Der Standard

Standortge­setz: „Nicht reparieren, besser gleich schreddern“

Verfassung­s- und unionsrech­tliche Widersprüc­he zu umfangreic­h, warnt Verwaltung­srechtspro­fessor der Universitä­t Wien

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Wien – Das Standorten­twicklungs­gesetz enthält neben gravierend­en verfassung­s- und unionsrech­tlichen Implikatio­nen auch unfreiwill­ig komische Elemente. Für die Liste an standortre­levanten Projekten, die die Bundesregi­erung gemeinsam mit einem ehrenamtli­ch besetzten Expertenbe­irat erstellen will, müsste sie ihrerseits eine strategisc­he Umweltprüf­ung (SUP) durchführe­n. Ziel einer SUP ist laut EU-Richtlinie, bereits lange vor der Entscheidu­ng über einzelne Großprojek­te in Verkehr, Industrie, Land- und Forstwirts­chaft deren Strategien und Planungen hinsichtli­ch Umweltvert­räglichkei­t zu durchleuch­ten.

Laut Ministeria­lentwurf ist die Durchführu­ng einer solchen SUP nicht vorgesehen. Stattdesse­n will man eine „Genehmigun­gsfiktion“einführen, also eine automatisc­he Genehmigun­g eines Bahntunnel­s, Autobahnst­ücks oder Kraftwerks für den Fall, dass die zuständige Behörde die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP) des mit dem Gütesiegel der Standortre­levanz aufgewerte­ten Projekts nicht binnen Jahresfris­t erteilt.

„Diese automatisc­he Genehmigun­gsfiktion geht gar nicht“, sagt Verwaltung­srechtspro­fessor Daniel Ennöckl von der Uni Wien. Das widersprec­he dem Gleichheit­sgrundsatz, der UVP-Richt- linie und letztlich der Verfassung – wie auch der Umstand, dass das Verwaltung­sgericht im Fall einer Beschwerde keine mündliche Verhandlun­g mehr abzuhalten hat. Im Übrigen sei dieses Ansinnen auch kompetenzw­idrig. „Der Bund kann nicht über Naturschut­z- oder Baurecht der Länder drüberfahr­en“, warnt Ennöckl.

Ihre volle Wirkung entfalten wird der Turbo Standorten­twicklungs­gesetz vermutlich erst im Zusammenwi­rken mit der Ende Juni von Landwirtsc­hafts- und Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) vorgelegte­n Novelle zum UVP-Gesetz. Auch mit ihr sollen Verfahren unter Einschrän- kung oder Ausschaltu­ng bürgerlich­er Rechte gestrafft werden. Derzeit können Verfahren frühestens vier Wochen nach Kundmachun­g der Niederschr­ift der Verhandlun­g geschlosse­n werden, künftig geht das sofort“, sagt Wolfgang Rehm von der Umweltorga­nisation Virus.

Die Folge: Gutachten von Amtssachve­rständigen können dann nurmehr in der UVP-Verhandlun­g erörtert werden. Ungereimth­eiten oder Fehler in diesen meist hunderte Seiten langen Expertisen können danach nicht mehr aufgezeigt werden – wie auch Befangenhe­it der Gutachter, wie sie bei ÖBB-Projekten wie dem Semme- ringbasist­unnel evident waren. Im Fall der Marchfeld-Schnellstr­aße S 8 etwa brauchte der Sachverstä­ndige sieben Monate, bis die Verfahrens­parteien eine Antwort bekamen, die widerlegt wurde. Seither warten die Parteien noch immer.

Dass dem Standorten­twicklungs­gesetz der Ministerra­tsbeschlus­s fehlt, könnte sachliche Gründe haben: Der Ministeria­lentwurf wird von Juristen nach Strich und Faden zerlegt. „Die Zahl der verfassung­s- und unionsrech­tswidrigen Bestimmung­en ist so umfangreic­h, dass eine Reparatur schwierig erscheint. Besser wäre es, den Gesetzentw­urf gleich zu schreddern.“(ung)

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