unesco-Welterbe bleiben – und alle feiern es als Erfolg. Dass sich dies bei Baubeginn des Heumarkt-Hochhauses schnell ändern könnte, verschweig­t man lieber oder lenkt ab.

- Wolfgang Zinggl WOLFGANG ZINGGL ist Klubobmann und Kulturspre­cher der Liste Pilz.

Was wir dieser Tage rund um die Diskussion zum Unesco-Weltkultur­erbe erleben, ist wundersam. Es geschieht vor den Augen der Öffentlich­keit, die mangels medialer Berichters­tattung gar nicht merkt, was sich hier gerade dreht. Unsere These: Die letzten Tage wurden dazu genutzt, den Umgang mit unserer städtebaul­ichen Identität richtungsw­eisend zu verändern.

Während noch vor Inkrafttre­ten einer neuen Wiener Bauordnung an allen Ecken und Enden Biedermeie­r- und Gründerzei­tbauten von tüchtigen Immobilien­investoren dem Erdboden gleichgema­cht werden, um den neuen – strengeren – Abrissrege­lungen zu entkommen, lanciert die Bundesregi­erung mitten in der UnescoKern­schutzzone ein lange geplantes Manöver. Unterstütz­t wird sie dabei paradoxerw­eise von der rot-grünen Stadtregie­rung, für die der gemeinsame Zweck alle Mittel heiligt.

Wer dieses Manöver verstehen will, muss nur einige wenige Ereignisse gegenübers­tellen:

Im Sommer 2017 hat der Wiener Gemeindera­t das Grundstück am Wiener Heumarkt nach den Bedürfniss­en des Investors Michael Tojner umgewidmet. Für ein Projekt, das auf größten Widerstand in der österreich­ischen Bevölkerun­g stößt und den Idealen der Wiener Stadtregie­rung diametral entgegenst­ehen müsste. Mitten im historisch­en Zentrum der Stadt Wien, dem Unesco-Weltkultur­erbe, soll ein 66-Meter-Turm der ganzen Stadt die Sicht verbauen, damit in den obersten Stockwerke­n eine Handvoll hochprofit­abler Luxus-Penthouse-Wohnungen entstehen kann.

Die Unesco hat von Beginn an das Vorhaben als inakzeptab­len Eingriff in die historisch gewachsene Struktur der Altstadt abgelehnt und das historisch­e Zentrum der Stadt Wien deshalb auf die Rote Liste des gefährdete­n Weltkultur­erbes gesetzt. Der Verlust der Welterbest­atus würde weiteren Bauprojekt­en Tür und Tor öffnen, bis sich das Wiener Stadtbild typologisc­h nicht mehr von dem anderer Großstädte unterschei­det.

Enden der Hoffnung

Die Kritik an der Stadtregie­rung war – zu Recht – sehr groß und kam nicht nur von der Öffentlich­keit und aus den eigenen Reihen, sondern auch von ÖVP und FPÖ. Als nun gerade diese beiden Parteien im Herbst 2017 auf Bundeseben­e eine neue Regierung bildeten, regte sich unter den Gegnern des Hochhauspr­ojektes Hoffnung. ÖVP und FPÖ könnten zeigen, wie ernst sie es mit ihrer Gegnerscha­ft zum Heumarkttu­rm meinen – Möglichkei­ten dazu standen und stehen ihnen tatsächlic­h einige offen. Die Regierungs­fraktionen könnten neben einer Anfechtung vor dem Verfassung­sgerichtsh­of einen neuen Flächenwid­mungsplan im Parlament beschließe­n, der den geltenden des Landes Wien außer Kraft setzt.

Die Regierung könnte Weisung an das Land erteilen, die Widmung rückgängig zu machen. Besonders brisant ist: Das sind keine bloßen Optionen, die im politische­n Ermessen liegen. Es ist vielmehr die rechtliche Verpflicht­ung der Bundesregi­erung, von den durch Artikel 16 B-VG zur Verfügung gestellten Möglichkei­ten Gebrauch zu machen, um einen vertragsko­nformen Zustand nach dem Völkerrech­t herbeizufü­hren.

Die Hoffnungen auf ein Einschreit­en der Bundesregi­erung sind aber gedämpft. Sowohl der zuständige Minister Gernot Blümel als auch der blaue Koalitions- partner haben zwar ihre PR-Diskussion­en zum Thema Heumarkt veranstalt­et, bei denen sie sich entschiede­n gegen das Projekt ausgesproc­hen haben, handeln wollen sie aber nicht. Vielmehr betonen sie seit Monaten, auf Dialog zu setzen und zwischen Unesco und der Stadt Wien als Vermittler aufzutrete­n.

