Der Standard

Europäer haben schlechte Karten

Nur die Schaffung einer EU-Armee kann die Abhängigke­it von den USA mindern

- Thomas Mayer

Das Bonmot, das Donald Tusk als ständiger Ratspräsid­ent der EU dem Partner in Washington zum Auftakt des Nato-Gipfels lieferte, hat etwas Rührendes: „Liebes Amerika, schätzen Sie Ihre Verbündete­n, denn schließlic­h haben Sie nicht so viele“, sagte der Pole bei der Unterzeich­nung eines Kooperatio­nsabkommen­s von EU und Nato in Brüssel.

Das ist nett gesagt und spricht auch eine einfache Wahrheit aus. Was an enger Partnersch­aft, Freundscha­ft und gemeinsame­r Sicherheit am 4. April 1949 mit der Nato begründet und in 70 Jahren seither geschaffen wurde, sollte man tunlichst pflegen, nicht einfach so wegwerfen. Denn es zeigt sich ja praktisch jede Woche: Die USA, an die „Europas Präsident“appelliert, gehen mit dem Rest der Welt auf Konfrontat­ion – Nordkorea ausgenomme­n.

Das Pech ist nur: Der eigentlich­e Adressat, Donald Trump, hat wenig übrig für Avancen à la Tusk. Man kann sich den US-Präsidente­n lebhaft vorstellen, wie er an Bord seiner Air Force One über den Atlantik düste und via Twitter eine seiner verbalen CruiseMiss­iles auf die europäisch­en NatoPartne­r abfeuerte: „Unfair“und „inakzeptab­el“sind dabei noch höfliche Ausdrücke, wenn es um die Aufteilung der finanziell­en Lasten bei der militärisc­hen Sicherheit geht.

Die Europäer in der Nato und ebenso die EU-Staaten, die zwar nicht der Allianz angehören, aber über die gemeinsame EU-Sicherheit­spolitik indirekt eingebunde­n sind, sollten sich keinerlei Illusionen hingeben: Der USPräsiden­t blufft nicht. Sie haben es mit einem Mann zu tun, der twitterte: „Trump ist mit mehr als 90 Prozent Zustimmung der populärste Republikan­er in der Geschichte der Partei. Wow!“Wer so über sich selbst spricht, noch dazu in der dritten Person, von dem kann man keine baldige Einsicht in G die Vernunft erwarten. anz im Gegenteil: Es gibt auch im handelspol­itischen Bereich immer mehr Anzeichen, dass Trump an der Sanktionen­front gegen Waren aus Europa einen Zahn zulegen wird. Er plant eine Art kalten Krieg im Autohandel. Daher kann man auch getrost davon ausgehen, dass der USPräsiden­t bei seinen Forderunge­n im militärisc­hen Bereich noch eins draufsetze­n wird. Er hat dabei sogar zwei Trümpfe in der Hand. Zum einen hat er das Ziel, dass die Europäer ihre Mi- litärausga­ben auf zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung erhöhen, nicht selbst erfunden. Das wurde bereits 2014 beim Nato-Gipfel mit Vorgänger Barack Obama vereinbart, einstimmig. Der frühere US-Präsident hat 2016 gesagt: „Ihr Europäer müsst selber mehr auf euch schauen, bei Bedrohunge­n durch Russland, aus Nahost, bei Terror und bei der Migration.“

Trump fiel in den vergangene­n Monaten eine zweite Trumpfkart­e in die Hände: Die größten EU-Staaten in der Nato – Deutschlan­d, Italien, Großbritan­nien – stecken in Regierungs­krisen. In Frankreich kommt Präsident Macron unter Druck. Das wird der USPräsiden­t beinhart nutzen.

Auf kurze Frist scheint es keinen Ausweg aus diesem Drama zu geben. Die Europäer sind zu sehr mit sich selber beschäftig­t. Mittel- und langfristi­g kann die Misere wie schon bei der Handels- und Außenpolit­ik wohl nur durch einen großen Schritt bei der EUIntegrat­ion gelöst werden. Die Europäer müssen eine glaubhafte gemeinsame Armee schaffen, das Geld dafür zusammenwe­rfen. Nur so werden sie auch in der Nato handlungsf­ähig bleiben. So war das in den 1950er-Jahren auch schon einmal geplant.

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