Der Standard

17 Angeklagte und drei Ventilator­en

Beim Prozessauf­takt gegen 17 Identitäre in Graz wurde am Mittwoch deren Frontmann einvernomm­en. Dieser hat mit Merchandis­ing gute Geschäfte gemacht. Der Staatsanwa­lt wirft ihm Aufstachel­n zum Hass vor.

- Colette M. Schmidt

Der große Schwurgeri­chtssaal am Grazer Straflande­sgericht ist am Mittwochvo­rmittag fast voll. Im Zuseherber­eich aber auch auf der zweireihig­en Anklageban­k drängt es sich: 16 Männer und eine Frau, Mitglieder und Sympathisa­nten der Identitäre­n Bewegung Österreich (IBÖ) müssen sich wegen der Beteiligun­g an einer kriminelle­n Vereinigun­g (Paragraf 278) sowie teilweise wegen Verhetzung und Sachbeschä­digung verantwort­en. Einem wird Nötigung vorgeworfe­n. Rund um den Gerichtssa­al gibt es keinen Empfang für mobile Daten. Offenbar traute man den Journalist­en nicht, das Tickerverb­ot einzuhalte­n. Zudem wurden Medien ersucht, Namen von Richter und Staatsanwa­lt nicht zu nennen – aus Sicherheit­sgründen.

Studenten und Arbeiter

Die Angeklagte­n sind zwischen 20 und 35 Jahre alt, zehn sind Studenten, einer Schüler, die anderen Arbeiter und Angestellt­e, zwei sollen aufgrund der Anklage ihre Jobs verloren haben.

Ganz außen rechts saß am Mittwoch der IBÖ-Frontmann Martin Sellner, der mit zwei Mitangekla­gten 2012 die IBÖ gründete. Einer davon hat die Gruppierun­g mittlerwei­le verlassen. Alle werden von einem Anwalt vertreten.

Der Staatsanwa­lt führt lange aus, warum sie die IBÖ mit ihren Aktionen zum „Hass“gegen Muslime und in Österreich lebenden Türken „aufstachel­n“. Es geht um eine Aktion von 2016 auf dem Dach der Grünen in Graz ( der STANDARD berichtete), wo sie ein Transparen­t mit der Aufschrift „Islamisier­ung tötet“entrollten und dazu ein Video veröffentl­ichten, in dem sie Terroransc­hläge in Paris und Brüssel mit Grünen und SPÖ in Verbindung brachten.

Bei einer weiteren Störaktion an der Uni Klagenfurt wurde eine Steinigung nachgestel­lt. Das Ganze endete mit einem Schlag in den Bauch des Rektors. Im März 2017 stieg man auf das Dach der türkischen Botschaft in Wien.

Zudem kamen Aktionen mit Aufklebern auf Kebabläden, die nicht genau zuordenbar waren, und Sprühkreid­eparolen auf Straßen. Anwalt Bernhard Lehofer tat die Vorwürfe als „völlig daneben“ ab. Hier ginge es nur um Meinungsfr­eiheit „von Leuten wie du und ich“.

Als der Richter Video einspielt, kommt es bei jenem zur Aktion in Klagenfurt, wo ein Angeklagte­r und ehemaliger Grazer FPÖ-Kommunalpo­litiker im Chaos in ein Megafon stammelt, auf der Anklageban­k zu peinlich betretenen Blicken. Sellner, der einen eigenen Videoblog betreibt und mit 29 bereits eine Art Biografie publiziert hat, wird am Mittwoch als einziger Angeklagte­r vernommen und betont, er sei in die Kärntner Aktion nicht involviert gewesen.

Staatsanwa­lt und Richter interessie­rten sich auch für die Vergangenh­eit Sellners vor 2011, als er mit dem wegen der Neonazi- Seite Alpen-Donau-Info inhaftiert­en Gottfried Küssel unterwegs gewesen sei. Das sei lange her und er habe dort seine „Form von Patriotism­us nicht gefunden“, wiegelt Sellner ab. Der Staatsanwa­lt fragt nach, ob es nicht eher damit zu tun hatte, dass Küssel ab 2011 „weg vom Fenster“war. Drei Mitstreite­r Küssels hören dabei im Publikum zu.

Firma für Propaganda

Auch die Geschäfte von Sellner und IBÖ-Mitbegründ­er L. waren Thema. Sie gründeten eine Firma, über die sie T-Shirts, Aufkleber und anderes Merchandis­ing vertreiben und machten damit bis 2017 rund eine halbe Million Euro Umsatz. Geld, das wieder in ihre „Propaganda fließt“, so der Ankläger. Der Trägervere­in der IBÖ dagegen lebe von Spenden. Die Geldflüsse seien nach 2017 nicht mehr nachvollzi­ehbar, weil sie auf ausländisc­he Konten wechselten. Die Identitäre­n geben sich auch „als Gegner der Globalisie­rung“, bemerkt der Staatsanwa­lt, „aber ihre Leiberl lassen sie in Ländern produziere­n, wo die Lohnsklave­rei fröhliche Urständ feiert“.

Eigentlich sollte am Mittwoch durchverha­ndelt werden, doch es waren Pausen nötig. Ein Angeklagte­r erlitt einen Schwächean­fall. Ja, die Luft im Saal sei ein Horror, so der Richter. Danach ließ der Richter drei Ventilator­en im Saal aufstellen.

Am Freitag geht es weiter.

 ??  ?? In insgesamt 19 Verhandlun­gstagen will der Richter den Prozess gegen 17 Identitäre abschließe­n. Am Freitag geht es in die nächste Runde.
In insgesamt 19 Verhandlun­gstagen will der Richter den Prozess gegen 17 Identitäre abschließe­n. Am Freitag geht es in die nächste Runde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria