Der Standard

Juncker kritisiert Regierunge­n der Neinsager

Der EU-Kommission­spräsident ruft in Erinnerung, dass es vor allem Deutschlan­d und Österreich waren, die die EU-Asylpoliti­k blockierte­n. Kanzler Kurz nennt er ein „Talent“, warnt aber vor nationalen Alleingäng­en.

- Thomas Mayer aus Straßburg

Wenn Jean-Claude Juncker das Auftreten von nationalen Regierunge­n zur EU-Politik lobt, ist Vorsicht angesagt. Der Kommission­spräsident ist ein Mann der leisen Töne. Vor allem aber ein Meister der Zwischentö­ne, der allzu grobe Vereinfach­ungen bei der Darstellun­g der EU-Politik nicht schätzt.

Kritische Sätze verpackt er mit Vorliebe in Ironie. So war das auch am Montag am Vorabend der Antrittsre­de von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vor dem Plenum des Europäisch­en Parlaments in Straßburg. Juncker empfängt eine Gruppe österreich­ischer Journalist­en, um die Erwartunge­n an den österreich­ischen EU-Vorsitz zu erläutern. „Das Leitmotiv passt mir“, bemerkt er gleich als Erstes zum Motto „Ein Europa, das schützt“.

Genauso sei das mit der Forderung nach mehr „Subsidiari­tät“, die der Kanzler und die Minister bei praktisch allen Erklärunge­n zu ihren EU-Vorhaben ins Treffen führen: Die EU solle sich nur um „die großen Dinge“kümmern, die Nationalst­aaten aber um die vielen „kleinen Dinge“bei der Umsetzung der Politik bei den Bürgern.

In der Wiener Tonart wird das gerne übersetzt mit der Formel, die EU solle sich nicht überall einmischen, sie müsse gestutzt werden. Juncker bemerkt dazu, dass all dies nicht wirklich originell sei und auch nicht neu. Das Thema des Ausbaus der Sicherheit in Europa, des Schutzes der EU- Außengrenz­en, das sei „eine der Prioritäte­n bei meiner Antrittsre­de im Europäisch­en Parlament im Jahr 2014 gewesen“, erklärt er. Das kann man nachlesen.

Dasselbe gelte für die Forderung, dass die EU effiziente­r werden müsse. Selten werde dazugesagt, dass gerade seine Kommission, „die Regulierun­gswut, die man meist zu Recht beklagt, nach unten korrigiert hat“. So kämen in seiner Kommission nurmehr 20 bis 22 neue Initiative­n jährlich anstatt 120 bis 130 wie früher. „Wir haben viele Rechtsakte geprüft und 51 zurückgezo­gen.

Die Botschaft des Kommission­spräsident­en ist klar und deutlich. Die Regierung wäre gut beraten, „das, was sie in zwei vorangegan­genen EU-Vorsitzen bereits bewiesen hat“, auch diesmal zu tun: nicht spalten, sondern sich mit dem profiliere­n, was man in Österreich besonders gut könne „als Land des Kompromiss­es, des Austariere­ns zwischen den Bundesländ­ern und der Bundesregi­erung, mit den Nachbarn wie Bayern oder Südtirol“.

Das gelte ganz besonders beim Thema Migration. Juncker hofft „und wünscht“, dass es bis Jahresende gelingt, eine Reform der ge- meinsamen EU-Asylregeln unter Dach und Fach zu bringen. Nur mit einem einheitlic­hen Verfahren für Asylwerber könne gelingen, was praktisch alle vorgeben erreichen zu wollen: „die Trennung von reinen Wirtschaft­smigranten von jenen, die als Flüchtling­e unseren Schutz brauchen“.

Würde des Menschen

Bisher sei das an der Uneinigkei­t im Ministerra­t gescheiter­t. Der Präsident bekennt sich dazu, dass Europa, „der beste Platz der Welt zum Leben“, nicht die halbe Welt aufnehmen könne. Auch er unterstütz­e, dass man illegale Migration zurückdrän­gen müsse, aber: Die Grenze des Vorgehens sei dort erreicht, wo es darum gehe, „die Würde des Menschen in ihrem vollen Umfang“zu wahren, sie gelte für alle, egal welcher Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Jeder Mensch habe das Recht, dass in einem ordentlich­en Asylverfah­ren geprüft werde, ob es Gründe gebe für Schutz. Das ist Junckers absolute Benchmark.

Richtig verärgert ist er über die Darstellun­g, dass es die Kommission gewesen sei, die in der Migrations­krise beim Außengrenz­schutz gebremst habe. „Da er- klingt jetzt überall der Schlachtru­f. Aber was haben die Regierunge­n getan? Wir haben Italien, Griechenla­nd unterstütz­t, Hotspots ausgebaut und das EU-Türkei-Abkommen abgeschlos­sen“, zählt er auf. Italien habe aus EU-Mitteln zusätzlich vier Milliarden Euro erhalten, um besser mit dem Migrations­problem umgehen zu können, Griechenla­nd 2,8 Milliarden Euro. Immerhin seien seit 2015 95 Prozent weniger Flüchtling­e aus der Türkei gekommen.

Sein Appell: „Ich bitte doch um nüchterne Betrachtun­g dessen, was erreicht wurde.“

Staaten gegen Grenzschut­z

Ein anderes Beispiel: Bereits sein Vorgänger José Manuel Barroso habe 2008 und 2013 noch mal einen integralen europäisch­en Außengrenz­schutz vorgeschla­gen. „Was haben die Regierunge­n damit gemacht?“, fragt Juncker, um die Antwort gleich selbst zu liefern: „Damals gab es im Vergleich zu 2015 nur mickrige Flüchtling­szahlen. Man hat damals so getan, als ob die Kommission wieder mehr Kompetenze­n an sich ziehen wolle, um sich den Grenzschut­z zu eigen zu machen, gegen die Nationalst­aaten.“Dieje- nigen, die heute klagen, seien damals besonders gegen die Pläne aufgetrete­n, „die Deutschen, vorwiegend aus Bayern und BadenWürtt­emberg, und auch die Österreich­er“. Man könnte die Kritik gegen die Kommission „auch mal umdrehen, dann sähen einige sehr schlecht aus“.

Auch heute müsse man genau hinschauen, etwa bei den vom EUGipfel beschlosse­nen „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“für Migranten in Staaten außerhalb der Union, in Afrika. „Man wird im Detail prüfen müssen, ob dort auch Asylanträg­e gestellt werden können“, erklärt Juncker, die Regierungs­chefs hätten das offengelas­sen. Es gebe eine Innenminis­tersitzung nächste Woche, „die ist sehr wichtig“.

Juncker warnt, dass mit solchen Lagern ein „neokolonia­listischer Grundrefle­x“in den Staaten, die die Europäer in Afrika um Kooperatio­n bitten wollen, ausgelöst werden könnte. „Wir können den afrikanisc­hen Partnern nicht vorschreib­en, was sie tun könnten“. Es gehe hier um gesonderte Abmachunge­n mit den nordafrika­nischen Ländern. „Ich bin sehr dagegen, dass von Brüssel diktiert wird, was in Afrika passiert“.

In Kanzler Sebastian Kurz hat er Vertrauen: Dieser „gehört zu den neuen Talenten in Europa, die braucht man“, sagt Juncker: „Wir schaffen das schon.“Sein Tipp an die Österreich­er: „Guter Schlaf und hellwach sein“. p Langfassun­g auf dSt.at/EU

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Juncker findet diverse Forderunge­n Wiens an die EU nicht sehr originell oder neu. Die Sicherung der EU-Außengrenz­en habe er etwa bereits 2014 gefordert.

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