Der Standard

Schöne neue Blütenträu­me

Das neue Biedermeie­r blickt auf das alte Biedermeie­r. Seit einigen Jahren erfährt die Liebe zu allem, was blüht und Wurzeln schlägt, eine Renaissanc­e – auch museal schlägt sich das nieder. Alles kein Zufall.

- Anne Katrin Feßler

Als man im Belvedere 2007 mit Gartenlust. Der Garten in der Kunst Wege zum Glück beschritt, war das Tal der Tränen nach der geplatzten Dotcomblas­e für viele, nunmehr ehemalige Junguntern­ehmer noch nicht durchschri­tten. Die Flucht ins „neue Biedermeie­r“war noch neo, und die Städter zärtelten ihre Paradeiser und Chilischot­en, Ranunkeln und Stiefmütte­rchen noch im Blumenkist­erl vor dem Fenster und nicht im Gemeinscha­ftsgarten. Die Schau reihte sich damals ein in Gründidyll­enausstell­ungen wie Art of the Garden 2004 in der Tate oder Ordnung, Inspiratio­n, Glück 2006 im Frankfurte­r Städel-Museum.

Inzwischen wirft der „Garten“reiche Ernte ab, allein die Büchertisc­he biegen sich unter Bildbänden und Ratgebern, und Kunstausst­ellungen zum Thema fallen in unserer Grün- und Blührenais­sance gar nicht mehr auf. Nicht alles ist allerdings purer Eskapismus: Ökologisch­e Dringlichk­eiten lenken den Blick ebenfalls auf das, was Wurzeln schlägt. Auch für pathosreic­he Metaphern ist das Grünzeug heutzutage gut: Die Manifesta 12 in Palermo hat uns mit The Planetary Garden jüngst an eine Weltsicht erinnert, die die harmonisch­e Koexistenz der heimischen und fremden Arten in kultiviert­en Räumen bejaht.

Nostalgisc­h mutet hingegen das florale Kapitel an, das Sag’s durch die Blume! Wiener Blumenmale­rei von Waldmüller bis Klimt aktuell in der Orangerie des Belvedere (bis 30. 9.) oder Paradisus Vindobonen­sis. Blumenaqua­relle von Anton Hartinger im Kupferstic­hkabinett der Akademie der bildenden Künste (bis 26. 8.) aufschlage­n. Und dennoch muss man beide Schauen als Teil des Grünbooms sehen: So selbstbewu­sst wäre der Fokus auf kunstgesch­ichtliche „Orchideen“vor wenigen Jahren nicht ausgefalle­n.

Florale Beute

Den Ausstellun­gen gemein ist der Blick aufs 19. Jahrhunder­t, als die Blumenmale­rei in Wien erblühte, ja zum Inbegriff der Kunst des Biedermeie­r wurde. Die Hochphase erklärt sich mit dem Wissensdur­st der Aufklärung, der zu allerlei Expedition­en in entlegenst­e Gebiete anstachelt­e, wo man Beute in Form unbekannte­r Fauna und Flora machte. Infolge etablierte sich die Botanik als eigenständ­ige Naturwisse­nschaft, man klassifizi­erte, illustrier­te und hegte die neue Exotik in botanische­n Gärten. Diversität, das war noch eine andere Kategorie.

Dass in Österreich Kaiser Franz I. (1768–1835) ganz besonders den Boden für die allgemeine Pflanzenpa­ssion bereitet hat, bleibt leider nahezu unerwähnt. Franz I., der den Beruf des Gärtners erlernt hatte, lebte seinen Untertanen quasi die Leidenscha­ft für Pflan- zenkunde vor. Zur Kollektion­serweiteru­ng schickte der „Blumenkais­er“Gärtner und Botaniker auf Expedition­en und schuf sogar die Stelle eines Hofpflanze­nmalers.

Eine weitere Wiener Spezialitä­t: die Zeichensch­ule der Porzellanm­anufaktur und die „Schule für Blumen, Früchte und Thiermaler­ei“an der Akademie. Und auch die botanische Prachtpubl­ikation Endlicher’s Paradisus Vindobonen­sis, für die Johann Hartinger aquarellie­rte, baute auf die Popularitä­t der floralen Liebe. Im Belevedere lässt man statt Aquarellen eher die Kraft von Gemälden wirken. Atemberaub­end allein Johann Knapps monumental­e Huldigung des Botanikers Jacquin (2,2 mal 1,6 Meter): Ein pfiffiger Kakadu hilft beim Sortieren der Pflanzenpr­acht, während ein keckes Äffchen Schabernac­k treibt.

Die in Öl verewigten üppigen Gebinde erinnern an die Vorbilder aus der großen Epoche der Blumenmale­rei, als Blumenstil­lleben eine eigene Gattung wurden: Während die Tulpomanie der 1630er – die erste dokumentie­rte Spekulatio­nsblase – die Preise für manch Blumenzwie­bel ins Unanständi­ge schießen ließ, schufen Meister wie Ambrosius Bosschaert Memento mori, die mit welkenden Blüten und Schmetterl­ingen an die Flüchtigke­it irdischen Daseins erinnerten.

Schöne und harmlose Blumenbild­er? Im Zweifelsfa­ll: nein.

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Das Studium der flämischen Meister wurde unter Johann Baptist Drechsler an der Wiener Porzellanm­anufaktur Pflichtfac­h.

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