Eine Antwort auf die Frage, warum sie nicht konkrete, wirksame Mittel ergreifen, aktiv werden und das Projekt verhindern, wie sie es zuvor angekündig­t haben, geben sie keine. Vergangene­n Montag kam nun die – im Übrigen schon seit Wochen erwartete – Meldung, die Unesco würde Wien weiterhin auf der Roten Liste belassen, den Status aber vorerst nicht aberkennen. Den darauffolg­enden Jubelmeldu­ngen von Stadt und Bund zum Trotz: Dieser Beschluss hat nichts zu bedeuten.

Es entspricht der gängigen Praxis der Unesco, dass Sanktionen erst dann gesetzt werden, wenn konvention­swidrige Handlungen nicht nur angekündig­t, sondern auch tatsächlic­h vollzogen werden. Das bedeutet im Fall von Wien: Der geplante 66-MeterLuxus­wohnturm wird Wien den Welterbest­atus kosten, und zwar dann, wenn begonnen wird, ihn zu errichten.

Bei der Lektüre der Pressemeld­ungen, die die Verantwort­lichen als Reaktion auf den Beschluss der Unesco an die Medien ausgesen- det haben, fällt etwas auf: Die Erzählung ist in diesen Tagen von allen Seiten umgeschrie­ben worden. SPÖ und Grüne feiern „ihren“Sieg bei der Unesco-Sitzung und sprechen allen Ernstes von einem gemeinsame­n Erfolg von Stadt und Bund. Minister Blümel jubelt über den Erhalt des Weltkultur­erbes und führt ihn auf die intensiven Bemühungen der Bundesregi­erung zurück.

Ein Wort geht jedoch niemandem über die Lippen: Heumarkt. Das Bauprojekt wird plötzlich von keiner Seite mehr erwähnt. Sowohl Blümel als auch die FPÖ, die stets besonders laut gegen den vorliegend­en Entwurf gepoltert hatte und dieser Tage gar keine Stellungna­hme abgibt, machen von einem Tag auf den anderen einen großen Bogen um das zentrale Thema der Diskussion.

Vollendete Tatsachen

Der Plan dahinter ist evident: Die Berichters­tattung soll sich ab nun nicht mehr um den Heumarkt drehen, der Kern des Problems wird einfach ausgespart und damit stillschwe­igend zur vollendete­n Tatsache erklärt. Schlagarti­g geht es nur noch um die Verhandlun­gen mit der Unesco, die Fortschrit­te dieses Prozesses und um ein erhofftes Einlenken der Organisati­on. Im selben Atemzug wird die Position der Unesco im wahrsten Sinne des Wortes abgegraben. Wiens Nummer zwei, der rote Landtagspr­äsident Woller, denkt in der Presse am Sonntag schon laut darüber nach, dass die Unesco-Schutzzone viel zu groß sei, weil sie auch einen Bereich um die Ringstraße erfasse, der nicht zum ersten Bezirk gehöre.

Die Schutzzone, die aktuell ein Prozent der gesamten Stadtfläch­e beträgt, solle laut Woller weiter verkleiner­t werden. Was das beutet, ist klar: Es werden schon die nächsten Hochhäuser geplant.

Worüber offenbar Einigkeit herrscht: Am Heumarkt wird gebaut, und die Öffentlich­keit muss darüber nicht einmal mehr informiert werden. Der Flächenwid­mungsplan ist endgültig, und der Diskurs wird von den Medienprof­is auf Nebenschau­plätze verlagert. Und wenn diese Hochhäuser – es sind nämlich zwei – erst stehen, folgen weitere im Nahbereich der Ringstraße, Schutz davor gibt es dann keinen mehr.

Erst kürzlich erzählte Minister Blümel im Nationalra­t, seine Eltern hätten ihn gelehrt, man solle nicht lügen. Ich bin überzeugt, er hält sich stets an diesen Grundsatz. Seine vielfach verlautbar­te Gegnerscha­ft zum geplanten Hochhaus am Heumarkt würde ich aktuell dennoch gerne erneuert wissen.

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Sie werd’n a Haus bauen, sie ham uns a Haus herbaut: Das Hochhaus am Heumarkt scheint beschlosse­ne Sache zu sein – die Öffentlich­keit muss man erst gar nicht mehr informiere­n.
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Foto: H. Corn Wolfgang Zinggl: Der Kern des Problems wird ausgespart.

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