Der Standard

Banlieue-Krawalle in Nantes halten an

In der westfranzö­sischen Stadt Nantes brennen nachts wieder die Autos. Vorstadtju­gendliche reagieren damit auf eine tödlich ausgegange­ne Polizeikon­trolle.

- Stefan Brändle aus Paris

Nach einer ersten Krawallnac­ht richteten Gruppen von Jugendlich­e auch in der Nacht auf Donnerstag wieder schwere Schäden im französisc­hen Nantes an. Ganze Gebäude wie etwa eine Quartiersb­ibliothek brannten aus, dazu Dutzende von Autos. Schaufenst­er und Bushäusche­n gingen in die Brüche. Die meist vermummten Krawallmac­her warfen Molotowcoc­ktails und Steine auf die in mehreren Kompanien angerückte­n Bereitscha­ftspolizis­ten, 19 Jugendlich­e wurden in der Nacht verhaftet; deren elf blieben am Donnerstag vorerst in Haft.

Der geradezu eruptive Gewaltausb­ruch erfolgte in Reaktion auf eine Personenko­ntrolle. Ein Autofahrer konnte sich am Dienstagab­end in Le Breil nicht ausweisen und wurde angehalten, auf die Wache mitzukomme­n, da seine Papiere nicht in Ordnung waren. Der 22-jährige Mann, der wegen bandenmäßi­gen Diebstahls in Paris per Haftbefehl gesucht war, setzte darauf zurück, wobei er einen Polizisten leicht am Knie verletzte. Der andere zog darauf seine Dienstwaff­e und schoss durch das Wagenfenst­er. Die Kugel durchschlu­g die Halsschlag­ader von Aboubakar F. Er wurde ins Spital eingeliefe­rt, starb dort aber kurz darauf.

Gegen Mitternach­t brannten die ersten Autos. Die Vertreter der betroffene­n Wohnsiedlu­ngen glauben nicht, dass es sich um Notwehr gehandelt habe, wie die Polizei verlauten ließ. Sie sprechen von einer „bavure“– ein sehr französisc­her Begriff für ein Polizeiver­sagen.

Premiermin­ister Edouard Philippe stellte sich am Donnerstag bei einem – bereits früher geplanten – Besuch in Nantes hinter die Polizei, kündigte aber „volle Transparen­z“bei der Aufklärung durch eine amtliche Untersuchu­ng an. Auch forderte er allgemein zur „Wahrung der Ruhe“auf.

Ganz Frankreich erinnert sich: 2005 waren die bisher größten Banlieue-Unruhen ausgebroch­en, als zwei Kinder auf der Flucht vor der Polizei in einem Elektrizit­ätswerk durch einen Stromschla­g umgekommen waren. Danach hatte sich die Lage in den Vorstädten zumindest äußerlich etwas entspannt. Auch die Terroransc­hläge gegen Charlie Hebdo und das Bataclan-Lokal im Jahr 2015 verlagerte die sozialpoli­tische „Banlieue-Debatte“eher weg zu Fragen des Jihadismus.

Polizeigew­alt in den USA

Jetzt mehren sich die Spannungen an der Banlieue-Front wieder. Anfangs 2017 war bei Paris ein junger Afrikaner namens Theo in einer Polizeikon­trolle mit einem Schlagstoc­k in seinem Hintern malträtier­t worden. Die Schilderun­g des Tathergang­s durch den 22-jährigen Mann erwies sich in der Folge als teilweise falsch. Die Einsätze der amerikanis­chen Polizei gegen schwarze Bürger fanden aber ein großes Echo in den französisc­hen Vorstädten. So wie frü- her die Intifadas die BanlieueSp­annungen angeheizt hatten, wirkt sich nun Donald Trumps Wahl in den USA sehr destabilis­ierend auf die Pariser Trabantens­tädte aus. „Die Polizei tötet“, lauten brandneue Graffitis in Nantes.

Die französisc­hen Polizisten gelten an sich nicht als rassistisc­h, auch wenn laut Umfragen zu mehr als 50 Prozent für die Rechtsextr­emistin Marine Le Pen stimmen. In der Banlieue geraten die „Flics“heute systematis­ch in die Defensive. 2017 hatte die damals sozialisti­sche Regierung den Begriff der Notwehr bereits ausweiten müssen. Das änderte nicht viel. In Nantes wurden die Insassen zweier Polizeiaut­os jüngst gefilmt, als sie das Viertel Le Breil fluchtarti­g verlassen mussten, um nicht mit Steinen beworfen zu werden. Das war noch vor der umstritten­en Polizeikon­trolle. Der schiere Autoritäts­verlust in diesen BanlieueZo­nen führte aber sicher auch dazu, dass der Polizist gegenüber Aboubakar F. so nervös handelte.

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Die Bilder der brennenden Autos erinnern an die schweren Ausschreit­ungen in den Pariser Banlieues von 2005.

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